Was uns immer wieder erschreckend auffällt, wenn wir mit unseren eigenen Maßstäben verzweifelt Autoren für neue Kolumnen suchen und als kleines Nieschenblatt eigentlich gar nicht so wählerisch sein dürften, wie viel angehäuften Dünnschiss es in unserer Branche gibt, der mit Stift und Papier los zieht und anderen Menschen, die das lesen sollen, in deren Köpfe "scheißt". Ja ich weiß! Das ist eine vulgäre und eklatant unprofessionelle Ausdrucksweise. Die hier aber vom Standpunkt der gewählten literarischen Ausdrucksform die Kriterien einer notwendigen emotionalen Beschreibung der Situation erfüllt. Und in der heutigen Blogger-Kultur ist doch eh schon alles erlaubt. Erst jüngst wurde uns angeraten, nicht immer so "verkopft" zu schreiben ... Da wirft sich mir die Frage auf: wie kann man denn bitte _nicht_ "verkopft" etwas Sinnvolles schreiben?! Sind wir tatsächlich bereits schon da angekommen?
Wir haben eine Neigung hier auf interscenar.io, die einem schnell auffällt wenn man unsere Artikel liest: Wir lassen weder an uns noch anderen Medien in ihrem Prinzip wie sie wirken und handeln selten Gutes. Und gleichzeitig sind wir unfreiwilliger Teil davon. Also wie weit kann man das kritisieren, was wir sind, ohne nicht damit Optionen zu beschneiden, positive Entwicklungen, Verbesserungschancen zu hemmen? Ich habe mich noch nie damit abgefunden, etwas nicht kritisieren zu dürfen, nur weil ich ein Teil davon bin. Und sowohl Print- also auch Online-Journalismus ist ja nun nicht gänzlich unerfahren darin Kritik über seine Vorgehensweise zu lesen. Na ja, und Journalismus ist auch ein weit gedehnter Begriff. Journalismus ist das ja hier auf interscenar.io eigentlich nicht. Eher essayisches Schreiben. Eine Schriftensammlung. Also warum die Bedachtheit? Vielleicht weil ich nicht weiß, wo das eigentliche Problem liegt?
Wäre das nicht grundsätzlich auch mal eine schöne Wende in den Trends des Journalismus und den Essays dieser Welt, wenn man nicht ständig versuchen würde eine Aussage zu treffen, sondern sich auch eingesteht, eine offene Frage zu haben? "Aber dann broocht ditt doch keener mehr lesen!" würde Hausmeister Kalle dann blööken, und schon sind wir wieder unter dem Druck etwas erkenntnisreiches von uns geben zu müssen. Aber seien wir mal ehrlich: wie viele wirklich wichtige Erkenntnisse gewinnt der Mensch im Jahr und bringt sie sinnvoll unters Volk? Wenn wir alle so kluge Köpfe sind, warum ist die Welt dann immer noch die die sie ist? Die Wahrheit ist doch eher, dass es viele Prediger gibt, aber nur die wenigsten von ihnen glauben selbst an das was sie da predigen. Und man weiß gar nicht was schlimmer wäre, wenn sie es täten, oder wenn sie es nicht täten.
Auch die immer wieder sich im Kreis drehende Frage zur Objektivität und Subjektivität im erweiterten Journalismus und essayischen Schreibstil wird irgendwann nur noch nervig, ausgehöhlt und zähflüssig. Sie führt zu keinem Ende, weil wir uns nie trauen einzugestehen, dass wir hier die Themen einer Redaktionssitzung oder Kommentarleiste verlassen und die Grundpfeiler der Philosophie diskutieren müssten, um in der Frage weiter zu kommen. Uns fragen müssten, was Objektivität oder Subjektivität überhaupt sein soll? Und warum die Relativität die Philosophie in Gänze unterhöhlt hat? "Was!? Um Gottes Willen! Bist du des Wahnsinns! Wer bitte soll das denn lesen??" - Ja das ist das Problem. Das passt halt in keine Twittermeldung oder Newsticker...
Von Anfang an waren wir uns bei interscenar.io bewusst, dass unsere unparteiischen Streit- und Fragestellungs-Essays und Rezensionen zu Geschehen und Kultur und tendenziell essayischen oder philosophischen Ansätze in Texten gerade im Internet wohl keine Leseflut auslösen würden. Vielleicht eher noch bestimmte Kolumnen, wie die Interview-Sektion. Aber als kommerzielles Magazin wären wir völlig untauglich. Gott sei Dank sind wir das nicht. Und wollen es auch nie werden. Hervorgegangen ursprünglich aus einem Diskussionsportal zwischen Autoren und anderen Künstlern und ihren Projekten, die man "mitlesen" konnte, betrachteten wir uns nach wachsenden Leserzahlen eher als eine Art Schaufenster, durch das man in den Raum hinein, eine Debatte betrachten kann, oder wenn man möchte ihr beiwohnen oder daran teilnehmen kann. Unsere leidenschaftlichen Kinofilm-Verrisse von Britta Leuchner zum Beispiel haben schon eine richtige kleine Fangemeinde gefunden, die genauso verzweifelt und erfolglos wie Britta nach wirklich guten Filmen sucht.
