Das 21. Jahrhundert würde kein Jahrhundert des "weißen Mannes" mehr sein, sein 500-jähriger Siegeszug sei Geschichte - Wie wird die Welt von morgen aussehen? "Die Angst des weißen Mannes: ein Abgesang" lautet der Titel des jetzt schon als Bestseller gehandelten neu erschienenen Buches von einem Mann, den man getrost als Koryphäe auf seinem Gebiet bezeichnen kann: Dem Journalisten und Publizisten Peter Scholl-Latour.
Darin schildert Scholl-Latour aus seiner Sicht die dramatischen Verschiebungen des globalen Machtgefüges, deren Zeugen wir sind, deren Folgen und Auswirkungen aber nur die Wenigsten wohl noch erfassen. Zitat: "Im Moment finde ich viel mehr intelligente Gesprächspartner bei den Amerikanern als bei den Europäern." Unumstritten ist er mit seinen Ansichten nicht. Ramon Schack führte für interscenar.io ein Interview mit Peter Scholl-Latour:
I: Herr Scholl-Latour, Ihr neues Buch "Die Angst des weißen Mannes: Ein Abgesang" erscheint dieser Tage im Handel. Wovor hat der "weiße Mann" heute Angst?
PSL: Die Idee zu diesem Buch entstand bei einer Reise nach Ost-Timor. Ost-Timor ist hierzulande ja kaum bekannt. Es handelt sich bei diesem Staat um die eine Hälfte einer kleinen Insel, die einst zu Portugal gehörte, dann von Indonesien annektiert wurde. Seit 2000 wurde dieser Staat- mit Hilfe der UNO- wieder unabhängig. Ich kam genau an den Tag in Ost-Timor an, an dem 500 Jahre zuvor die ersten Portugiesen dort an Land gegangen sind. Das war der Beginn der weißen, europäischen und amerikanischen Weltherrschaft und Weltausdehnung, die ein halbes Jahrtausend anhielt und jetzt zu Ende ist. Noch um 1900 war diese Herrschaft des weißen Mannes allgegenwärtig. Davon kann natürlich heute keine Rede mehr sein. Deshalb wählte ich den Titel dieses Buches.
I: Als Sie vor rund 60 Jahren Ihre Karriere begannen, waren die europäischen Kolonialmächte noch weltweit präsent.
PSL: Richtig . Damals wehten noch der Union Jack oder die französische Trikolore über große Teile der Erde. Seitdem habe ich eine Welt des Rückzuges erlebt.
I: Sie haben damals ja auch den Indochina-Krieg, bzw. den Zusammenbruch der dortigen französischen Kolonialherrschaft vor Ort miterlebt. In Ihrem Buch beschreiben Sie dieses Ereignis als eine Art traumatisches Erlebnis. Weshalb?
PSL: Ich bin solchen Seelenzuständen gegenüber doch relativ gewappnet. Aber dieses Erlebnis hat mich gezeichnet, weil ich Vietnam und Indochina sentimental verbunden bin und bleibe. Das spüren auch die Vietnamesen, wenn ich dort bin, auch wenn ich in der ersten Phase - des damaligen Krieges - gegen sie gekämpft habe.
I: Der Titel Ihres Buches "Die Angst des weißen Mannes" orientiert sich an dem Werk von Rudyard Kipling "Die Bürde des weißen Mannes", in dem das damalige Kolonialsystem, bzw. Sendungsbewusstsein der "weißen" Menschheit thematisiert wird. Diese Phase liegt aber doch schon recht lange zurück und ist für die aktuelle weltpolitische Debatte doch nicht wirklich relevant.
PSL: Diese "Kiplingische Phase" liegt noch nicht so lange zurück, wie Sie vielleicht glauben. Die Amerikaner sind unter George W. Bush ja auch mit einem klaren Sendungsbewusstsein angetreten. Wir erinnern uns an die Thesen des amerikanischen Politologen Fukuyama, der vom Ende der Geschichte gesprochen hat. Der gemeint hat, die amerikanische Form der Demokratie und Marktwirtschaft würde zukünftig nur noch die Menschheit beglücken. Jetzt stellen wir fest, in welch kurzer Zeit dieser Anspruch zusammengebrochen ist. Die Amerikaner sind sich dessen viel mehr bewusst, als die Europäer. Im Moment finde ich viel mehr intelligente Gesprächspartner bei den Amerikanern als bei den Europäern.
I: Von welchen "Mächten" wird dieser Abgesang, den Sie im Titel erwähnen, heute eingeleitet?
