Im Interview: Mathias Brodkorb

Ramon Schack
Geschrieben von:

Ramon Schack

Diplom-Politologe, Journalist und Publizist

Im Interview zu Storch Heiner

Im Interview: Mathias Brodkorb

Der Storch der den Thor zu Fall brach

Preview Abbildung von Landtagssitzung Schwerin mit Mathias Brodkorb 2013

"Landtagssitzung Schwerin 2013". Mathias Brodkorb rechts im Bild. | photo by Ralf Roletschek | provided by Wikimedia Commons | © CC BY-SA 3.0

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Lesedauer: 6 mins

Bekannt wurde Brodkorb unter anderem, als er bei einem Jugendfestival im Seebad Prora auf der Insel Rügen im Jahr 2003 in einem Workshop zu aufklärerischen Zwecken aus Hitlers Mein Kampf las und mit Jugendlichen darüber diskutierte. Brodkorb begründete die Diskussion, er wollte mit dieser Aktion auf den historischen Hintergrund des Veranstaltungsortes hinweisen.

Die #Satire "Storch Heinar" zog das bei radikalen Rechten beliebte Modelabel "Thor Steinar" durch den Kakao, bis es zur Klage kam, welche jedoch vor dem Landgericht Nürnberg abprallte - wer steckt dahinter? Hier ein Interview mit dem dadurch landesweit bekannt gewordenen Landtagsabgeordneten (update: Finanzminister Mecklenburg-Vorpommern 01.09.16) Mathias Brodkorb:

I: Herr Brodkorb, gratuliert man bei solch einem Anlass? Sie haben kürzlich den Prozess gegen den Thor-Steinar-Vertrieb Mediatex gewonnen. Haben Sie, wie zuvor angekündigt, das schon gefeiert?

Brodkorb: Ein wenig, aber bisher nur mit allen am Projekt Beteiligten, im privaten Rahmen.

I: Storch Heinar bleibt uns also noch länger erhalten? Wird er zukünftig auch bissiger agieren? Schließlich nähern sich die nächsten Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern, welche über einen Wiedereinzug der NPD ins Parlament von Schwerin entscheiden?

Brodkorb: Das könnte schon sein. Das muss der Junge aber erst noch mit seinem Mitarbeiterstab besprechen.

I: Humor, Satire, als Waffe gegen den grassierenden Rechtsextremismus, gegen Parteien wie die NPD. Wie hat eigentlich die SPD auf Ihre Storch-Heinar-Initiative anfänglich reagiert?

Brodkorb: Was meinen Heimatlandesverband Mecklenburg-Vorpommern angeht: wie immer wohlwollend. Es ist schon etwas dran an dem Vorurteil, dass bei uns im Nordosten die Uhren anders als im Rest der Republik ticken - auch in der SPD.

I: Fehlt es beim organisierten "Kampf gegen Rechts" an Humor, als tolerantes Kritikmittel in einer Demokratie?

Brodkorb: Zunächst: Einen "Kampf gegen Rechts" betreiben wir ja gar nicht, sondern einen gegen Rechtsextremismus. Allerdings würde ich in diesem Zusammenhang eher von Souveränität und Gelassenheit sprechen, die der geeignete Nährboden auch für Humor sind. Die Demokratie ist einfach eine fröhliche Lebensform und braucht daher fröhliche Menschen. Eine solche Haltung setzt vor allem voraus, dass man ein positives Selbstbild hat und sich seine Identität nicht in Wahrheit nur in negativer Form von den Nazis diktieren lässt. Es kann eben eine doppelte Besessenheit von Hitler geben, die eine geht von den Nazis selbst aus, die andere von einer bestimmten Art seiner Gegner. Wer Fanatismus fanatisch bekämpft wird aber irgendwann selbst ein Fanatiker. René Girard hat für diese Erscheinung den wunderbaren Begriff "mimetische Rivalität" geprägt.

I: Gab es Reaktionen der NPD-Fraktion im Landtag?

Brodkorb: Ach, die "Jungs" pöbeln ab und zu verzweifelt und verbissen in unsere Richtung, aber das ist ja nicht unser Problem.

I: Vorhin mahnten Sie "Einen Kampf gegen Rechts betreiben wir ja gar nicht, sondern einen gegen Rechtsextremismus ..." - Warum ist es ihrer Meinung nach gefährlich, die Begriffe  "Rechts" und "Rechtsextrem" in einen Topf zu werfen?

