Sie begegnen uns auf der Strasse, in der U-Bahn, an Plätzen, auf den Parkbänken sitzend die Tauben fütternd, mit sich selbst redend im Café, am Bordstein, an der Ampel, im Supermarkt den Gang versperrend, oder wenn man es nicht vorher geschafft hat sie zu überholen, beim Kleingeld zählen an der Kasse. Oder im Mehrfamilienhaus als so empfundener "Hausschreck", der sich ständig über ungezogene Kinder beschwert und den Spazierstock böswillig zwischen deren Beine wirft.
Alte Menschen. Sie begegnen uns überall. Manchmal angenehm, manchmal unangenehm, manchmal freundlich, manchmal garstig. Manchmal Hilfe suchend, manchmal warmherzig und offen, manchmal verschlossen, manchmal auch nachdenklich stimmend. Manchmal an unsere #Großeltern erinnernd, und manchmal auch - wenn wir bereit sind, uns gedanklich darauf einzulassen - an uns selbst. An die Frage, wie wir wohl einmal sein werden, wenn wir alt sind. Was wir uns nach außen hin oft nicht eingestehen (zumindest in der westlichen Welt), sie sind ständig in unseren Gedanken, häufig mit einer heimlichen Angst vor dem Alter(n). Der Grund weswegen sie trauriger Weise auch oft gemieden werden. Sie sind, ohne dass wir es merken, in unserer inneren Wahrnehmung überall. Nur leider nicht da, wo man sie in unserer Wahrnehmung am Dringendsten bräuchte und wo sie sich auch eigentlich bereit erklären würden zu sein: In unserer geschichtlichen #Aufklärung.
Wie oft hört man, dass ältere Menschen das Gespräch suchen, über eine Geschichte aus ihrem Leben immer und immer wieder erzählen möchten, im Familienkreis oder auch einfach so, auf offener Straßen. Und wie oft wird diese Beobachtung oder Schilderung mit einem Augenrollen begleitet oder quittiert. Was wir nur dabei fataler und unwiederbringlicher Weise außer acht lassen, ist der unumstößliche Fakt, dass diese Generation, - und mit diese meine ich DIE Generation die an entscheidenden Wendepunkten unserer Geschichte Zeugen waren-, dass diese Generation am Aussterben ist, ja zur Mehrzahl eigentlich kaum noch existiert. Das ist historisch betrachtet so fatal und schwer in Worte zufassen, in all seinen Konsequenzen so apokalyptisch katastrophal, dass jeder Versuch den Schaden aus diesem Umstand - auch für unsere #Zukunft - zu umschreiben, nur scheitern kann.
Aus diesem Grund habe ich mich entschieden, für interscenar.io eine Artikel-Serie zu beginnen, in der die Menschen zu Wort kommen, denen kaum noch jemand zuhört. Und die uns doch soviel zu sagen haben, über unsere Geschichte und somit über unsere Zukunft. Es würde die Artikel-Serie der verstummenden Generation. Eine Artikel-Serie, die so wenig Web 2.0 ist, wie ein Schriftstück im Netz es nur sein kann. Keine Kürzung der Fakten, keine Schlagzeilen, keine Journalistische Schminke, keine "die Kraft der Zwei Herzen" - Kampagne. Interviews, Tagebuch-Ausschnitte, Überlieferungen, Erzählungen aus erster und aus zweiter Hand. Traurig, lustig, lebendig, tödlich, fragil, robust, aufreibend, langatmig, oder kurz und prägnant relevant, halt wie all die Geschichten im einzelnen sein mögen.
Wir rufen euch, die verstummende Generation dazu auf zu erzählen. Ich entschuldige mich im Namen meiner und vieler anderer Generationen für die Ignoranz und Unaufmerksamkeit bitte sie - die Menschen der verstummenden Generation in den nächsten Wochen und Monaten in dieser speziellen Artikel-Serie und Rubrik auf interscenar.io zu Wort. Ich kann sicherlich nicht für alle sprechen, doch für viele. Seid vielen Jahren kehrt dieser Gedanke immer und immer wieder in mir zurück, und auch wenn es sicherlich schon viele Menschen gibt, die diese Gedanken und Fragen mit mir teilen, so scheinen diese doch viel zu leise gedacht. Also wer sich hier auf den Schlips getreten fühlt, der möge mir verzeihen, das Risiko muss ich eingehen.
Denn es gibt viel aufzuholen, vieles unwiederbringlich nicht mehr zu reproduzieren und doch ist es der Versuch wert.
Ihr kennt Jemanden aus eurer Familie, aus eurem Kreise, oder aus eurer Nähe, oder aus der Nachbarschaft, von der Straße? Ihr habt eine mögliche Quelle, dann bittet ich euch, sie mit uns zusammen zu bringen für ein mögliches Interview, oder sie einfach aufzusuchen, von der Idee zu begeistern. Bitte sendet ihnen die oben verfasste Entschuldigung, so dass sie Diejenigen auf die richtige Art und Weise erreicht. Und denkt immer daran: es ist die verstummende Generation der Zeugen. Etwas Wertvolleres um unsere Geschichte zu verstehen und unsere Zukunft zu gestalten - in einer Zeit, in der Geschichte mit jedem Sinneswandel wieder und wieder verfälscht und in unseren Büchern umgeschrieben wurde - haben wir nicht.
Auch wenn ihr es vielleicht unlängst tut, dann tut es noch bewusster: Denkt bitte immer daran, wenn ihr einen Menschen der verstummenden Generation auf der Straße seht, was diese Menschen an Lebensjahren und Geschichten in sich tragen. Denkt daran, dass eure mögliche Begeisterung für ein altes Gemälde oder eine historische Statue oder einen alten Baum ad absurdum geführt wird, wenn man diese Begeisterung nicht in der Lage ist auf die Geschichten der verstummenden Generation zu übertragen. Die Generation, die stätig zu uns spricht, nur wir hören nicht zu ...
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