Ich warte, ich warte... Ein Aufschrei. "Freiheit!" Er kommt nicht... Ich suche im Netz nach deutschen Quellen und finde nur eine und zwei kurze Absätze in der Neuen Zürcher Zeitung. Ich warte auf den nächsten Tag und erwarte Artikel und Titelblätter auf denen ein Freispruch besprochen wird. Nichts! In den nächsten zwei Tagen finde ich jeweils einen Zeitungsartikel. Ich bin enttäuscht. Die letzten Jahre haben alle Zeitungen, Nachrichtensender, Organisationen wie Amnesty International und sogar eine eigenst gegründete Kampagnen-Stiftung über den kanadischen Jungen, der im US-amerikanischen Gefangenenlager #Guantánamo inhaftiert ist, berichtet. "Mickey Mouse in Guantánamo", "Guantanamo-Video alarmiert Menschenrechtler", "Kindersoldat zu 40 Jahren Haft verurteilt": Das waren die Schlagzeilen der vergangenen 13 Jahre. Die Forderung: "Free Omar"! (HashTag #FreeOmar) - Und nun warte ich mehr als 4 Wochen auf die sonst so schnelle und laute Presse und höre nichts...
Ein Vorzeigefall war #Omar Khadr von Beginn an. Die Informationen über ihn waren verschieden: Der kanadische Staatsbürger zieht mit nur 2 Jahren mit seiner Familie nach Afghanistan, wo sein Vater, ein finanzieller Unterstützer Al-Qaidas, so heißt es in einer Version, ihn schon in jungen Jahren in einem Trainingslager der Terrorgruppe ausbilden ließe. Der junge Omar sei sprachbegabt und sein Vater schickte ihn wohl als Übersetzer an die afghanische Al-Qaida Front. Am 27. Juli 2002 bombardierten wohl Spezial-Einheiten des US-Militärs ein verdächtigen Gebäudekomplex heißt es weiter in dieser Version. Der einzig überlebende dieses Angriffs sei ein 15-jähriger Junge gewesen (Omar Khadr), der, als Spezial-Einheiten ihn finden, wohl eine Handgranate zündet. Dabei wird ein US-Soldat schwer verletzt und erliegt 10 Tage später seinen Verletzungen. Auf den Jungen wird geschossen und er wird blutüberströmt mit mehreren Einschüssen im Rücken und auf dem linken Auge erblindet, verhaftet. In anderen Versionen wird von einem ohne Vorwarnung eröffneten Feuer der US-Streitkräfte auf Straßenpassanten auf blinden Verdacht hin berichtet, die zum Teil aus der Familie Omars bestanden und wohl alle dabei ums Leben kamen, worauf hin der schwer verwundete Omar um seine Familie zu schützen in letzter Sekunde eine am Boden liegende Granate eines US-Soldaten gezündet habe, die im sein linkes Auge verletzte. Die Soldaten schossen ihm verletzt am Boden liegend 2 mal in den Rücken bevor sie ihn als Kriegsgefangenen zum Stützpunkt schleiften, heißt es da weiter.
Ein ehemaliger Special Force sagte später sich auf die erste Version berufend aus ...
"dass die US-Truppen das Gebäude nach der Zerstörung in aufklärender Mission betraten und das der Junge sich hätte ergeben können aber nichts besseres zu tun hatte als eine Handgranate zu zünden."
Zunächst wurde Omar Khadr darauf hin zunächst drei Monate lang im Militärgefängnis Bagram festgehalten. Die nächsten 8 Jahre wurde er dann ohne Anklage und Gerichtsverfahren im Gefangenenlager der Guantánamo Bay Naval Base der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika auf Kuba gefangen gehalten und erlitt - wie Menschenrechtler diagnostizierten - psychische wie physische Folter. Anstatt als Minderjähriger angesehen und entsprechend behandelt zu werden, wie es das Völkerrecht vorschreibt, so heißt es auf Wikipedia, wurde Omar Khadr als feindlicher Kämpfer eingestuft, und es wurde ihm verweigert, die Rechtmäßigkeit seiner Haft anzufechten. Erst im November 2004 - über zwei Jahre nach seiner Festnahme - durfte er mit einem Anwalt sprechen. Der Fall Omar Khadr ist der am meisten beachtete Fall Guantánamos und wurde weltweit in den Medien besprochen.
2008 zu den Neuwahlen des US Präsidentenamts wird das Gefangenenlager Guantánamo wieder Thema, da erstmals Vidoeaufnahmen eines Verhörs auftauchten, auf denen der 16 jährige Omar Khadr zu sehen ist. Die Aufnahmen stammen nach Angaben von Khadrs Anwälten aus dem Jahr 2003, als Mitarbeiter des kanadischen Geheimdienstes den Jugendlichen vier Tage lang befragten. 2010 häufen sich die Artikel über den "Kindersoldaten" und er wird von einem Militärgericht symbolisch zu vierzig Jahren Haft verurteilt, von denen er noch acht Jahre inhaftiert werden soll, nachdem er bereits acht Jahre in Guantánamo ohne Anklage und Gerichtsverfahren auf seinen Prozess wartete. Die kanadische Regierung tat in all den Jahren nichts, um ihren minderjährigen Staatsbürger ins eigene Land zurück zu holen.
