Mit Benjamin Netanjahu verbinden mich persönlich schmerzhafte Erinnerungen: Im Frühjahr 1999, als Bibi Netanjahu, von den Wählern aus dem Amt gefegt wurde, erlebte ich in Israel den damaligen Wahlkampf aus nächster Nähe.
An der Universität von Tel Aviv schrieb ich meine Diplomarbeit über die russische und äthiopische Einwanderung nach Israel, in den 1990er Jahren. Eine mehrmonatige Reise durch den Nahen Osten, die mich in den Libanon, nach Syrien, Jordanien, Westbank, Gaza, Saudi-Arabien und anschließend nach Ägypten führte, war diesem akademischen Aufenthalt vorangegangen.
Jeden Morgen verließ ich das Haus meiner charmanten Gastgeberin Avivit Lehrmann, der Tochter des Kneipen-Königs von Hamburg, und fuhr mit dem Bus nach Tel Aviv. Von der Central Bus Station ging ich meistens zu Fuß zur Universität , von einigen gelegentlichen Abstechern nach Banana Beach einmal abgesehen.
Die Begegnung mit Tel Aviv, dieser unerhörten, hedonistischen und lebenshungrigen Metropole, war damals, in diesem friedlichen, letzten Jahr des vergangenen Jahrhunderts, ein betörendes, nahezu erotisches Erlebnis. Eines Tages, geriet ich in eine Wahlkampfveranstaltung von Benjamin Netanjahu, am Carmel Market.
Diese Gegend, überwiegend von Sefaradim bewohnt, oder Misrachim wie man heute sagt, also orientalischen Juden die einst aus islamischen Ländern eingewandert sind, galt damals wie heute als Hochburg der nationalkonservativen Likud-Partei von Netanjahu. Der Likud galt einst als Partei der "polnischen Krawattenträger", als politisches Gegenwicht zur streng sozialistischen Kibbuz-Ausrichtung der Arbeiterpartei. In den ersten Jahren nach der Staatsgründung war der Likud in Israel zu einer ewigen Opposition verdammt. Erst 1977, unter Menachim Begin, basierend auf der veränderten Demographie in Israel, gelang der Likud der Weg zur Macht. Ausgerechnet die Sefaradim, die äußerlich kaum von Arabern zu unterscheiden sind und damals die Bevölkerungsmehrheit erlangten - basierend auf höheren Geburtenraten - wählten Likud aus Protest gegen die Dominanz der politischen linken Elite, die überwiegend Ashkenazim, also europäischen Ursprungs, waren und sind.
Diese Tendenz ist bis heute erkennbar, obwohl es seitdem erneute gravierende Veränderungen gab. Die Masseneinwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion beispielsweise: jeder fünfte Israeli gehört in diese Gruppe, als auch die stärkere ethnische Durchmischung, wofür die Armee als Schmelztiegel des jüdischen Staates einige Verantwortung trägt.
Aber zurück zu der erwähnten Wahlkampfveranstaltung mit Netanjahu. Am Carmel Market herrschte große Aufregung.Zahlreiche Anhänger Bibis hatten sich eingefunden, ebenso zahlreiche Gegendemonstranten. Ein Sicherheitsbeamter sprach mich an, fragte woher ich komme, was ich hier wolle und kontrollierte meine Tasche. Wie es der Zufall so will, entdeckte der Beamte meine Nagelschere, die ich einige Tage zuvor verzweifelt gesucht hatte. Triumphierend, wie ein potentielles Mordwerkzeug, hielt er die Nagelschere in die Höhe, ich habe die Szene noch genau vor Augen.
Das Missverständnis wurde schnell aus dem Weg geräumt und ich begab mich in die Menge der Schaulustigen. Umrundet von schreienden Anhängern und Gegnern des damaligen Premierministers, wartete ich auf Netanjahu, der einen Rundgang über den Markt angekündigt hatte. Nach einiger Zeit tauchte er schließlich auf, das Blitzlichtgewitter setzte ein, die Buh- und Jubelrufe wurden lauter.
Noch bevor ich Netanjahu zu Gesicht bekam, verspürte ich einen stechenden Schmerz im linken Fuß. Irgendein gewichtiges Individuum hatte sich auf meinen Fuß gestellt und fühlte sich dort wohl, ja die Person schien sich auf meinen Fuß zu drehen bis es quietschte.
Schließlich erkannte ich, wer meinen Fuß als Plattform missbrauchte, es war Netanjahu selbst. Milde lächelte der Ministerpräsident von meinem Fuß aus in die Kameras. Für einen kurzen Moment spielte ich mich dem Gedanken Bibi wegzustoßen, um meinen Schmerzen ein Ende zu bereiten. Ich entschied mich dann allerdings doch dafür, den Märtyrer zu spielen. Nach einigen Minuten zog Netanjahu, dieses politische Schwergewicht, weiter. Verärgert humpelte ich durch Tel Aviv.
Als ich am Abend bei meiner Gastgeberin Avivit eintraf, empfing diese mich lachend mit folgenden Worten: "Ich habe Dich heute im Fernsehen gesehen, direkt hinter Netanjahu, es lief in den Nachrichten. Hast Du es eigentlich schon einmal als Comedian versucht? Du hast ein Gesicht gezogen, wirklich drollig, als würde Dir die Anwesenheit Netanjahus persönlich Schmerzen bereiten."
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