Sinkflug der medialen Ohnmacht

Gabor Munier
Geschrieben von:

Gabor Munièr

Autor, freier Kolumnist, Essayist

Abgestürzter Journalismus Inklusive

Sinkflug der medialen Ohnmacht

Jede Antwort ergibt mehr Fragen

Preview Abbildung von Airbus A319 Cockpit

"Airbus 319 Cockpit". Die Germanwings/Eurowings Flotte besteht aus Fliegern des Typs Airbus A319 - dessen Cockpit hier zu sehen ist, Airbus A320, Airbus A330 und Bombardier CRJ900 NextGen. Der moderne Bestand wird kontinuierlich auf dem neuesten technischen Stand gehalten. Für die regelmäßige Wartung unserer Flotte nutzen wir dabei die weitreichende Kompetenz unseres eigenen Technikbetriebes sowie der Lufthansa Technik. (Zitat zur Flotte von Germanwings) | photo by Ralf Roletschek | provided by Wikimedia Commons | ©  CC BY-SA 2.5

Preview Abbildung von Kunstwerk Daniel Defoe in the pillory

"Daniel Defoe in the pillory", 1862, line engraving by James Charles Armytage after Eyre Crowe. Symbol für das Gesellschaftsphänomen und Ursprung der Redewendung: "An den Pranger stellen". Der Sinkflug der Moral. Das schnelle benennen eines "Schuldigen" hat Tradition in der Menschheitsgeschichte, doch nie zuvor ging das so schnell wie heute im Presse-, Medien- und Internet-Jungle. Schon kurze Zeit nach dem Absturz, und vor dem Auswerten der Flugschreiber, sang die breite Masse - auch die der Presse - im Tenor. Das Flugabstürze oft viele Jahre brauchen um richtig ausgewertet zu werden, interessiert keinen mehr. | artist James Charles Armytage | provided by Wikimedia Commons and National Portrait GalleryNPG D2258 | Weiterführende Info zu den Nutzungsrechten (engl.) | © CC BY-NC-ND 2.0

Preview Abbildung von Turkish Airlines Airbus A321 Cockpit Karakas

"Turkish Airlines Airbus A321 Cockpit". Cockpit eines Airbus A321 dem Nachfolgemodell des Airbus A320, welcher für den Germanwings Flug 4U9525 eingesetzt wurde. | photo by Ercan Karakas | provided by Wikimedia Commons | ©  GFDL 1.2

Preview Abbildung von Andreas Lubitz Hetzjagd auf Facebook

"Andreas Lubitz Hetzjagd auf Facebook". Eine Hetzseite gegen Andreas Lubitz auf Facebook, die kurz nach dem Absturz von Flug 4U9525 von Unbekannten veröffentlicht wurde, noch bevor alle Fakten die zum Unglück der Maschine führten bekannt waren.

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Lesedauer: 17 mins

HIER NOCH EIN PAAR INTERESSANTE RECHERCHE LINKS (WEITERE BEFINDEN SICH UNTER DEM ARTIKEL)

blick.ch - geschmacklose Aufmacher zieren die Titelseiten Der befragte Experte lässt Raum für unnötige Spekulationen: Spezifische Schulungen gegen potenzielle Suizidgefahr gibt es bei Piloten nicht ..., sagt Aviatikexperte Tim van Beveren, der wohl seit Jahrzehnten Unfälle der Zivilluftfahrt analysiert, "die Psyche wird jedenfalls nicht durchleuchtet, solange nicht Indizien einer Suizidgefahr sichtbar sind." Es gab zwar bereits Suizide von Piloten, aber kaum im Flugzeug. -"Entscheidend ist nun eine saubere Unfallanalyse der zuständigen Behörden" Grenzt er zu spät ein  "Dass der ermittelnde französische Staatsanwalt bereits in dieser frühen Phase der Untersuchung von einem bewusst eingeleiteten Sinkflug des Todes-Piloten sprach, sei vor diesem Hintergrund zumindest ungewöhnlich."

Die Welt - sieht es auch auf die Psyche des Piloten ab "Körperlich werden die Piloten der Lufthansa regelmäßig untersucht. Auch eine Sicherheitsüberprüfung findet wiederholt statt. Die psychische Eignung für den Beruf wird allerdings nur einmal getestet."

Pilotenausbildung - Der Pilotentest gilt als einer der schwierigsten Einstellungstests in Deutschland. Schon von vorneherein ist klar, dass nur ein geringer Prozentsatz der Bewerber den Test bestehen kann. Da nur ein einziges Mal am Test teilgenommen werden darf, ist es ratsam sich sorgfältig darauf vorzubereiten.

