Das Fernsehen, Bücher, Zeitschriften, das Internet und Kunstwerke sind voll von Kommentaren und Aussagen, die der #Jugend frönen - Von den seit Jahrzehnten immer jünger werdenden Pop - und Modesternchen mal ganz abgesehen, hat aber auch die gehobene Kunst- und Kulturwelt stets und erfolgreich aus dem Kelch der Jugend und dann den der Weisheit getrunken. Fakt ist sicherlich eines, an keinem von uns geht der erste davon vorbei. Keiner kann ihn behalten. Doch wie stehts mit dem zweiten?
Nachdem dieser Jugendwahn (ähnlich wie der Schlankheitswahn) heutzutage nun zunehmend auch kritisch beäugt wird und immer mehr Stimmen laut werden, die sich gegen diesen seit Jahrhunderten anhaltenden Trend aussprechen, tritt heutzutage anstelle der Anbetung von Ewiger Jugend, die mit einem Schönheitsideal assoziativ verbunden wird, ersatzweise nun das "Ich möchte ein Kind bleiben"-Credo als Lebenseinstellung und welches mehr auf die inneren Werte des Kindes abzielen will, an dessen Stelle. Insbesondere bei Persönlichkeiten im Kunstbetrieb.
Mit den Worten "Ich möchte mich wieder daran erinnern, was ich als Kind wollte" wurde beispielsweise ein Interview mit einem Band-Mitglied der Gruppe Kings of Convenience, Erlend Øye, kürzlich in der Zeit Online eröffnet. Ein Zitat von ihm, was er mit den weiterführenden Worten erklärt: "Sie kommen nach Hause, setzen sich vor den Fernseher, trinken Bier, trinken noch ein Bier, sehen selten fröhlich aus ..." - usw. - "...so wie diese Erwachsenen wollte ich nie werden..." - fügt er am Ende hinzu.
Was mir bei diesem und vielen anderen Kommentaren zu dem Thema auffällt, sind zum einen die permanenten Wiederholungen selbiger Negativumschreibungen vom Bild des leidenschaftslosen Erwachsenen, und die Wiederkehr weniger und meist recht flacher Argumente, die den Wunsch ein Kind zu bleiben begleiten. All diese Protagonisten werden für diese Aussagen geliebt und für innerlich "jung geblieben" gehalten. Ja es geht soweit, dass man wohl sogar glaubt, dadurch länger zu leben. Neidisch schauen traurig dreinblickende Erwachsene zu ihren jung gebliebenen gleichaltrigen Künstlern gleicher Generation herüber, während sie selbst schuftend und von der Arbeit müde nach Hause kommend, scheinbar nichts weiter tun, als die Kinder ins Bett zu bringen, Wäsche zu waschen, aufzuräumen und Bier-trinkend vor dem Fernseher einzuschlafen.
Ein bockiges Kind. Ein wohl eher realistisches Bild vom Kindsein, wie ich finde.
Aber gehen wir der Sache doch mal nüchtern und mit klarem Kopf auf den Grund: Sowohl die Kinder, die als Kinder schon Kinder waren, als auch jene, die es bis ins hohe Alter geschafft haben, solche zu bleiben, haben offensichtlich einige unangenehme Erfahrungen des Lebens gekonnt umschifft. Als Kind, als auch als Erwachsene. Wie könne man denn bei manchen Lebenserfahrungen von kindlicher Freude sprechen. Ich glaube kaum, dass ein Kind, was seine todkranke Mutter pflegt, dies mit kindlicher Freude macht. Dieser Wunsch, ein Kind zu bleiben, oder eines zu sein, ist nichts weiter als Ausdruck des Wunsches, die unangenehmen Seiten des Lebens den "Erwachsenen" zu überlassen.
