Wissen ist eine Glaubensfrage

Gabor Munier
Geschrieben von:

Gabor Munièr

Autor, freier Kolumnist, Essayist

Geschichte und Wahrheit

Wissen ist eine Glaubensfrage

ist worauf man sich geeinigt hat

Preview Abbildung von nachdenkender Statue

"Denken". | photo by daniel defco | provided by Flickr | © CC BY-NC-ND 2.0

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Lesedauer: 4 mins

Demontage des Selbstbewusstseins durch Schuldinjektion, Denunziation arttypischen Verhaltens zur Reduktion des Menschseins als Tier, #Missbrauch der Ethikdebatte für Wahrheitskonstrukte, Lebensweisheiten als Überlegenheitskonzept, Bauernweisen zur Orientierung in einem altklugen Kosmos, Postkartenphilosophie zur Demonstration von Intellekt. Hier ist eine der bedenklichsten Facetten der menschlichen Kommunikation am Werk: Die Vereinfachung.

"Was? Du kannst es nicht in einem kurzen Satz sagen? Dann ist es falsch!" - Philosophie auf Postkartensprüche und Bauernweisheiten reduziert, einen Moment oder Gedanken auf #Twitter in 140 Zeichen gequetscht, Politik auf Wahlsprüche und Geschichte auf Spielfilm-Klischees herunter summiert, in konsumierbaren kleinen Häppchen, so wie der Aperitif zum Sekt-Empfang. Die Leichtigkeit des Seins mit einem Hauch von Intellekt und Ingwer.

Nichts ist einfach im Leben. Wer es sich zu einfach macht, macht dies auf Kosten anderer. Wir hoffen, dass es auf alles eine einfache Antwort geben muss. Machen wir uns Sorge um unsere Ernährung, kaufen wir mit Bio-Siegel. Beim Gang zur Wahlurne hilft uns der #Wahlomat. Läuft die Beziehung nicht so gut, fragen wir unser Frauen - oder Männermagazin des Vertrauens und beteiligen uns am Hashtag #itsover und während wir unser Leid klagen zählt der Countdown von 140 Zeichen abwärts. "Määäp!" Minus -14 Zeichen (zuviel). Bitte kürzen Sie ihre Nachricht. Und wissen wir mal gar nicht mehr weiter, findet sich ein von der Geschichte zum Denker erklärter weiser Mann mit hoher Stirn und hilft uns mit einem seiner Zitate auf die Sprünge.

Wir haben Angst vor komplexen Fragen und ihrer Beleuchtung, wollen die Dinge immer schön einfach und glauben sogar daran, dass die Vereinfachung aller Dinge eine eigene Weisheit birgt die sich allein in der Kürze und Knackigkeit belegt und in der Zukunft nicht die Ausnahme sondern die Regel ist, und vergessen völlig dabei, dass es mal einen Grund gab, warum wir uns von "ugah-ugah"-Lauten, Höhlenmalerei - auch wenn sie wundervoll ist - und gezeichneten Symbolen für Gegenstände zu einer komplexeren Sprache entwickelt haben: Um komplexen Themen in der Kommunikation gerecht zu werden, mehr Perspektiven auf eine Aussage zuzulassen. Aber der Zenit scheint erreicht. Der Trend geht zurück zu "ugah-ugah" - nur leider ohne die Höhlenmalerei - und unser Antrieb zu immer höheren Errungenschaften der Menschheit schrumpft, schrumpft wie der Entdecker in uns unlängst schrumpft weil wir alles mit Zynismus auf das Schlechte im Menschen reduzieren, nur noch abwinken mit "so ist das nun mal", das fragende Kind in uns töten. Vom fragenden Kind zum resignierenden Erwachsenen. Vom "warum ist das so" zum "darum ist das so". Auf jede Frage nur EINE zugelassene Antwort, nur EINE Perspektive, die fortan dann die Wahrheit sein muss, um die Dinge einfach zu halten. Alles andere ist intellektuelles Gehabe, Gutmenschentum und Heuchelei. Aber was sagt es über sie aus?

Interscenario versucht dem entgegenzuwirken, verschiedene Blickwinkel auf ein Thema zuzulassen und hofft dabei auf die Unterstützung von interessierten und sachlichen Autoren. Ich hoffe aufrichtig wir können hier "mehr"-dimensionalen Lesestoff zu verschiedenen Themen bieten, denn es gibt - und das sei auch allen Verschwörungstheorie-Blogs ans Herz gelegt - nicht DIE EINE Wahrheit.

Man fasse sich bitte mal mit dem Wahrheitsbegriff philosophisch auseinander, lese Abhandlungen und Kritiken über den Wahrheitsbegriff in der Ethik. Stoff dazu gibt es zur Genüge. Klar, man muss erst einmal an diesen haushohen Pyramiden von Bohlen-Biografien und Muschi-Romanen vorbei. Aber ganz hinten, in so einer kleinen unscheinbaren Ecke, da stehen Bücher die sind wahrer Geist, der Mensch auf seinem Höhepunkt kurz vor dem Eintritt in die Telepathie und Ewigkeit, pures TNT geistiger Arbeit von Menschen aus Jahrhunderten. Da sind Botschaften wie aus einer Zeitmaschine unserer eigenen Gattung zu finden, verfasst von Denkern, die sich ihr Leben lang damit beschäftigten etwas im Universum von uns zu hinterlassen. Und das nicht ohne Grund: die akzeptierte Wahrheitsfindung trotz Wissen darum, dass es sie nicht gibt und ihre unendlichen Fassetten sind in der Philosophie und im Streben des Menschen seit Jahrhunderten ein ewig anhaltendes Thema gewesen und haben ihn hierher gebracht.

Hier, wo du mit einem Smartphone die Landung der Sonde auf dem Meteoriten anschaust, mit dem Auto, dem Flugzeug, dem Schnellzug auf die andere Hälfte deines Planeten fliegst um deren Bräuche und Sprache zu bestaunen, du ein Mondhotel planst und Daten täglich rund um die Welt fliegen als wären es Moleküle in der Luft. Und das sind nur die rein technischen Errungenschaften die aus der Akzeptanz des Komplexen hervor gehen. Das selbe betrifft Ethik, Moral, Philosophie, das Gesellschaftsbild, das Rechtssystem. Alles wurde mal mit der Erkenntnis dass es nicht eine Wahrheit gibt, und das eben NICHTS einfach ist, verbessert, ausgebaut, voran gebracht.

Solang der Mensch noch keine telepathischen Fähigkeiten entwickelt hat die zumindest eine Trefferquote haben von 50%, warne ich vor der Vereinfachung von Gedanken und Sprache. Auch sie sind in der Übertragung fehleranfällig, haben aber ein Debug- und Betaphase von vielen vielen Jahrhunderten Entwicklung hinter sich.

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