DLR - http://dlr.de/ - "Um Piloten auf die Situationen im vorzubereiten, bedarf es besonderer Anstrengungen bei der psychologischen Eignungsbeurteilung und im Training. Neben der Informationsverarbeitung auf hohem Abstraktionsniveau gewinnen Persönlichkeitsfaktoren für die Berufsbewährung bei operationellem Personal zunehmend an Bedeutung, ebenso wie so genannte "Non-Technical-Skills". Dazu gehören die Entscheidungsfindung und Problemlösung unter hohem Aufgabendruck, die eindeutige Kommunikation sowie das kooperative Teammanagement. Sicherlich kann ein solches Verfahren nicht alle Risiken einer individuellen negativen Entwicklung ausschließen, zumal die Diagnostik psychiatrischer Auffälligkeiten nicht Teil der psychologischen Untersuchung beim DLR ist."

Besonders interessant war ein Gespräch das wir im Piloten Forum verfolgten - http://pilotenboard.de/ Viele der Kommentatoren in diesem Forum für professionelle Piloten wundern sich über die langsame Geschwindigkeit mit der der Airbus verunglückte. Es sei ein sehr "gemütlicher Sinkflug" gewesen. Wenn der Co-Pilot das Flugzeug absichtlich in den Berg fliegen wollte, hätte er es wohl in einem schnelleren Sinkflug getan, da ja schon vom Kapitän versucht wurde die Tür gewaltsam zu öffnen. Hier einige der Kommentare:

A319-Alex, Senior First Officer - Anmeldungsdatum: 28.01.2007 - Beiträge: 52
Do März 26, 2015 10:31 pm - Mal ne andere Frage: Angenommen, ich bin als Copi auf dem Flug, will mich und alle anderen umbringen und habe den Kapitän bereits erfolgreich ausgesperrt und den Sinkflug mit relativ gemütlichen 3.000 fpm eingeleitet. - Wieso um alles in der Welt würde ich nicht einen Sturzflug hinlegen? Bei andauernden Tritten und Schlägen gegen die Cockpittür, was alles 50cm hinter mir stattfindet und ich jederzeit damit rechnen muss, dass die Tür aufgeht, ich von den restlichen Besatzungsmitgliedern überwältigt werde und den Rest meines Lebens im Knast sitze? Mein einziges Ziel ist es doch dann, so schnell wie möglich den Flug zu beenden. - Es wird ja bekanntlich von einem relativ ruhigen, gleichbleibenden Atmen des FOs geredet. Bei obiger Schilderung würde, glaube ich, so gut wie niemand ganz locker und entspannt dasitzen, und einfach die 8 Minuten Sinkflug abwarten, ohne dass sich irgendwie Puls oder Atmung hörbar verändern... Das gibt mir etwas zu denken... Beste Grüsse, Alex

DLH458 - Captain - Anmeldungsdatum: 03.01.2011 - Beiträge: 194
Do März 26, 2015 10:24 pm - Ich habe gerade etwas sehr bemerkenswertes was mir durch den Kopf geht: Meines Wissens nach erklingt eine laute Terrain Alert, wenn man als Flugzeug einem Berg zu nahe kommt... wieso zum Teufel wird berichtet, es gäbe nur die Atemgeräusche des Co-Piloten. Normalerweise müsste doch ein "TERRAIN TERRAIN HORN UP!" kommen?? oder irre ich mich?! Surprised ...

Austriawings Andreas L (28), jener First Officer von Germanwings, der nach dem derzeitigen Ermittlungsstand vor zwei Tagen absichtlich einen Airbus A320 mit 150 Menschen zum Absturz gebracht haben soll, dürfte Depressionen gehabt haben. Das schreibt Spiegel-Online-Reporter Matthias Gebauer auf Twitter und Berufung auf Freunde des Piloten. Demnach habe L seine Ausbildung an der Pilotenschule der Lufthansa im Jahr 2008 für ein halbes Jahr unterbrechen müssen. Zu den Gründen dazu verweigerte die Lufthansa auf einer heute abgehaltenen Pressekonferenz jede Angabe. Allerdings berichten mittlerweile mehrere deutsche Medien, dass diese Auszeit wegen „Burnout-Syndrom oder Depression“ erfolgt sein soll. (Was wir uns von Interscenario nur fragen ist: so jemand schickt doch aber nicht 150 Menschen mit in den Tod? Das wäre doch dann kein Burn-Out und auch keine Depression mehr, sondern eher eine Psychose?)

