Der Trick mit dem Positive-False

Gabor Munier
Geschrieben von:

Gabor Munièr

Autor, freier Kolumnist, Essayist

Wie man den Mob im Zaum hält

Der Trick mit dem Positive-False

Demokratie zum Anfassen

Preview Foto von Ausschreitungen im Stadion

"Ausschreitungen im Stadion" | photo by lembagg | provided by flickr | ©  CC BY-NC-ND 2.0

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Lesedauer: 8 mins

Achtung: bissiger Sarkasmus! Was ein anderes System, ein anderes Land oder eine andere Gesellschaftsordnung so falsch machen, das wissen wir in der Regel und werfen es uns gern gegenseitig permanent in hitzigen Debatten an den Kopf, wenn es z. B. darum geht eigene oder komplett neue Ideen zu entwerfen, verwerfen, bewerfen oder das Althergebrachte zu kritisieren oder hochzuhalten. Und wir wissen auch, wie man unliebsame Nachbarn versucht zu dämonisieren, in dem man ihnen alles mögliche vorwirft was der Mensch im Allgemeinen so nicht mag, um sie schlecht aussehen zu lassen gegenüber dem was man bei sich kennt. Darin sind wir alle gut. Egal von wo man aus man auf die Welt schaut, alle Ideologien haben die gleichen Muster im Umgang mit anderen Ideologien. Wir wussten was die DDR & Co falsch machen, wie sie ihre Leute doch gängelte, aber genauso wussten alle in der DDR auch gut und gern was die BRD und der Rest der westlichen Welt so falsch machten. Wir „wissen“, was die bösen Diktatoren so schlimmes tun und diese wiederum wissen gern, warum die Demokratie ja nicht funktionieren kann. Wir alle sind das perfekte Feindbild für die andere Seite. Wie die Nord- und Südkurve im einem Fußball-Stadion.

Aber wissen wir immer genauso viel über uns „selbst“? Ich meine, in dem Moment wo wir Teil von etwas mit uns selbst sind? Sehen wir uns selbst denn gut genug, wie wir da sitzen in unserer Südkurve? Nur selten bekommen wir die Chance dazu, wie zum Beispiel, wenn die große Leinwand plötzlich unsere Gesichter zeigt, weil die Kamera auf uns gerichtet ist und wir schnell den Verwandten vor dem Fernseher zuwinken und erschrocken darüber sind, wie rot doch unsere Nasen aussehen. Und was räumlich funktioniert, funktioniert auch zeitlich. Wissen wir denn, wie spätere Generationen auf uns blicken werden, und auf das, was wir getan oder nicht getan haben?

Eine Sache ist mir aufgefallen, die scheint im Bewusstsein des Hier und Jetzt in unserem Teil der Welt bezüglich des Blicks auf uns selbst noch nicht viel Aufmerksamkeit bekommen zu haben. Und zwar ist das der Taschentrick, mit dem es die Demokratie halbwegs schafft, den Mob in den eigenen Reihen im Zaum zu halten. Selbst mit einem ironischen Unterton kann ich auf Grund meiner Kenntnis über das Menschliche nicht leugnen, dass ich es trotz ethischer Zweifelhaftigkeit sogar als etwas empfinde, was die Demokratie einmal richtig gemacht hat, egal ob es eigentlich zu kritisieren wäre oder nicht. Irrsinnig? Ja. Aber deshalb nicht automatisch falsch. Echauffieren kann man sich allzu leicht über alles und jeden. Aber manchmal sind Dinge gut so wie sie sind. Egal wie obskur oder fragwürdig sie seien mögen. Denn wer möchte schon bitte vom Mob regiert werden? Wenn man mal kurz darüber nachdenkt und in der Südkurve einen Blick in die Runde wirft.

Der Trick ist so unglaublich simpel und deshalb um so genialer, dass es fast nicht zu glauben ist, dass er solange und derzeit immer noch in unserer so aufgeklärten und vermeintlich wachen Zeit funktioniert. Es wäre damals ein nur allzu guter Rat für die Stasi gewesen. Nur bezweifele ich, dass sie den Mut gehabt hätte diesen auszuprobieren. Es ist der alte Hut mit der Umkehr des Verbots: Was man normaler Weise verbietet, erlaubt man einfach und erreicht damit den Effekt der umgekehrten Pädagogik. Und oben drauf überschwemmt man das Ganze noch so übermäßig mit dem besagten Verbotenen, dass es nicht nur an Reiz verliert sich damit zu beschäftigen sondern man auch komplett den Überblick darüber verliert. Was zu DDR Zeiten kostbar und schwer zu bekommen war und dadurch um so brisanter, ist in der westlichen Welt von heute im Überfluss und undurchschaubar vorhanden und damit wertlos geworden: Informationen.

