Wie positioniert man ein unabhängiges, ergänzendes und um Besonnenheit bemühtes Rezensions-Blatt, was eine Diskurs-fähige Ergänzung zum Tageszeitungs- und Großverlags-Journalismus darstellen will? Ohne mit Attraktionen zu winken? Ohne die reißerische Kampfansage, dass man es besser mache als alle anderen, weil man an dieses Prinzip nicht glaubt und Respekt vor der Arbeit anderer hat? In einer derzeit medialen Dynamik, die nur nach extremen Positionen strebt, Polarisation zum Überleben braucht, einem Dschungel reißerischer Schlagzeilen, Thesen, Antithesen, Verschwörungstheorien, Gegnern solcher, und einer Mehrheit alternativer Publizistik, die nur zum Selbstzweck und ohne jegliche Motive gesellschaftlicher Relevanz im Kontra zu irgendetwas existiert? In einer zynischen Welt, in der solch ein Vorhaben mangels Glauben der Rezipienten, dass dies möglich sei, schon vorab abgetan würde wird mit der Unterstellung, dass selbst dieser Versuch wieder den selben Mechanismen wie alle anderen unterläge. Es scheint der Ground Zero erreicht.
Es gibt kein Diskurs mehr. Denn der lebt vom Streben einer Annäherung. Es gibt nur noch Positionierungen, und daraus nur noch die eine zynische Wahrheit, die auf so verschiedene Weisen bewiesen und ausgedrückt und auf sich zurück geführt werden kann: Der Mensch ist schlecht. Der Mensch ist kriegerisch. Der Mensch ist machthungrig. Der Mensch ist ignorant. Der Mensch ist der Teufel in Menschengestalt. Also ist jeder Mensch, der versucht anders zu sein nur ein Heuchler, ein #Gutmensch, ein Lügner. Der Wolf im Schafspelz. Eine tickende Zeitbombe, die ihr wahres Ich bald noch entfalten wird.
Ergo kann eine Zeitung, die versucht vermeintliche Tugenden eines fragenden offenen Diskurses anzustreben in dieser Welt also nur ein weiteres Blatt von denen sein, die versprechen alles anders zu machen als die anderen, es aber dann doch nicht tut. Weil das hieße, es gäbe Menschen, die im Herzen etwas anstreben, das nicht vom Ich getrieben ist, und das kann ja nicht sein. Der Glaube an das überhöhte Ich, an das von der Mutter in die Wiege gelegte "du bist ein guter Junge" in der heutigen Zeit führt so weit, die Revolte gegen die Scham des Schlechten im Menschen, was in früheren Jahrhunderten oft missbraucht zum unterjochen, sich befreite aus moralischen Fesseln, nun so entfesselt ist, dass wir mit Leichtigkeit unsere Verbrechen als Maß und Mittelpunkt des Mensch-seins deklarieren und jeden anderen als gescheiterten Lügner diffamieren dürfen. Dass wir uns bei allem berechtigt fragwürdigen Missbrauch, Moral und Ethik aber davon abgehalten haben gegenseitig die Köpfe einzuschlagen, wird nicht eingestanden. Selbst jetzt nicht, wo so offensichtlich ist, wo wir hinsteuern.
Das berühmte Totschlag-Argument, welches in seiner inflationären Nutzung in solchen und ähnlichen Diskussionen die Moderne der Alltagsphilosophie darstellt, das Zeitalter des Zynikers auszeichnet, in dem jede Bestrebung etwas besser zu machen sofort als unglaubhaft auf Grund des vermeintlich Menschlichen, was nur sie festlegen was das ist, zerschmettert werden muss.
In dieser Welt ist eine Demonstration gegen Krieg eine Anhäufung von Gutmenschentum, Jemand der den Presse-Dschungel bei einem schlimmen Skandal zur Besonnenheit aufruft ein Aufmerksamkeit-süchtiger Heuchler, Jemand der an Hilfsorganisationen spendet oder Kinderheime unterstützt, jemand der sich nur selbst belügt, ein Vegetarier ein Illusionist, und der Pazifist ein verwöhnter Bengel, der keine Waffe in die Hand nehmen will und keine Ahnung davon hat, wie oft seine Heimat, in der er ja mit dem Silberlöffel aufwuchs, von den harten Jungs verteidigt werden musste.
Es gibt klare Anzeichen dafür was eine Zeit braucht, und in der Regel ist es nur logisch dass alles in dieser Zeit genau zum Gegenteil strebt. Sonst gäbe es ja die Schlussfolgerung nicht. Herzlichen Glückwunsch! Wir sind am Anfang unserer Evolution wieder angelangt.
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