Der Deutschlandfunk brachte die Mediale Perversion auf den Punkt: "75 Euro für ein Interview" - Aber irgendwie spielen die, wie das medienwissenschaftlich so schön heißt, Rezipienten, die ja schon einiges gewohnt sind, vor allem von der Bild, diesmal nicht mit. So twitterte Sascha Mohr heute Nachmittag: "Leute, ich kotz gleich, da stehen zahlreiche Fernsehteams in Montabaur und bieten den Leuten 75 Euro für ein Interview." Konstantin Winkler gratuliert der Springer-Presse ebenfalls über Twitter. "Die "Welt" macht eine psychoanalytische Auswertung des Co-Piloten anhand seiner Facebook-Likes? Na, Glückwunsch."

Deutschlandradio Kultur lässt wenigsten Experten mit Vernunft zu Wort kommen: Psychologe bezweifelt erweiterten Suizid des Co-Piloten. Beim erweiterten Selbstmord würden Betroffene eher nahe Verwandte mit in den Tod nehmen. "Für das, was hier passiert ist, gibt es in der Forschung noch keinen Begriff", erläuterte Fiedler.

Der Flug Germanwings 4U9525 von Barcelona nach Düsseldorf. Eine Tragödie, die für viele immer noch nicht zu greifen ist, unwirklich, erstickend, lähmend. Sprecher zuständiger Unternehmen verschlägt es selbst nach 48 Stunden vor laufenden Kameras die Sprache, ringen mit ihrer Fassung, sagen es würde mit den Stunden auch nicht besser. Die Neuigkeiten überschlagen sich. Fast jede Zeitschrift hat einen sich stündlich aktualisierenden Newsticker eingerichtet, den Gewissens-Kommentator, der die Pietätlosigkeit der anderen Zeitungen anprangert rechts in der Kolumne inklusive. Die sozialen Netzwerke quellen über mit immer neuen falschen Informationen und wirren Spekulationen, versuchen das Unfassbare irgendwie fassbar zu machen. Aber da steht Ihnen die Presse in nichts nach.

Interscenario verzichtete in den ersten 48 Stunden auf Kommentare dazu, sendete per Twitter und #Facebook nur kurze und aufrichtige Beileidsbekundungen an die armen Zurückgebliebenen, jene die noch am Leben sind und damit leben müssen, dass ihre Angehörigen, Freunde, Kinder, Eltern, Geliebte, Partner und vielleicht sogar der einzige Mensch, zu dem man wirklich eine tiefe Verbindung hatte, auf so schrecklich Weise aus dem Leben gerissen wurden. Dann wurde es erst einmal still bei uns. Wir können es uns leisten, brauchen keine Quote. Wir leisteten uns den Luxus des Respekts gegenüber den Opfern. Und wir ertrugen die Vorstellung nicht, was die Angehörigen gerade durchmachten. ... Und in meinem Kopf brodelte es ...

Auch rief es natürlich gleich wieder die naserümpfende Zyniker auf den Plan, die die Menge der sich betroffen ausdrückenden Menschen ja fast schon belächelten und lamentierten, dass es albern sei, sich in dieses sicherlich tragische Ereignis hineinzusteigern, während in der Welt tagtäglich schreckliche Unglücke passierten. Aber letzten Endes ist das auch nur eine Form ihrer Verarbeitung, weil sie selbst nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen, weil sie es nicht ertragen es an sich heran zu lassen und wie man sieht, ja auch nicht unkommentiert lassen konnten.

Mir schnürt es den Hals zu. Immer noch. Stündlich. Jedes mal wenn ich wieder etwas darüber lese. Und natürlich frage auch ich mich als Publizist, warum ist das so? Kenne ich doch die Relativität des Leids in Presse und Nachrichten, kenne die globalen Ungewichtigkeiten der Empathie durch die Verschiebung von Fokus und menschlichem Affekt. Will mich nicht vor mir selbst lächerlich machen. Aber es ist nun mal unbestritten eine der schlimmsten Flugzeugkatastrophen Deutschlands. Das wurde mir bereits nach wenigen Minuten der ersten Meldung klar. Die Umstände daran waren dabei entscheidend. Die Ohnmacht und Machtlosigkeit ist hier nicht zu unterschätzen. Ein Flugzeugunglück diesen Ausmaßes und ohne dass jemand etwas dagegen tun konnte, ist einfach beispiellos in den zweifelsohne ebenso schrecklichen Ereignissen, die wir in dem Moment nicht mitbekommen aus aller Welt. Und das aller schlimmste ist das was wir nicht mitbekommen werden: Wenn die Angehörigen still und im Verborgenen den Verlust nicht bewältigt bekommen, nach Monaten, Jahren, aufwachen und den Namen rufen, weil der Körper es immer noch nicht begriffen hat.