Informationen gibt es wie Sand am Meer. Über alles. Und im Zeitalter des Internets inzwischen auch über denkbar jeden. Und es ist den meisten eigentlich auch egal (ja!) wie viel man über sie da draußen weiß. Seien wir doch mal ehrlich. Die Aufregung ist doch bei den meisten geheuchelt. Während sie sich darüber aufregen was ihre Internet- oder Handy-Provider speichern, posten sie Katzenvideos von zu Hause mit Ausblick auf das gesamte Interior auf Youtube und schreiben auf Facebook dass sie die ganze nächste Woche nicht in der Stadt sind. Die Stasi würde sich Überschlagen vor Euphorie. Es muss doch bestimmt noch Ex-Stasi-Mitarbeiter da draußen geben, die jetzt und heute die Hände über den Kopf schlagen und denken: Was hätten wir damals für nur einen Bruchteil dieser Informationen gegeben! Was war das für ein Theater nach der Wende mit den Stasi-Akten! Kann sich noch jemand an die Schlammschlacht erinnern? Ist das nicht ironisch, dass von vielen Menschen heute die Facebook-Chronik größer ist, als ihre Stasi-Akte hätte jemals werden können?

Nun, so merkwürdig ist das gar nicht. Es ist eigentlich Teil des ganzen Prinzips wie unsere westliche Welt aufgebaut ist. Es ist gewissermaßen gesellschaftsordnungs-evolutionär, wenn man so will. Die Gesellschaftsordnung entwickelt unterbewusst Mechanismen zum eigenen Überleben. Ähnlich wie die Mutationen im Tierreich. Der Freiheitsgedanke, der den Kontrollverlust konterkariert, der Wissensdurst, der mit der Informationsflut kollidiert, die Auslese der Bedürfnisse und ihrer daraus entstehenden Märkte ... Dinge, die sich in der Gesellschaft als Selbsterhalt als tauglich erweisen, werden sich fortsetzen. So lang bis es dem Wohlstand spürbar an den Kragen geht. Erst dann wird der Mensch wach. Und so wurde die Informationsflut zu einem unterbewussten „Taschentrick“ der Demokratie. Zu einem Positive-False der Informationsfreiheit, die in der Diktatur nicht gegeben ist und in unserer Welt als eines des höchsten Güter geehrt wird. Die perfekte Auslöschung einer lukrativen und exklusiven und dadurch dramaturgisch wirkungsvollen Information durch die permanente Überschreibung einer Information durch viele viele neue. Und das Internet spielt dabei in der modernen Welt eine ganz besonders wirkungsvolle Rolle. Es ist der Arbeitslosen-TV-Ersatz der Neuzeit und der Man-In-Black „Geblitzt-Dingst“ Mechanismus zur Überschreibung brisanter Zeitfragen in der Flut der sinnlosen Diskussionen. Es ist das Alias für den Taler den man im Mittelalter auf den Markt wirft und sich die Meute drauf stürzt damit man die Aufmerksamkeit von sich ablenken kann.

Haben wir ein Problem, dass den Mob auf die Straße bringen könnte? Nun, dann schaffen wir eine Konfliktweiche, in dem wir so viele Probleme aufbauschen, die den Mob auf die Straße bringen könnten, dass der Mob gar nicht weiß, gegen was er zuerst losgröhlen soll. Gibt es eine Information die heikel ist und die man zu DDR-Zeiten gerne unter den Teppich gekehrt hätte? Nun, dann sorgen wir einfach dafür, dass sie zum großen Thema in allen Talkshows gemacht wird und jeder darüber diskutiert und seine Meinung dazu haben will, bis wir völlig dabei vergessen haben etwas dagegen zu tun. Oder wir schaffen lauter parallele Fälle von scheinbar heiklen Informationen, die gerade ans Tageslicht gekommen sind, dass die eigentlich heikle Information im Verhältnis dazu gar nicht mehr so heikel erscheint. Sollte jemand jetzt ein Déja Vù haben, sollte er sich mal fragen warum.