Ich bin erst später hinzugestoßen und freue mich darüber an diesem Experiment teilnehmen zu dürfen. Es mutet wie ein Kunstprojekt an und irgendwie trotzdem auch wie eine lesenswerte Zeitung. Die Initiatoren sind alle völlig frei von inneren Antrieben oder Tendenzen, weder wirtschaftlich noch politisch, dazu sind sie viel zu sehr mit ihren Fragestellungen und Diskussionsthemen beschäftigt. Oder anderen Projekten als Autoren, Fotografen, Künstler. Was das Ganze meiner Ansicht nach zu den wenigen wirklich korruptionsfreien und unkorrumpierbaren Medien macht, die wir haben. Was bitte nicht als Seitenhieb oder stereotypische Pressekritik misszuverstehen ist. Eine Tageszeitung ist etwas völlig anderes und verdient unserer Ansicht nach allen nötigen Respekt für das was sie tun muss: Tagesthemen "aufarbeiten". Und das in einem Umfang, das wenig Zeit für Reflexionen und Rezensionen bleibt. Aber selbst das versuchen sie noch abzudecken. Wahnsinn! Wir sind immer wieder beeindruckt von der Fülle der Inhalte die dort tagtäglich in den "Äther" gehen. Eine Redewendung, die im Übrigen völlig ausgestorben zu sein scheint.
Und doch bin ich immer wieder erschüttert und ernüchtert wenn man die Fülle der Autoren im Netz sich im Querschnitt einmal anschaut oder einige von ihnen persönlich kennen lernen "darf". Ihre Tendenzen, ihre oberflächlichen Schlussfolgerungen, ihre teilweise maßlosen Rufmorde und Aufforderungen zu unsachlichem Denken erschüttern mich und sind Gott sei Dank in den großen Printmedien nicht so häufig anzutreffen wie im hinteren Blätterwald. Wie kann so etwas passieren? In einem Milieu was doch davon lebt, dass es in seinem Ansehen bezüglich relevanter Kompetenzen nicht leidet?
Ich kann es mir nur am Phänomen des Fernsehens erklären: Es ist vermutlich ein Wechselspiel zwischen Sender und Empfänger, welches das ganze "Theater" tendenziell auf die Dauer immer weiter nach "unten" korrigiert. Also ist vielleicht nicht die Frage, ob das Land bessere Autoren bräuchte, sondern vielleicht ob das Land bessere Leser braucht!? Weil dann würden einige "Autoren" schnell von der Bildfläche verschwinden! Hach! Was wäre das für ein Segen! Oh! Kann man das bitte auch gleich auf gewisse junge Buchautoren ausweiten?! Danke!
Ok, aber jetzt aber mal Spaß beiseite und zurück zur Frage. Wahrscheinlich ist da schon etwas dran. Nur halte ich jene Gegenkritik dann für durchaus berechtigt, die dagegen hält, dass das nicht als Ausrede dafür herhalten könne, dass man sich nach dem Publikum richte, wenn Kritik am Niveau geübt wird. Wie sagte einer der Initiatoren von interscenar.io mal zu mir: "Kunst soll Inspiration sein und die Menschheit um Ideen erweitern und nicht nur reflektieren. Das würde sonst unausweichlich zu einem Trend nach unten führen." Ich finde dass kann man ganz vorsichtig und gewagt auch durchaus für den Journalismus fordern. Zumindest was den Umgang und die Auswahl relevanter Themen betrifft.
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Ich denke es gibt diese "besseren Leser und Autoren". Beides. Leider nicht in der breiten Masse, aber schon in einer kritischen Menge. Und ich finde es großartig dass Ihr - FASSETTE - euch in den Blätterwald (auch ein toller Artikel ) wagt und eine dankbare Alternative zu dem Medien Einheitsbrei bietet. Und somit schon mal die Leser ermutigt "bessere" zu werden, die weiterhin unabhängigen Journalismus fordern und natürlich engagierten Autoren einen Raum bietet. Ihr solltet mehr von euch reden machen, ich denke dass hier würde vielen gefallen.
Haben die Medien die Menschen verblödet durch ihr immer schlechter werdendes Programm/Berichterstattung/Artikel etc. oder passen sie sich einfach nur immer besser ihrem Zielpublikum an? Wird wohl beides richtig sein und auf beiden Seiten besteht Handlungsbedarf. Dass ihr nur so schwer neue Autoren findet, spricht dann wohl für die Qualität eures Magazins und zeigt auch, dass ihr die Meßlatte etwas höher legt als die meisten. Find ich gut, weiter so :)
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