Ich saß bei uns im Büro und die ersten Informationen waren gerade erst ein paar Minuten alt und ich versuchte meine glasigen Augen vor den anderen zu unterdrücken, da merkte ich wie sich meine Augen beim Überfliegen der ersten Fakten zusammenkniffen wie bei einem alten Jäger in der Prärie und mein Kopf eine Schräghaltung einnahm wie ein Hund der etwas seltsam findet. Ich fixierte die Infos vor mir und ohne meinen Blick davon abzuwenden bat ich meine Kollegen mir bitte schnell beim Sammeln einiger Fakten zu helfen, die in der Schrecksekunde in den Medien wohl erst einmal untergegangen waren. Mich aber rissen sie aus der Betroffenheit und Bestürzung und ich war hellwach. Auch war mir plötzlich klar worauf es ankommt: Ich wollte die Gunst des Schrecks nutzen und schnell wissen, wer die Passagiere waren, in welchem Verhältnis sie zu aktuellen Geschehnissen in der Welt stehen, wollte wissen ob und wie das Ausland berichtete. Ob es Ungereimtheiten im zeitlichen Ablauf der News gab oder wie schnell Wikipedia mit Todesmeldungen war. Und zwar noch bevor die Aufräum-Arbeiten im Netz begannen.

Wir sind keine Tageszeitschrift. Wir informieren nicht, sonder reflektieren, recherchieren, analysieren, rezensieren nur. Also hätten wir es auch dabei belassen können nichts dazu zu schreiben. „Aus Rücksicht vor den Angehörigen.“ Aber ist das wirklich rücksichtsvoll? Vor allem wenn man bereits vor allen anderen das Gefühl hatte, da stimmt etwas nicht? Wollte ich auch erst. Aber genau bei dem Analysieren und Rezensieren gab es jetzt eine wachsende Überschneidung zum Informieren. Fragen hörten nicht auf in mir anzuklopfen. Es musste raus. "Aber mehr als einen Artikel werden wir dazu nicht schreiben, da muss alles rein und Schluss!", - beschloss ich.

Von der ersten Minute an waren - abgesehen vom Erklärungsbedürfnis des Unfassbaren - Dinge unschlüssig, kamen mir seltsam, oder um es nicht zu reißerisch zu formulieren zumindest dringend "recherchierungsbedürftig" vor. Ich wollte mir Abstand zu übereiltem Misstrauen bewahren, auch nicht mitmachen in dem bestimmt bald aufkommenden Medien-Wahnsinn, aber rein investigativ ging bei mir schon im ersten Anflug eingehender Informationen und der Umstände die rote Lampe an, stellten sich mir Fragen, sah ich Lücken, die im Laufe der hereinkommenden Neuigkeiten nicht weniger, eher mehr wurden.

"Was ist mit dem Datenschutz?" - fragte ich vorahnend noch bevor überhaupt klar war was passiert ist meine irritierten Kollegen. "Das wird kommen!", hallte es zynisch zurück aus dem Büro. "Ja." , sagte ich. Die Passagierliste wird als erstes verschwinden, dachte ich sofort. „Zum Schutz der Familien“. So war meine Sorge. Zum Einen richtig, aber zum Recherchieren schlecht. Und siehe da, erste Daten, die im Netz aufpoppten, verschwanden schnell wieder. Und eigentlich wehrte sich alles in mir weiterzudenken. Die Vernunft will einen zwar immer wieder davon abbringen und sagen: "Das ist alles Quatsch! Lass es. Das macht das Medienspektakel nicht besser." - aber es gab immer wieder diese kleinen Ungereimtheiten, wo ich merkte, wie es in mir zuckte. Und das waren noch nicht einmal die offensichtlichsten, sondern eher die winzigen Widersprüchlichkeiten. Winzige Kleinigkeiten, die im Nebensatz erwähnt oder weggelassen wurden. Und es sah nicht so aus als würde jetzt gerade jemand von den Medien gern die Kleinigkeiten nachprüfen, durchschauen wollen. Anstatt am Schreibtisch zu arbeiten, gründlich zu recherchieren, was eventuell im Verborgenen liegt, zogen es die Reporter vor, den Leuten vor Ort im Weg zu stehen, Ü-Wagen Kolonnen vor den Bergen und den Häusern der Angehörigen zu bilden, Verwandte zu belästigen, Passanten Geld für Interviews zu bieten und den Äther mit ihrem halbgaren Senf zu füllen. Und wie ich vom ersten Moment an ahnte, zu 80% schlecht oder falsch recherchierter oder kopierter Info-Müll. Die Entschuldigungen zu Falschmeldungen werden nicht lang auf sich warten lassen. Aber wir müssen ja die ersten sein. Fazit: Mit dem #Flugzeug stürzte auch gleich noch der Journalismus ab ...