Das lustige oder traurige an dieser Tatsache, die kein einzelner Mensch und auch keine Organisation oder Verschwörung verursacht hat, wie manch dubiose Online-Medien uns glauben machen wollen, sondern einfach nur wir alle schön brav zusammen selbst, ist, dass man wenn man alle Möglichkeiten durchspielt und alle Szenarien miteinander abwägt und die Menschen einschließlich sich selbst mit etwas selbstkritischen Humor betrachtet, zu dem Schluss kommen muss, dass es leider Gottes das geringere Übel ist und somit für mich zynischer Weise die einzige Chance auf eine halbwegs im Schaden begrenzt bleibende Straßenlage da draußen. Wer glaubt, dass irgendetwas besser wird, wenn sich der Mob auf die Straße begibt, hat aus der Geschichte nichts gelernt. Und wer glaubt, dass sich erst dann Dinge zum Besseren gewendet haben, wenn der Mob sich auf die Straße begibt, hat ebenso wenig aus der Geschichte gelernt und zu viel verträumte Revolutionstheorien gelesen und war wahrscheinlich noch nie dabei wenn dies passierte. Meistens nämlich erst dann wenn eh schon alles passiert ist, klar ist, dass sich etwas verändern wird. Denn der Mob geht erst dann auf die Straße, wenn es an seinen Futternapf geht. Und das passiert meistens erst wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist. Und dann ist eh klar, dass eine Veränderung ins Haus steht. Das wäre ja auf ersten Blick alles auch halb so dramatisch. Also wenn er auf die Straßen geht. Meinetwegen soll der Mob glauben, er habe die Revolution angeführt, wenn es ihm hilft (wer glaubt, dass die Wende das Resultat von Montagsdemos war, hat von dieser Zeit ebenso wenig verstanden wie von der eigenen Ehekrise oder warum das Kind schreit). Das Problem dabei sind nur die massiven Kollateralschäden, die damit einher gehen. Und das nicht selten dabei der eigentliche Grund in den Hintergrund gerät und primitive Ziele an die Stelle treten und auf meist fragwürdige Weise durchgesetzt werden.

Wer hätte gedacht, dass ich alter Streithammel und selbsternannter Robin Hood der Schwächeren mal auf einem humoristisch ironischen Weg bezüglich bestehender Strukturen zu einem positiven Ergebnis komme, wo ich nichts an dem ändern möchte, wie es ist. :-)

Sarkasmus Ende …

Comments

Hape-R

Das ist schon alles sehr grotesk und auch ein guter Vergleich zwischen der freizügigkeit einiger Meschen im Umgang mit den Informationen die sie auf Facebook und Co posten und den Schwierigkeiten der damaligen Geheimdienste an eben solche Informationen heranzukommen. Die Wartezeit beim BStU ("Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik", ein sehr knackiger Name übrigens), welche die Herausgabe der alten Stasi-Akten verwaltet, beträgt momentan ca. 3 Jahre! In einigen Fällen werden sich solche Stasi-Akten wahrscheinlich genauso spannend lesen wie die heutigen Facebook-Streams, nur im Vergleich dazu sind diese in wenigen Sekunden abrufbar.

Philanthrop

Die Selbskritik ist eben eine der Königsdisziplinen beim Interagieren zwischen Menschen, oder im größeren Zusammenhang auch zwischen Staaten. Offenbar scheint das wohl immer noch bei vielen tief verwurzelt zu sein, dass wenn man Zugeständnisse macht oder eigene Fehler einräumt, damit Schwäche zeigt. Souverän ist eben nur der, der sich nicht irrt und komme was wolle auf seiner Meinung beharrt. Die meisten merken wahrscheinlich nicht mal, wie antiquiert das Bild vom "Herrscher" der mit eiserner Faust regiert ist, dem sie eigentlich permanent (unterbewusst) hinterher laufen. Nur weil wir mittlerweile in einer hoch technologisierten Welt leben wird automatisch davon ausgegangen, dass wir uns auch gesellschaftlich in unserer Moral und in unserem Denken weiterentwickelt haben. Aber das ist ja kein Geheimnis, dass das ein sehr großer Trugschluss ist. Willkommen im 21. Jahrhundert kann man da nur sagen.

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