München 2016

Gabor Munier
Geschrieben von:

Gabor Munièr

Autor, freier Kolumnist, Essayist

Schreckensmeldung, die 200ste

München 2016

Und wieder ein Medienspektakel

Preview Abbildung einer teufelsaehnlichen Maske

"The morning after" Bild zum Artikel auf FASSETTE. | photo by Luz | provided by flickr | ©  CC BY 2.0

Themen Bereich
Lesedauer: 7 mins

Der Tag danach: "Viele Menschen in München durchlebten eine Nacht der #Angst. Polizeipräsident Andrä sprach von einer massiven Verunsicherung der Bevölkerung. Bei der Polizei seien etliche Hinweise zu Schießereien oder Geiselnahmen im Stadtgebiet eingegangen, von denen sich aber keiner bestätigt habe. Rund hundert Menschen seien ins Polizeipräsidium gekommen, um dort Schutz zu suchen." (Zitat: zeit.de), welche den Umständen entsprechend noch halbwegs behutsam mit dem Thema in der Nacht umgegangen ist. Ganz im Gegenteil zum gröbsten Rest der Medien. Und mal ganz zu Schweigen von den natürlich schnell griffbereiten Terror-Behauptungen oder „Nachfragen“ bis hoch in die großen TV-Sender-Zentralen mit meinem Lieblings-Zusatzwort: „islamistisch“. Mit der Debatte über den Sinn und die Bedeutung dieses Unwortes möchte ich uns jetzt nicht wieder langweilen. Ich will aber auf etwas anderes hinaus:

Herzlichen Glückwunsch! Nach 3 Jahrzehnten Medien der Angst und des Schreckens haben wir es nun endlich geschafft, die Menschen emotional und geistig wieder dahin zurück zu katapultieren, wo sie vor fast einem Jahrhundert hergekommen sind. Ob es der böse Iwan, Russe, davor der Jude, jetzt der Moslem oder sonst wer war und heute wieder ist, wir leben wieder in einer Welt der Schreckenspropaganda, in der eine Einzeltat eines jungen Amokläufers in einem Einkaufszentrum letztendlich sogar dazu führt, dass der US-Präsident vor die Kamera treten muss, wo er doch gerade mit dem "Pflüggewerden" seiner Kinder schwer beschäftigt ist (wer den Witz nicht versteht, Google is your friend: Obama words to Munich).

Hashtag EOZ und Munich. Der ganze Twitterstream ist voll davon seit dem gestrigen Abend. Die Zeitungen und Fernsehsender überschlugen sich. Die Mutmaßungen ebenso. „Alles deute auf einen Terroranschlag hin.“ Vergleiche mit Brüssel und Paris waren auch sofort zur Stelle. Eines meiner Lieblingszitate des silberschnauzbärtigen ARD-Nachrichtensprechers als Frage an den Berlin-Korrespondenten (man achte auf den eingeschobenen Satz): „Ist hier – so wie in Würzburg – von einem islamistischen Terroranschlag auszugehen, oder halten sie solche Annahmen für verfrüht?“ … Ich war sprachlos über diese plumpe indirekte Umdeutung von Würzburg verdeckt durch eine Frage zu aktuellen Ereignissen. Ich musste kurz auf den an meiner Wand hängenden Kalender schauen um sicher zu gehen, dass wir uns tatsächlich im 21. Jahrhundert befinden. Und nicht versehentlich durch einen Zeitsprung in die Propagandamühle der 1930er Jahre zurück gebeamt wurden. Wie kann man denn so seriöse Nachrichten gestalten? Wenige Stunden danach? Ich war - und das kommt selten vor - sprachlos.

Um gleich den verschiedenen zur Zeit auf Hochtouren säbelrasselnden Flügeln den Wind aus den Segeln zu nehmen: Ich verfechte keine Tendenz im politischen Spektrum. Weder in die eine noch in die andere Richtung. Und vor allem nicht zum Thema Terrornachrichten oder dem Unwort Einwanderungspolitik. Also erspart mir eure Grabenkämpfe. Es wäre absurd abzustreiten, dass bei kriminellen Handlungen in der Größenordnung medientauglicher Ereignisse zunehmend auch Menschen mit Imigrationsbackground verwickelt sind. Klar. Das ist ja auch logisch. Weil es genauso absurd wäre zu verklären, dass dem eine ganz banale mathematische Aufgabe und somit ganz simple Logik zugrunde liegt: Ändert sich das Verhältnis der verschiedenen Bevölkerungsschichten und Kulturen einer Region, ändert sich logischer Weise auch das Verhältnis der beteiligten Bevölkerungsschichten an Ereignissen, die in den Medien auftauchen. Wir sprechen ja auch nicht von der Invasion der Regentropfen wenn es Herbst wird oder? So. Langsam sickern lassen, nochmal nachdenken, im Zweifelsfall nochmal lesen. Es ist ganz einfach.