Während ich mit meinem Gespür für die Merkwürdigkeiten an dem Fall kämpfte und versuchte mich davon abzubringen, den vom ersten Moment an offensichtlichen Fragen nachzugehen, schlachtete die Medienwelt das Spektakel aus. Was mich erst noch mehr davon abhielt mich darauf einzulassen. Aber die Fragen drängten sich mir auf und gaben keine Ruhe: Da wäre zum Beispiel die Absturzstelle. Weit weg von jeglicher Zivilisation und in schwer begehbarem Gebiet mit Null Chance der Identifizierung von Personen, während Passagierlisten unter den Datenschutz fallen und verschwinden. Welch Gelegenheit jemand gleich mit verschwinden zu lassen. Später sah ich das Foto, fragte mich wer es gemacht hat und wie die Maschine so pulverisieren kann. Und versehentlich ein Berg im Weg? Nein, dachte ich: das war kein technischer Defekt. Vom Sinkflug wusste noch keiner etwas aber ich ahnte bereits, dass die Maschine da nicht versehentlich einen Berg übersah und das Thema aufkommen wird. "Aber wenn es aufkommen würde", sagte ich "bin ich ja mal gespannt wie sie das versuchen werden zu erklären. Eine solche Maschine kann technisch nämlich nicht einfach gegen einen Berg gesteuert werden."

Wir stöberten in den hintersten Ecken des Webs und telefonierten herum. Wir haben Such-Algorhythmen über Terminalbefehle, die das Refresh von Seiten im Web und Artikel-Revisionen z.B: bei Wikipedia die Todesdatumseinträge bei öffentlich bekannten Personen berücksichtigen und ich riet meinen Kollegen in Barcelona anzufangen, weil Düsseldorf wird schwieriger. Weitere Namen der Passagierliste über die bereits bekannt gemachten hinaus, die wir auf Grund meines Druckmachens erheischen konnten, machten mich stutzig. Zu dem Zeitpunkt war die Meldung der Tragödie noch nicht einmal in allen Zeitungen angekommen. Wir wussten wir hatten wenig Zeit bevor die Informationen alle verschwinden werden. Wir gruben schnell weiter. Dann kam die Meldung, auf die ich schon gewartet hatte: der Sinkflug. Aus den USA. Moment mal: Aus den USA? Jetzt? Mein rechtes Auge fing an zu zucken wie bei Scrat von Ice Age. Die bereits zuvor von mir innerlich durchgespielte logistische Widersprüchlichkeit, also dass ich mir von dem Moment an, wenn ich vom vermeintlich geplanten Sinkflug hören werde, nicht vorstellen können werde, dass so ein Flugzeug nicht auch gegen psychologische Probleme der Piloten technisch geschützt ist und die Maschine einem manuell eingeleiteten Sinkflug an dieser Stelle computertechnisch „widersprechen“ würde, kam mir wie auf Bestellung zurück in den Sinn. Ich ahnte das würde als nächstes kommen. Und ich wusste bereits für mich, dass es keinen Sinn machen würde. Und ich wusste, dass es ausreichend Beispiele in der Geschichte der Menschheit und der Presse gibt, in der die Einzeltäterschaft genutzt wurde um etwas zu vertuschen. Hatte ich ja zuvor bereits alles im Kopf duchgespielt, falls die Behauptung auftauchen würde. Alle Hemmschwellen gegenüber der Besprechung des Themas waren auf einen Schlag bei mir nun ebenfalls gänzlich abgestürzt. Das konnte nicht in Ruhe gelassen werden.

Genau das Selbe mit dem Türmechanismus. Wir ließen uns gleich Videos und Pläne zeigen, wie diese Mechanismen funktionieren, und ich wurde immer misstrauischer und steckte den Rest der Redaktion damit an. Auch waren wir bereits von erster Sekunde an neben der Passagierliste am Recherchieren, wer die Piloten und das Personal waren und fanden das Verhalten vom Aufpoppen und Verschwinden von bestimmten Nachrichten im Netz seltsam. Auch erfuhren wir viele Stunden vor dem öffentlichen Bekanntwerden des Sinkflugs aus amerikanischen Quellen nicht nur unlängst das über den Sinkflug des Co-Piloten, sondern auch gleich die Namen der Piloten und der Crew mit. Mein Augenzucken fing an epileptische Ausmaße anzunehmen.

