#Zentralasien droht weiterhin ein Flächenbrand. Ramon Schack führte für interscenar.io ein Interview mit Peter Scholl-Latour zur Situation in Kirgistan. Trotz des z.Z. abschwellenden Interesses in den westlichen Medien immer noch ein hochbrisantes Thema.
I: Herr Scholl- Latour, rund 2 Monate sind seit den blutigen Unruhen in Kirgistan vergangen. Inzwischen scheint sich die innenpolitische Lage dort stabilisiert zu haben. Handelt es sich um die sogenannte Friedhofsruhe?
PSL: Mit Sicherheit. In Kirgistan bündeln sich ja die Konfliktfelder Zentralasiens wie in einem Brennglas. Von dem Fluch der Geographie einmal ganz zu schweigen. Kirgistan ist und bleibt mittelfristig ein instabiler Staat, in einem instabilen geopolitischen Umfeld.
I: Im vergangenem Jahr haben Sie Kirgistan bereist, unter anderem auch die Stadt Osch, welche kürzlich in die Schlagzeilen geriet, aufgrund der schrecklichen Pogrome. In Ihrem letzten Buch "Die Angst des weißen Mannes", widmen Sie dieser zentralasiatischen Republik ein ganzes Kapitel. Haben Sie während Ihres Aufenthaltes die aktuellen Ereignisse schon erahnen können?
PSLr: Natürlich habe ich Kirgistan nicht zufällig, oder gar aufgrund seiner landschaftlichen Schönheiten, als Reiseziel aufgesucht. Gerade aufgrund des dortigen Einflusses, von Amerikanern und Russen, der strategischen Lage, als Rückzugsgebiet für die ISAF- Truppen aus Afghanistan, sowie der erdrückenden und spürbaren Nähe der Volksrepublik China, im Verbund mit der innenpolitischen Ausgangslage, waren Unruhen vorauszusehen. Spannungen waren damals schon spürbar ,besonders aber der Unmut über den inzwischen gestürzten Präsidenten Bakijew.
I: Bakijew kam ja im Jahr 2005, während der sogenannten Tulpenrevolution, an die Macht.
PSL: Richtig, diese vom Westen unterstütze Bewegung ist ja genauso gescheitert wie die sogenannte "Orangene Revolution" in der Ukraine, oder die Rosenrevolution in Georgien. Überhaupt hätte man den damals amtierenden Präsidenten Kirgistans im Amt belassen sollen.
I: Weshalb?
PSL: Weil er, im Gegensatz zu seinen Kollegen ,in den zentralasiatischen Nachbarstaaten, oder seinem Nachfolger, nicht aus der ehemaligen sowjetischen Nomenklatura stammte, um sich dann über Nacht -von einem Kommunisten in einen orientalischen Despoten- zu verwandeln.
Bakijews Stern begann ja zu sinken, als Russland der kirgisischen Regierung einen großen Kredit angeboten hatte, für das Versprechen, den Amerikanern die Erlaubnis für deren Militärbasis zu verweigern. Bakijew hatte dieses Angebot ausgeschlagen, dafür aber einen höheren Kredit der USA angenommen. Außerdem gab es in Moskau Pläne, eine zweite Militärbasis zu eröffnen, worauf die gestürzte Regierung mit extremer Zurückhaltung reagierte. Für die Amerikaner, übrigens auch für die Bundeswehr, spielt Kirgistan eine wichtige Rolle als Transport- und Rückzugsgebiet, für die jeweiligen Truppen in Afghanistan. Bei den Russen sitzt hingegen die Furcht tief, der revolutionäre Islamismus könnte sich auf das eigene Staatsgebiet ausweiten und dort die eigenen muslimischen und turksprachigen Völker erfassen.
I: Sie sehen also ausländische Kräfte am Werk, bezüglich der jüngsten Unruhen in Kirgistan?
PSL: Nun, inzwischen haben die ausländischen Mächte, welche die Region, aufgrund ihrer geostrategischen Bedeutung, natürlich beeinflussen, wohl jegliche Kontrolle verloren. Bei den Ausschreitungen gegenüber der usbekischen Minderheit kamen uralte Spannungen zum Ausbruch, zwischen diesen beiden turksprachigen und muslimischen Völkern .
Die Usbeken beherrschen den Handel, sind in der Regel deutlich wohlhabendender als die Kirgisen, dafür aber kaum im Staatssektor präsent. Usbeken leben ja nicht nur in Usbekistan selbst, oder als Minderheit in Kirgistan, sondern sind fast über alle zentralasiatischen Staaten verstreut. Mit über 25 Millionen Einwohnern stellen die Usbeken ja auch die bevölkerungsreichste Ethnie in der Region dar. Aufgrund der schrecklichen Ereignisse, haben sich diese Konflikte noch verstärkt und werden, eher früher als später, erneut zum Ausbruch kommen. Zentralasien droht weiterhin ein Flächenbrand.
Add new comment