Brodkorb: Weil man dann konsequenterweise auch die Begriffe "links" und "linksextrem" in einen Topf werfen müsste. Und ich bin zwar links, aber gewiss nicht linksextrem. Der Sinn von Demokratie ist nun einmal nicht, dass alle derselben Meinung sind, sondern dass alle unterschiedliche Meinungen aushalten, vielleicht sogar als produktive Bereicherung betrachten. Und in dieser Hinsicht scheint die BRD in den letzten Jahrzehnten deutlich an Offenheit verloren zu haben. Zwei Beispiele: Es gab Zeiten, in denen stritten Arnold Gehlen und Theodor Adorno öffentlich über das richtige Menschenbild. Das wäre nach meinem Geschmack. Oder Rudi Dutschke, damals mindestens ein Linksradikaler, wenn nicht sogar Linksextremist, konnte sich 1967 eine Stunde lang im Fernsehen mit Günter Gaus über die Revolution unterhalten. Können Sie sich vorstellen, dass z. B. Anne Will einen rechtsradikalen Intellektuellen, es muss ja nicht gleich ein Rechtsextremist sein, auf ihr Sofa bittet und ihn gesittet öffentlich-rechtlich zerpflückt? Allein ein solches Vorhaben würde sie wohl ihren Job kosten.

I: Das erinnert an den Fall Eva Herman und die Pauchalisierungswelle in beide Richtungen damals. Für uns immer noch sehr verwirrend und unaufgeklärt. Und der Autor, Theater- und Filmemacher Sebastian Ugovsky stellte in einem anderen Interview mit uns in Zeiten von Hippster-Nazies und islamfeindlichen Linken unlängst tradierte politische Koordinatensysteme in Frage. Meine Frage an Sie: Machen die Begriffe "Rechts" und "Links" dann überhaupt noch Sinn? Wenn wir politische Einordnung brauchen, wären "Totalitär", bzw. "Antitotalitär" nicht passender?

Brodkorb: Erstens ja und zweitens nein. Der Gegenbegriff zu dem des Totalitarismus ist der der Demokratie oder offenen Gesellschaft. "Offen" ist eine Gesellschaft aber nur, wenn sie in sich wiederum plurale Möglichkeiten enthält, alles andere hätte ja selbst totalitäre Züge. Der Totalitarismusbegriff bzw. dessen Gegenteil beschreibt eben eher so etwas wie einen allgemein-politischen Rahmen, der jedoch konkret ausgefüllt werden muss. Stellen Sie sich doch einfach einmal vor, wie langweilig ein Bild wäre, das nur aus einer einfarbigen Fläche bestünde, ohne Ecken und Kanten, ohne jede Gestaltung wäre. Eine einfarbige Fläche ist aus meiner Sicht genauso wenig Kunst wie eine Gesellschaft mit Gesinnungsgleichheit gelungen oder demokratisch ist. Aber bekanntermaßen wird hierüber heftig gestritten.

I: Sie selbst haben sich vor Jahren ideologisch vom Marxismus losgesagt, mit Hilfe Ihres damaligen Griechisch-Lehrers. Hat diese Erfahrung Ihr politisches Denken entscheidend geprägt?

Brodkorb: "Entscheidend" ist untertrieben. Neben Marx waren für mich Platon und Aristoteles wichtige politische Autoren. Sie alle stellen den Begriff der Gerechtigkeit ins Zentrum der politischen Philosophie und dieser Begriff leitet mich auch in meinem politischen Denken. Der Unterschied zwischen Marx und der klassischen Antike ist dabei jedoch ein doppelter: Marx reduziert das Problem der Gerechtigkeit auf soziale Phänomene und weist die Lösung von Problemen ausschließlich Institutionen zu. Aristoteles und Platon betonen umgekehrt, dass eine gerechte Gesellschaft nicht ohne gerechte Menschen zu haben ist. Wie gut oder schlecht unsere Gesellschaft ist, entscheiden wir also jeden Tag und zwar in uns selbst. Die politische Schlussfolgerung hieraus ist elementar: Als wichtigstes Politikfeld gilt dann nicht mehr die Wirtschafts- oder Steuerpolitik, sondern die Bildungspolitik. Diese Einsicht harmoniert zugleich mit der Überzeugung, dass Menschen nicht durch Materielles wirklich glücklich werden können. Gewiss: Armut schränkt Glücksfähigkeit ein und muss daher rigoros bekämpft werden, aber umgekehrt kann Reichtum eben kein wirkliches Glück garantieren. Das Wertvollste, worüber ein Staat verfügen kann, sind somit seine Bildungsinstitutionen: Kindergärten, Schulen, Hochschulen und die in ihnen Tätigen. Aber mit diesen für eine gelingende Gesellschaft substanziellen Dingen kommt man nicht in die Zeitung, mit "Storch Heinar" schon. Auch das verrät Vieles über unsere Gesellschaft.

I: Würden Sie sich heute als der neue Vertreter einer antitotalitären Politiker-Generation definieren, jenseits von "Links" und "Rechts"?

Brodkorb: Nein, gewiss nicht. Ich bin ein antitotalitärer Linker, der eine antitotalitäre und linke Gesellschaft will. Das impliziert aber auch notwendiger Weise, dass man die Möglichkeit der eigenen Niederlage wollen muss. Ein Demokrat kann sich zwar wünschen, stets die Mehrheit zu behalten, aber er kann nicht ernsthaft wollen, niemals die Mehrheit zu verlieren. Will er dies dennoch, schlummert in seinem Herzen ein Hauch von Totalitarismus.

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