Wieso wusste die US Presse vorher mehr als die europäische? Ich schlug vor, ein zweites Mal Wikipedia nach Todesdatum-Korrekturen bei bekannten Persönlichkeiten zu durchkämmen. Erst jüngst regte ich mich darüber auf, wie pietätlos so manche Wikipedianer die Todesmeldungen in die Artikel einarbeiteten, noch bevor überhaupt Menschen geborgen oder beerdigt wurden, wie zum Beispiel bei dem Fernsehproduktionsunglück in Lateinamerika mit den 2 Hubschraubern und den Olympiasportlern an Board, die gestorben waren und Wikipedia beinahe die Todesmeldungen zu stehen hatte bevor es überhaupt geschehen war, so kam es mir vor.

Auf Grund meiner dringlichen Aufforderung da dran zu bleiben, hatten wir innerhalb der nächsten Stunden aus über 24 sich zum Teil unüberlegt verplappernden Quellen, die dies zum Teil auch wieder aus dem Netz heraus nahmen, inklusive Eigenrecherchen und Wikipedia eine fast komplette Passagierliste zusammen bekommen, die wir natürlich nicht veröffentlichen werden, aber die wir brauchten, um alles in Betracht zu ziehen, was man übersehen könnte. Als mein Kollegen mich anfangs fragten, warum ich die so unbedingt haben wolle, sagte ich: "Ich weiß noch nicht. Ich habe so ein mulmiges Gefühl." - Jetzt fragt keiner mehr.

Meine Kollegen trauten den Nachrichten aus den USA nicht, vermuteten dass die Presse sich wohl etwas aus den Fingern sog um etwas berichten zu können, weil die USA ist ja weit weg, und sie schimpften über die wilden Spekulationen, die nun allmählich aufkamen. Auch ich bin kein Freund davon und möchte auch keinen Verschwörungs-Spinnern im Netz in die Hände spielen. Aber es blieben Fragen offen. Und denen musste ich nachgehen. Und ich verdutzte meine Kollegen nicht wenig damit, als ich sagte, dass ich den Nachrichten aus den USA an Ihrer Stelle durchaus Aufmerksamkeit schenken würde, wenn ich sie wäre! Was sich als richtig erwies, denn 12 Stunden später bestätigten das die deutschen Behörden. Woher ahnte ich, dass die US-Presse da keine Falschmeldung veröffentlichte? Oder sagen wir mal so: keine, die später von der europäischen abweichen würde. Immer wieder durchsetzt von Klößen im Hals und nassen Augen, die ich nicht unterdrücken konnte, bei dem Gedanken, wie die Angehörigen am Flughafen Gate standen und auf ihre Liebsten warteten, die nicht kamen. Es schnürt mir immer noch den Hals zu. Dann fing ich an die Wand zu starren und meine Augen wurden glasig. Ich wollte all die Spekulationen und unsere Untersuchungen wegwerfen. "Wir werden mit all den Spinnern in einen Topf geworfen!" - Ich wollte es beenden.

Die alte Frage, die sich Journalisten und Reportage-Fotografen wahrscheinlich mehr als einmal im Jahr stellen müssen: wo hört es auf, wo fängt es an. Was ist hier und jetzt meine Aufgabe und wo ist die Grenze? Oder ist genau das meine Aufgabe? Genau diese Grenze zu überschreiten?

Und natürlich, wie war es anders zu erwarten: Vielleicht war ich sehr schnell am Grübeln, aber im Laufe der Zeit nicht der Einzige, der anfing öffentlich zu grübeln. So stießen wir beim Suchen nach Passagieren immer wieder auf gleich mehrere Seiten, die erklärten warum das aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht ginge. Es war noch ganz frisch, aber wir waren nicht allein am graben. Das stand fest. Das Datenschutzargument lies nicht lang auf sich warten und ich erwartete es eh schon längst und ich muss auch sagen dass ich es zumindest im öffentlichen Raum zum Teil sehr gut verstehe. Aber Aufklärung sollte trotzdem mit an erster Stelle stehen, denke ich. Und es muss die Möglichkeit geben da Transparenz zu demonstrieren.

Wir recherchierten weiter. Und ich bat darum auch jene Passagiere mit zu recherchieren, die den Flug verpasst hatten, umgeplant hatten. Auch sie waren für mich interessant. Am stutzigsten blieb ich weiter gegenüber der in der US-Presse zuerst aufgepoppten und später hier nach gesickerten Geschichte des Verhaltens vom Co-Piloten, der Tür, dem Sinkflug. Natürlich wusste ich gleich, dass spätestens jetzt auch andere öffentlich anfangen werden Fragen zu stellen. Viele bekamen von der US-Presse erst gar nichts mit aber ich hatte das englische Wikipedia und die großen US-Sender und Fernsehen im Blick und war überrascht wie detailliert und ausführlich und schnell dort alles zu finden war, während man hier sagte die Blackbox sei noch gar nicht gefunden worden. Fragen, die ich mir vom ersten Moment an stellte, aber mit dieser Information nicht noch mehr Benzin ins Feuer geben wollte. Ich forderte die Redaktion auf nichts dazu zu schreiben und erst einmal den Co-Piloten zu durchleuchten. Und es tat sich ein erschreckendes Bild der (Un-)Menschlichkeit dabei auf. Wie Menschen in ihrer Empörung diesem Menschen ihre Verachtung aussprachen ohne ihn zu kennen, ohne eine abgeschlossene Untersuchung, fand ich einfach widerwärtig und rücksichtslos.