Jeder der mich kennt weiß wie empathisch ich für das Leid anderer Menschen bin, wie empfänglich ich für die Gefühle von Menschen bin, denen es nicht gut geht oder die Opfer tragischer Ereignisse werden. So sehr, dass ich sogar regelmäßig in meinem Leben Tagesnachrichten meiden musste. Warum ich das erwähne? Um den nächsten Absatz vorzubereiten und etwaigen Unterstellungen mangelnder Empathie vorzugreifen.

Ein sicherlich und durchaus streitbarer aber kluger Mann sagte einmal in einer TV-Diskussionsrunde: „Also wenn hier von Diskutanten unter Tränen in den Augen Babyleichen hervorgezerrt werden um seinen Standpunkt zu unterstreichen, verlasse ich diese Diskussion. So kann man weder Politik machen, noch Politanalysen schmücken oder Kriege verhindern. Ganz im Gegenteil!“ (frei zitiert nach Peter Scholl-Latour). Würde man mich auf der Straße zu den Ereignissen von gestern Abend vor laufender Kamera befragen, würde ich dem Reporter der mir das Mikrofon unter die Nase hält sagen: „Entschuldigen Sie, ich habe keine Zeit. Ich muss zu einer Wein-Verkostung.“

Der Reporter entsetzt: „Was?!? Haben Sie den kein Herz für die Opfer und Angehörigen?! Wie kann man jetzt zu einer Weinverkostung gehen??"
Ich: „Wie? Na mit der S-Bahn. Ich habe dort bereits vor einer Woche einen Tisch reserviert.“
Reporter fassungslos und empört: „Wie kann man so herzlos sein!! Unfassbar!!“
Ich: „Herzlos? Ich? Ich habe mal eine Frage an Sie: Möchten Sie dass das aufhört?“
Reporter: „Ich verstehe nicht, natürlich möchte jeder dass ...“
Ich: „Nein, Sie weichen meiner Frage aus: Nicht jeder: Sie!“
Reporter: „Was meinen Sie? Die Geschehnisse?“
Ich: „Ja, und ich frage nicht jeden sondern Sie. Möchten SIE(!) dass das aufhört. Das kann man ganz einfach mit Ja oder Nein beantworten. Ich frage Sie als Journalisten. Ja oder Nein?“
Reporter: „Ja! Natürlich möchte ICH dass das aufhört!“
Ich: „Gut! Dann hören Sie auf davon zu berichten!“

Ich drehe mich um und will gehen. Der Reporter ist verdutzt und braucht eine Sekunde um sich zu sortieren. Dann gibt er schnell dem Kameramann ein Zeichen und hält mir schnell noch einmal das Mikrofon hin: „Das ist unsere Aufgabe!“ - Ich : „Ja. Einmal kurz, da wo es in der Prioritätenliste der gesamten News hingehört. Aber nicht überall, reißerisch und auf allen Titelseiten! Sie geben diesen Menschen genau die Bühne die sie brauchen. Das sind ihre 5 Minuten Ruhm und sie helfen ihnen dabei! Verstehen Sie mich nicht falsch und das ist das letzte Mal dass ich mich zu diesem Thema äußere: Aber ich sage es so hart wie es ist. Das war und ist KEINE Titelstory. Das ist Boulevardjournalismus. Mein aufrichtiges Mitgefühl gilt den Angehörigen. Und jetzt nehmen Sie bitte das Mikrofon aus meinem Gesicht.“

Ich kann wirklich nicht begreifen wie eine moderne Gesellschaft so begriffsstutzig sein kann: Seit nunmehr den 1950er Jahren hören wir den Satz in jedem Krimi, jedem 2. Kinofilm, jeder Serie, von jedem 2. oder 3. Oberdetektiv. In jedem alten oder neuen Tatort hört man diesen Satz aus dem Munde der Kommissare gefühlt 3 mal. Und jeder weiß eigentlich auch dass es (ausnahmsweise mal) Sinn macht was sie sagen. Nur in unsere Hirne will es einfach nicht vordringen: "Bitte zurückhaltende Presse bis alle Fakten bekannt sind. Sonst werden die Ermittlungen behindert und die Täter unterstützt."