2011 wurde Khadr endgültig den kanadischen Behörden übergeben.
Im September 2012 ist die Schlagzeile "Letzter westlicher Gefangener aus Guantánamo entlassen" überall in den Medien. Der nun 26 jährige Omar wird aber nicht in die Freiheit entlassen, wie es mit den meisten westlichen Guantánamo-Gefangenen geschah, wie etwa mit Murat Kurnaz in Deutschland, sondern er wird jetzt in ein Gefängnis in sein Heimatland #Kanada überführt. Nach kanadischen Medienberichten muss Khadr noch sieben weitere Jahre dort verbüßen, kann aber wohl bereits im kommenden Jahr erstmals um vorzeitige Haftentlassung bitten. Hier bricht die deutsche Berichterstattung ab und darauf folgende Ereignisse werden im deutschsprachigem Raum kaum und wenn nur kurz kommentiert.
Es ist der 07. Mai 2015. Nach 13 Jahren in Gefangenschaft hat ein kanadisches Berufungsgericht den ehemaligen Guantánamo-Häftling Omar Khadr unter Auflagen frei gelassen. "Sie dürfen gehen", sagte Richterin Myra Bielby. Zur Begründung hieß es, dass sich ein in den USA ausstehender Berufungsprozess verzögere und dass von Khadr keine Gefahr ausgehe. Khadr wurden nun Reisebeschränkungen auferlegt, zudem wird er elektronisch überwacht. Khadr soll nun bei der Familie einem seiner Verteidiger, Dennis Edney, unterkommen. Damit soll seine Wiedereingliederung in die Gesellschaft sichergestellt werden. Edney sagte der Presse: "Wenn ein kanadischer Junge von uns allen so verlassen wird, müssen wir uns fragen was für eine Gesellschaft wir unseren eigenen Kindern hinterlassen." Der Anwalt will Khadr außerdem nach eigenen Angaben wohl sogar eine Ausbildung finanzieren. In seinem ersten Interview nach dem Gerichtsurteil sagt Omar: " es gäbe eine Menge Fragen die er seinem Vater, der 2003 in einem Gefecht um kam, stellen würde.".
Umliegende Bevölkerung protestierte teilweise stark gegen den in ihrer Nähe lebenden ehemaligen Guantánamo-Häftling als Gefahr für ihre Umgebung und zeigte wiedermal die Abgründe des Menschlichen. Auch die kanadische Regierung hatte bereits im April angekündigt, gegen den Gerichtsentscheid vorzugehen. Unter anderem gab sie an, die Freilassung untergrabe das Vertrauen in das Justizsystem. Sollten sich die Bemühungen der verantwortlichen Politiker durchsetzen wird Omar Khadrs Gefangenschaft wohl nur vorläufig beendet.
Es kann zu Recht hinterfragt werden, warum die sonst so Schlagzeilen-suchenden Medien nicht erneut laut Freiheit! schreien, sondern nachdem sie jahrelang über das Unrecht und die Qualen Omars berichteten, nun aber über diese etwas weniger Schlagzeilen-trächtige Etappe in diesem Fall nicht mehr so ausführlich berichten wollen. Aber gut, das ist sicher eine Frage die man bei vielen Themen stellen kann, die erst hochgekocht und dann fallen gelassen werden, obwohl die mediale Aufmerksamkeit noch lange von Nöten wäre. Aber da sind die Titelseiten unlängst mit neuen Horrorgeschichten gefüllt.
Sein Schicksal ist einzigartig, er ist der jüngste Mensch, der sich je als Kriegsverbrecher vor einem Gericht zu verantworten hatte. Khadr, der kanadischer Staatsbürger ist, war der letzte noch in Guantánamo befindliche Bürger eines „westlichen Landes“. Sein Heimatland Kanada weigerte sich, trotz des Drängens von Amnesty International, einen Auslieferungs- oder Rückführungsantrag zu stellen. -- Wikipedia
Nachtrag:
Juli 2017
Nach langen Prozessen und viel Einsatz seiner Anwälte, erhielt Omar Khadr eine offizielle Entschuldigung seines Heimatlandes Kanada, welches ihm eine Entschädigung in Millionenhöhe auszahlte.
Comments
Wie so oft, sind wir eigentlich nur Zuschauer und erleben durch emotionale Aufbauscherei in den Medien stark polarisierende und oft verfestigte Standpunkte und Meinungen zu einem Thema, bei dem die jeweiligen Verfechter sich eigentlich in nichts sicher sein könnten, was sie da verfechten. Ich finde es beruhigend, dass hier die gute alte nicht subjektive sondern beobachtende und fragende Berichterstattung vorgezogen wurde, um das Thema noch ein mal nach oben zu spülen, weil ich finde subjektive Polemik (nicht nur) bei solchen Themen sehr unpassend. Dass die Bevölkerung nicht erbaut ist davon, einen ungeklärten Fall diesen Ausmaßes in ihrer Nähe wohnen zu haben, würde ich jetzt aber nicht unbedingt gleich an den Pranger stellen wollen, kann aber verstehen dass es dem Verfasser des Artikels aufstößt...
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