Na? Das sieht nicht mehr ganz so künstlerisch-romantisch aus, oder? Sieht mehr danach aus, als wolle Jemand sich aus dem Staub machen und die Drecksarbeit anderen überlassen, oder? Attraktiv fand ich das nie. Ich fand das Erwachsensein schon als Kind viel ehrerbietungswürdiger. Warum? Ganz einfach:
Malen wir doch mal das Bild andersherum und schauen was dabei besser abschneidet. Zum Beispiel: Während die kleinen Kinder auf dem Spielplatz sich gegenseitig mit Hundekacke beworfen haben, stand die Mutter in der Waschküche und wusch die Kacke aus den Hemden der Kinder heraus. Für mich war die Mutter viel ansehnlicher (auch bildlich gesprochen) und auch viel interessanter dabei als die "kacke"beschmierten Kinder. Ein anderes Beispiel: Während Kinder wie bescheuert auf Instrumenten rumhacken und jeden damit zur Weißglut treiben, spielt der Virtuose sein Instrument mit einer gewissen Magie, die sich auf seine Zuhörer überträgt, wissend, dass er das sicherlich nicht nur im reinen Spaß erlernen konnte. So kann man vorsichtig vermuten: Während sich einige Erwachsene herausnehmen, Kind zu bleiben, koste es was es wolle - und meistens kostet es was für andere - sind jene andere bemüht, Verantwortung zu übernehmen oder Kindern das Leben zu erleichtern. Und das geht halt nun mal nicht ohne gewisse Bemühungen, und diese kosten Kraft und Konzentration.
Ich finde Menschen mit solchen Bemühungen meist viel interessanter als jene die sich darum drücken. Sprich: Man sieht dabei vielleicht nicht grad wie ein spielendes Kind aus, aber man kann dabei in den Spiegel gucken und man hat das Gefühl, dass das Leben was man führt, für sich und auch für andere einen Sinn hat. Jeder der schon einmal an der Schwelle des Todes gestanden hat, wird die Suche nach dem Sinn des Lebens und der Funktion des eigenen Lebens in der Gesellschaft verstehen.
Magibon - Ein Youtube Star. Mit über 70 Mio. Downloads und 7 Mio. regelmäßigen Besuchern zählt das Kind-Schema Mädchen Magibon zu den größten Stars der Internetvideoszene. Ihr 3 minütiges Video in dem sich nichts weiter tat, als in die Kamera zu schauen, wurde über 5 Millionen mal angeschaut, worauf sie zum Youtube Star avancierte, in TV Shows auftrat, und bereits Songs über sie geschrieben wurden.
Davon abgesehen, ist die Leichtigkeit des Kindseins keineswegs allzeit übergreifend übertragbar. Aus verschiedenen Kulturkreisen heraus betrachtet ist das Kindsein nicht immer gerade ein Zuckerschlecken. Vielmehr scheint es sich hier um eine Vorstellung vom Kindsein zu handeln, die einer ganz bestimmten Spanne von Generationen vorrangig im westlichen Kulturkreis zur Zeit des Wirtschaftswunders vorbehalten ist. Nicht umsonst spricht die Pädagogik von der Erfindung der Kindheit, ein Bild welches es so vorher wohl so nicht gegeben hat, als zum Beispiel 12-jährige Mädchen verheiratet wurden, oder Kindersoldaten im Kongo, für jeden erschossenen Feind eine Kerbe in ihr Gewehr ritzten.
Ich kann bei diesen sinnlosen Tiraden über das herbei gewünschte ewige Kind in uns nur einen wirklich nennenswerten Aspekt für mich finden, der auch tatsächlich bis heute Teil meines Lebens geblieben ist, und das ist das Kind was nicht aufhört "Warum" zu fragen. Aber ausgerechnet dieser etwas unbequeme Unterpunkt zum Themas "Kind-Bleiben" wird seltsamer Weise kaum irgendwo angeführt. Ich kann schlussendlich nur die Vermutung stehen lassen, dass es vielen Kindern unter den Erwachsenen da draußen hauptsächlich um die Leichtigkeit des Kindesdaseins geht, die mit einer gewissen künstlerischen Attitüde der Kindlichkeits-Koketterie getarnt, darüber hinwegtäuschen soll, dass hier geschickt die unangenehmen Seiten des Lebens Anderen überlassen werden. Und wer Kinder bedingungslos niedlich findet, ohne zu reflektieren, ob sich das Kind gerade wie ein kleines Arschloch aufführt, hat meiner Meinung nach auch den Knall nicht mehr gehört. Da kann man sich schon auf die nächste verzogene Generation von Kind-Erwachsenen freuen, die hochgezüchtet wird ...
Also jetzt versteht vielleicht der eine oder andere warum ich partout, wenn ich in der Presse wieder so eine dumme Aussage lese, wo es heißt "Ich wollte immer das Kind in mir bewahren", sofort denke: Komisch, ich wollte nie ein Kind sein!
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