PSL: Der phänomenale Aufstieg der Volksrepublik China wird ja schon jetzt im Westen mit Staunen und Entsetzen wahrgenommen. Dieses historische Ereignis wird flankiert von der verblassenden Ausstrahlungskraft des Westens.
I: Inwiefern?
PSL: Weder die westliche Vorstellungen von parlamentarischer Demokratie, vom Turbokapitalismus, oder gar von westlicher Militärstrategie, unter den Rahmenbedingungen des asymmetrischen Krieges, die drei großen Illusionen des Westens, haben weltweit noch Vorbildfunktion. Im Gegenteil, das chinesische Modell der autoritären Führung, im Verbund mit wirtschaftlicher Liberalisierung, gewinnt weltweit an Ausstrahlungskraft. Darüber hinaus sieht sich der Westen schon seit Jahrzehnten globalen Machtverschiebungen ausgesetzt, denen dieser schon aus demographischen Gründen nicht gewachsen ist. Die "Weiße Menschheit" ist dabei das Monopol materieller und militärischer Überlegenheit zu verlieren, welches ihren früheren globalen Machtanspruch gewährleistete. Diese Entwicklung wird in den USA viel deutlicher erkannt, als in Europa beispielsweise, wo in den Medien bisweilen ja eine betrübliche Desinformation praktiziert wird.
I: Denken Sie dabei an den ISAF-Einsatz in Afghanistan, oder die anhaltende Diskussion um das iranische Atomprogramm?
PSL: Auch, aber nicht nur. Die Amerikaner sind doch gar nicht wild darauf, mit den Iranern eine Konfrontation zu suchen. Viel eher setzt sich die Erkenntnis durch, dass man mit dem Regime in Teheran kooperieren sollte, gerade auch um die Probleme in Pakistan und dem Irak zu bewältigen.
Der Iran ist doch ein relativ stabiler Staat, mit einer schlagkräftigen Armee, auch wenn permanent das Gegenteil behauptet wird. Davon einmal abgesehen, die so genannten "moderaten" arabischen Staaten, also die engen Alliierten Washingtons in der Region, sind alles andere als Leuchttürme der Demokratie und erweisen sich zunehmend als unsichere Kantonisten. Im Gegensatz zum Iran, haben diese Länder ihr islamistisches Aufbegehren noch vor sich, während in Teheran die revolutionäre und religiöse Exaltiertheit der Vergangenheit angehört.
I: Eine Gefährdung Israels durch eine iranische Atombombe erkennen Sie also nicht?
PSL: Die Vorstellung, der Iran würde, wenn er morgen im Besitz von Atomwaffen wäre, diese sofort in Richtung Tel Aviv schießen, um anschließend nuklear ausradiert zu werden, gehört nun wirklich ins Reich der Phantasie. In diesem Zusammenhang zitiere ich gerne meinen guten Freund, den israelischen Militärhistoriker Martin van Crefeld: "Wenn ich Iraner wäre, würde ich auch die Atombombe haben wollen. Nicht um sie abzuwerfen, sondern zur Abschreckung". Eine iranische Atombombe beunruhigt mich nicht. Das Pakistan über Atombomben verfügt, ist viel gefährlicher.
I: Deutschland wird Ihrer Meinung nach auch nicht am Hindukusch verteidigt, wie es ein ehemaliger Bundesverteidigungsminister einmal ausgedrückt hat?
PSL: Nein. Da wird eher Russland verteidigt, zum Teil auch China. Beide Staaten werden in ihren entlegenen Grenzregionen vom militanten Islamismus bedroht. Zu Gutenberg hat jetzt ja immerhin von Krieg gesprochen. Dem neuen Verteidigungsminister würde ich raten, einmal in die Geschichtsbücher zu schauen. Schon seit Jahrtausenden nennt man Afghanistan den Friedhof der Imperien. Dieses Land zu erobern ist relativ einfach, es zu beherrschen unmöglich.
I: Wie beurteilen Sie die Präsidentschaft von Obama in den USA?
PSL: Das Schicksal Martin Luther Kings hängt als düstere Mahnung über diesem Mann, der endgültig der Erkenntnis zum Durchbruch verhalf, dass die politische Ausrichtung der USA nicht mehr durch eine Bevölkerungsminderheit definiert wird, die sich rühmte "White Anglo Saxon and Protestant" zu sein. Welches auch immer das Schicksal des jetzigen Präsidenten sein mag, hier ist ein Deich gebrochen.
I: Vielen Dank, Peter Scholl-Latour.
(Interview geführt von: Ramon Schack.)
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