Was mich in meinen Zweifeln darüber bestätigte, dass man hier das Buch zuklappen könne, waren die Berichte von Freunden und Kollegen seines Segelflugvereins, die ihr Unverständnis über sein Verhalten ausdrückten und der öffentlichen Darstellung gegenüber Vorsicht geboten, weil sie seinem Wesen nicht entspräche. Auf mich wirkten sie sehr vernünftig und glaubwürdig. Auch bestätigte sich die von mir befürchtete öffentliche Hetzjagd im Nachruf gegen ihn, wo Menschen sich mal wieder von ihrer besten Seite zeigten. Wir waren mit die ersten, die diese geschmacklose Hetzjagd-Seite auf Facebook fanden als sie 300-400 Likes hatte und meldeten und reklamierten sie von allen Seiten, wie wir nur konnten, um diese Geschmacklosigkeit zu beenden, und die wir alle Mitleser hier bitten zu melden, da dies Hetze und Verleumdung ist, was da betrieben wird, ohne dass sich die Administratoren zu erkennen geben! Nicht einmal das Foto war korrekt. Selbst das gaben wir zu bedenken und alle ignorierten es. Selbst die große Presse übernahm das Foto, ohne es zu hinterfragen. Es war wie ein Alptraum. Ich hätte vieles erwartet, aber das war unterirdisch.

Mir blieb aber immer noch diese überraschend frühe US-Meldung im Kopf, die vor allen anderen inklusive Namen und Werdegang den Vorgang im Cockpit beschrieb, noch bevor man hier öffentlich überhaupt von der Auswertung der Blackbox sprach. Weitere Recherchen unsererseits offenbarten mir einen öffentlichen Eintrag zu seiner Ausbildung und dem FAA zertifizierten Piloten-Test, dessen Erwähnung ich bis jetzt noch nirgendwo zu dem Zeitpunkt feststellen konnte. (Quelle: http://aviation-business-gazette.com/A44...). Auch waren Wiki-Einträge in den letzten Tagen (vor dem Absturz und kurz danach) heftigst bearbeitet worden, wie zum Beispiel der Artikel zum "Aerotoxischen Syndrom". Und das während in der Presse noch kein Wort darüber viel. Nun sagen Sie mir mal bitte, wie ich das ohne reißerisch wirken zu wollen in einen Artikel über die Merkwürdigkeiten der Berichterstattung einarbeiten soll? Vor allem mit all den anderen technischen Ungereimtheiten die ich hier im Detail nicht beschreiben kann. Auch die nun fast vollständige Passagierliste, die uns vorliegt und die wir natürlich NICHT veröffentlichen werden, ergibt durchaus berechtigte Einwände darüber, ob man es dabei belassen soll, oder ob man weiter recherchieren sollte und darf, und ich gewann zunehmend an Verständnis in der Redaktion über meine skeptische Haltung, die ich von Anfang an gegenüber dieser Tragödie zeigte. Es gab ein Gefühl was bald so stark wurde wie meine Anteilnahme: Misstrauen.

Bei aller öffentlichen Trauer, dem Pressewahnsinn und den zum Teil grenzwertig doppelmoral-behafteten Kommentatoren im Netz, die die Anteilnahme und den Wirbel als Heuchelei abtun: Bitte bleibt bei allem Unglück auf Konstruktivismus ausgerichtet. Nach vorn denken. Öffentliche Anteilnahme ist konstruktiv, egal zu wie viel Prozent aufrichtig! Recherchieren ist konstruktiv! Egal ob uneigennützig oder nicht. Kritik an der öffentlichen Anteilnahme ist destruktiv. Das vernebeln der Sicht durch halbgare Behauptungen vor Abschluss aller Untersuchungen ist destruktiv! Wir entschlossen uns zu diesem Artikel weil wir finden, dass in so einem Fall die Hilfe aller erwünscht sein sollte, so lange dies nicht auf reißerische oder unüberlegte Art geschieht, und weshalb wir auch einige unserer Vermutungen und Nachforschungen hier im Detail bewusst ausgelassen haben. Dennoch möchte wir hier eine Liste an Fragen veröffentlichen und unsere Leser bitten sie gegebenenfalls zu ergänzen oder zu beantworten, falls wir etwas übersehen haben.