Die gestrigen Ereignisse waren ohne Frage traurig für viele Menschen in unmittelbarer Nähe und vor allem als direkt oder indirekt Betroffene. Lassen Sie sich aber nicht benutzen! Meine Anteilnahme und die vieler Anderer ist sicherlich ein winziger kleiner Trost, aber das ist im Gegenzug das Medienspektakel nicht wert.

Lesen Sie mal in regelmäßigen Abständen die Webseiten der Polizei oder des auswärtigen Amtes. Dann werden Sie feststellen, dass solche Dinge (leider) nicht selten passieren. Es kommt immer auf die medientauglichen Umstände die das ganze dann medial explodieren lassen an. In dem Fall reichte wohl der optisch erkennbare Immigrationsbackground auf den in Umlauf gebrachten Handy-Videos.

Überhaupt war die mediale Ausbreitung und Geschwindigkeit unfassbar in dieser Nacht! Ich wüsste da ein paar Propagandaexperten und Innovatoren ihrer (früherer) Zeiten, die würden sich vor Begeisterung direkt in die Hose machen, hätten sie diese Mittel damals zur Verfügung gehabt um die Menschen besser zu kontrollieren. Wie schnell heute so etwas auf jedem Smartphone in der S-Bahn, im Bus, im Zug, im Taxi, zu Hause, im Internet, einfach überall die Runde macht ist wenn mal über die Missbrauchsmöglichkeiten nachdenkt … einfach nur erschreckend.

Wer von diesem Theater profitierte muss noch erörtert werden. Die Betroffenen sind es jedenfalls nicht.

Comments

rene

Gott sei Dank! Es gibt also noch so etwas wie "seriöse Presse"!

Redaktion

Danke Rene, aber wir sind in dem Sinne keine Presse. Wir rezensieren News, Bücher, Filme, Theorien, etc ,und tauschen Gedanken darüber aus. Wir sind in dem Sinne kein Nachrichten Magazin. PS zum Artikel: Ein User namens "Schillerlocke" machte unter dem "Die Zeit" Artikel der hier zitiert wird wie wir finden einen sehr nennenswerten Kommentar: " Wie kann man einen Schützen und eine Pistole auf drei Schützen und Langwaffen bringen?"

Miriam Solange

Naja egal, Presse hin oder her. Ich finde es wichtig streitbare Stimmen zu haben im Einheitsbrei, die verhältnismäßig unprätisiös und ohne die gewohnten Mittel für Quote ein paar ausdifferenzierte unbeliebte Bedenken einstreuen ohne dass man das Gefühl hat wieder auf den nächsten Wegelagerer und Prediger reingefallen zu sein. Und da habt ihr mich noch nie enttäuscht, aber auch nie versucht zu bedienen. Sondern immer spontan eure eigenen Kopf/ Gedanken geäußert. Das ist inspirierend und man fühlt sich ungelenkt. Welch angenehme Abwechslung!

Mauerblümchen

Ich finde es auch sehr erschreckend dass es schon so salonfähig geworden ist, dass sobald Ereignisse dieser Art passieren sofort ISLAMISTISCHER TERROR durch die Medien gebrüllt wird. Die "Redakteure" sollten sich mal ersnthaft überlegen was sie damit eigentlich für einen langanhaltenden Schaden anrichten. Hauptsache mal schnell den aktuell gängigen Sündenbock an die Wand gestellt. Das wird sich leider wohl nie ändern. Oder um es mit den Worten Gandhis zu sagen: "Die Geschichte lehrt die Menschen, dass die Geschichte die Menschen nichts lehrt."

Add new comment

The content of this field is kept private and will not be shown publicly.

Plain text

  • No HTML tags allowed.
  • Lines and paragraphs break automatically.
  • Web page addresses and email addresses turn into links automatically.