Der Iran wolle die Atombombe nicht, um damit Israel zu vernichten, sondern um das strategische Ungleichgewicht gegenüber den Vereinigten Staaten auszugleichen, lautet eine seiner Thesen: Die Rede ist von Prof. Dr. Martin Van Creveld. Er gilt als einer der führenden israelischen Militärhistoriker weltweit. Creveld hält die Gefahr, welche von einem atomaren Iran ausgehen könnte, für übertrieben. Ramon Schack hat mit ihm dahingehend für interscenar.io ein Interview geführt.
I: David Ben Gurion hat den Iran immer als einen natürlichen Alliierten betrachtet, als einen potentiellen Partner Israels, aufgrund seiner geopolitischen Position als nicht-arabische Regionalmacht in der Region. Sind Sie der Meinung, diese Auffassung besitzt heute immer noch eine gewisse Gültigkeit, unabhängig von den aktuellen Spannungen zwischen beiden Staaten?
MVC: Ben Gurions Theorie basierte auf der sogenannten Sandwich-Theorie der internationalen Beziehungen, wonach der Feind eines Feindes ein Freund ist.
Ben Gurion sprach von den sogenannten peripheren Staaten, den nicht-arabischen Staaten, wie Äthiopien, die Türkei und den Iran, mit denen Israel eine enge Kooperation anstreben sollte, um der Umzingelung durch feindlich gesinnte arabische Staaten, in der unmittelbaren Nachbarschaft, zu entgehen. Das hat damals funktioniert. Bis 1979 war der kaiserliche Iran ein enger Verbündeter Israels. Sogar nach der Revolution dort, während des ersten Golfkrieges zwischen dem Iran und Irak, in den 1980er Jahren, verkaufte Israel Waffen an den Iran und schickte militärische Berater, um die Iraner beim Kampf gegen Sadam Hussein zu unterstützen.
Seit 1988, seit dem Ende dieses Krieges, hat diese Theorie allerdings nicht mehr funktioniert. Ob eine Neuauflage möglich ist? Vielleicht. In diesem Zusammenhang fällt mir ein Zitat von Lord Salysbury ein, der Ende des 19. Jahrhunderts mehrere Male Premierminister von Großbritannien war "Großbritannien hat keine ewigen Freunde, aber ewige Interessen!"
I: Sie haben einmal den Iran als den wahren Sieger des Irak-Krieges von 2003 bezeichnet. Ferner vertreten Sie die Auffassung, die Welt müsse lernen mit einem nuklearen Iran zu leben, wie wir auch gelernt haben mit einem nuklearen China oder einer nuklearen Sowjetunion zu leben. Weshalb sind Sie der Überzeugung, Israel sei nicht in Gefahr, von einem nuklearem Iran angegriffen zu werden, wie es die veröffentlichte Meinung im Westen bisweilen suggeriert?
MVC: Mit dem Sturz des Hussein Regimes im Irak, wurde der gefährlichste Gegner des Iran am Persischen Golf entscheidend geschwächt. Durch den Aufstieg der Schia im Irak, seit dem Jahr 2003, ist der iranische Einfluss dort stetig am wachsen. Ich denke, es besteht kein Zweifel darüber, dass der Iran der große Sieger dieses Krieges war und ist. Es gibt zwei Gründe, warum ich der Meinung bin, Israel ist nicht in Gefahr von einem nuklear bewaffnetem Iran angegriffen zu werden.
Erstens, besteht die wahre Motivation für eine mögliche nukleare Bewaffnung des Irans nicht in einer Konfrontation mit Israel, sondern sie dient der Selbstverteidigung, gegenüber eines möglichen amerikanischen Angriffs. Zweitens, besitzt Israel genug schlagkräftige Möglichkeiten einen iranischen Angriff abzuwehren, sollte es dazu kommen.
So suizidal ist die iranische Führung nicht veranlagt, um diese erwähnte Möglichkeit in Betracht zu ziehen. Ich habe auch noch keinen erwähnenswerten Iran-Experten getroffen ,der davon ausgeht, der Iran plant einen Atomkrieg gegen Israel. Die Gefahr einer iranischen Atombombe wird permanent übertrieben.
I: Wie sollte Israel auf den erwähnten Aufstieg der Schia, innerhalb der Islamischen Welt, reagieren? Dieser Aufstieg wird ja vom Iran unterstützt. Mit der Hisbollah im Süden des Libanons ist Israel ja direkt von diesem historischen Prozess betroffen, wie der Krieg von 2006 verdeutlichte.
MVC: Israel hat fast keine Möglichkeiten den Aufstieg der Schia zu stoppen. Sollte Israel aber von einem schiitischen Staat oder einer schiitischen Bewegung angegriffen werden, dann wird es sich verteidigen.
I: Vielen Dank Prof. Dr. Martin Van Crefeld.
MVC: Sehr gern.
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