  1. Eine Militärmaschine war wohl auf dem Weg den verdächtigen Sinkflug der Passagiermaschine vor Ort zu erkunden oder irgendwie zu beeinflussen, doch kam wohl zu spät. Was für eine Militärmaschine war das, wann flog sie ab, wie viel Zeit hätte sie bis dahin gebraucht und gab es Sichtkontakt?
  2. Der Pilot soll versucht haben die Tür mit einer Axt zu öffnen, oder beabsichtigte das zumindest. Das wäre doch auffälliges Verhalten also warum sollen erst in letzte Sekunde Geräusche beunruhigter Passagiere vernommen worden sein?
  3. Darf ein junger Copilot allein im Cockpit zurück bleiben, und wenn ja, darf er die Türverriegelung nutzen und kennt die Daten dazu?
  4. Diese Türsicherungen haben eine Entsicherungssequenz, die der Pilot kennt. Hat er sie eingeleitet und wenn ja warum hat sie nicht funktioniert? Diese kann laut Hersteller nicht umgangen, nicht weiter blockiert werden.
  5. Der Copilot galt als zuverlässig, warmherzig, psychologisch in Deutschland und in der USA von der FAA als geprüft und ausgeglichen. Welchen Grund kann ein Mensch haben, so eine Entscheidung zu treffen? Gab es jemanden an Board der in einem Bezug zu diesem Copiloten stand?
  6. Wer waren all die Passagiere und in welche Ereignisse waren sie weltweit involviert? Kann es Motive im Zusammenhang mit Passagieren gegeben haben? Auch das sollten Ermittler in Betracht ziehen?
  7. Warum wusste die US-Presse noch vor der Auswertung der Blackbox in Europa von dem manuell herbei geführten Sinkflug und dem versperrten Zugang für den Piloten?
  8. Wer waren die Flugbegleiter und wer war der Pilot. In welchem Verhältnis standen sie alle zueinander? In welchem Verhältnis standen Passagiere an Board zueinander?
  9. Wie verhält sich ein Flugzeug wenn ein Pilot eine manuell ganz offenkundig falsche Entscheidung trifft und gibt es da keine Sicherheitsmechanismen, die das abwehren würden?
  10. Kann ein Passagierflugzeug einfach mitten auf der Route fernab von einem Flugplatz oder einer glaubhaften Landemöglichkeit einen Sinkflug einleiten?
  11. Klatschpresse wie z.B. die scheizer Bild Zeitung namens "Blich" warnt jetzt schon reißerisch im Aufmacher vor Nachahmern des von einem Experten so genannten Suizid-Falles. In wie weit ist das nicht Vorgriff auf ein Verfahren und strafbare Verleumdung und müsste geahndet werden?
  12. Warum wurde der Wikipedia Beitrag Aerotoxisches Syndrom in den letzten Wochen so hitzig mehrfach überarbeitet und wieder rückgängig gemacht ?
  13. Warum wird auf Facebook vor Abschluss aller Untersuchungen eine Hetzjagd gegen den Co-Piloten gestartet und die Administratoren geben sich nicht öffentlich bekannt? (Hinweis weiter unten. Diese Facebook Seite bitte dringend melden!)
  14. Warum sind sich viele Piloten in den Foren der Piloten die ihn oder zum Teil die Situation durchschauen und sich austauschen nicht befragt worden? Da wurden zum Teil hochinteressante Fragen zum Ablauf gestellt wie zum Beispiel das Fehlen des Alarmhorns bei Bodennähe.
  15. Wer sind die Administratoren dieser geschmacklosen Facebook-Seite mit Hetzjagd gegen den Co-Piloten, die ihn vor Abschluss der Untersuchungen öffentlich an den Pranger stellt und Fotos, Anschuldigungen und Beschimpfungen postet? Was sind das für Menschen? Und sind sie zu feige sich zu zeigen? Oder wer steckt dahinter? Das grenzt an Strafbarkeit. Bitte alle diese geschmacklose Seite als bedenklich melden und die Admins offen legen!! Ganz wichtig! Das ist Hetze und Verleumdung und gehört vor Gericht.

Update:

Am 2. Jahrestag des Absturzes am 24.03.2017 stellte Günter Lubitz ein unabhängiges Gutachten zum Unfallhergang vor. Das Gutachten kommt zu dem Schluss, dass der von der Presse als Täter feststehende Co. Pilot nicht absichtlich den Absturz herbei führte, sondern dass es sich um eine Kombination aus Unwettern und technischen Problemen gehandelt haben könnte. Ausführlich besprochen wird dieses Gutachten in einem Zeit Online Artikel vom 24.03.2017

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