Wenn wir Coolness als Synonym für unnötigen Aufwand in der Außendarstellung benutzen, kann man daraus ganz gut spielerisch einen metaphorischen Abriss über diese Problematik in der Gesellschaft skizzieren und übertragbar auf andere Dinge ableiten. Das gezeichnete Bild kann dann für Vieles stehen. Aber beginnen wir mit einer Zeitreise: In eine Zeit ohne Coolness.
Ich stelle mir einen Jahrmarkt, ein Volksfest vor, sagen wir um 1920, 1930 herum. Alt und Jung trifft sich auf einem Marktplatz, um den herum viele kleine Stände aufgebaut stehen und man kann sich mit Spanferkel vom offenen Feuer, mit Glühwein sowie mit Spielständen vergnügen. Die Kinder und Jugendlichen fischen nach Entchen in einem Wasserfass und schießen mit Pfeilen auf Luftballons und der Sieger gewinnt eine Gans. Die Kunsthandwerker der Gegend präsentieren stolz ihre Stoffwaren, Schmuckstücke und neue Spielapparate. Tagelang wurde dieses Fest vorbereitet. Natürlich wird es auch zum Schaulaufen und kokettieren der Jugendlichen genutzt. Man putzt sich raus und zeigt am Schießstand seine Treffsicherheit und gewinnt ein Kuscheltier für die Herzensdame. Zurück in die Gegenwart. Der Weihnachtsmarkt am Richardplatz, Berlin Neukölln. Als Geheimtipp geltend und oft als einer der schönsten Weihnachtsmärkte Berlins betitelt. Tagelang wurden hier Stände aufgebaut. An der Villa Rixdorf gibt es Grünkohl und Spanferkel, an vielen Ständen gibt es Glühwein und Punsch und die Kunsthandwerker sind gekommen und stellen ihre Werke zum Verkauf. Jung und Alt trifft sich hier in der Vorweihnachtszeit und genießt gemeinsam die Vergnügungen des Marktes...
Halt. Nein. Ich sehe Jugendliche, die in kleinen Grüppchen über den Platz schlurfen, mit den Kopfhörern im Ohr und dem angeschlagenen Smartphone von Mama in der Hand. Sie haben den Loopschal bis über die Nase gezogen und die Beaniemütze schlappt im Rhythmus ihres Ganges der dünnen Beinchen in ihren wadenengen Emo-Jeans. Und obwohl es Mitten im Dezember und bewölkt ist, kann ich - da ihr Blick hinter einer Ray-Ban Sonnenbrille versteckt ist und obwohl sich ihr Kopf dreht wie bei einer Eule - noch nicht einmal sehen, wohin diese auf nichts achtenden Gestalten überhaupt schauen, um ihnen im besten Falle ausweichen zu können wenn sie stur ihren Weg gehen, weil sie scheinbar die vielen Leute um sich herum gar nicht bemerken und jeden zweiten anrempeln. So laufen also diese kaugummi-kauenden, Rihanna über ihr Smartphone hörenden, von dem Rest der Welt isolierten Grüppchen durch die Menge und gehen mit übermäßig demonstrierter Langeweile zur nächsten Bushaltestelle und warten auf den Bus. Doch die Aufmerksamkeit scheint nicht ganz geschwunden zu sein: "Hast du das schon gesehen?" - fragt Mrs. Cool ihren schweigsamen Mitläufer an der Bushaltestelle. "Was?", antwortet er kurz und lässig. Ihre eine Hand lässt nach ungefähr 8 Stunden das erste mal ihr Smartphone los und zeigt in sein Gesicht: "Auf deiner Brille steht Bay Ren."
Die Pubertät ist eine schwere Zeit. Ja sie haben mein Mitleid. Und doch ist es traurig wie sie sie heutzutage durchleben. Sie bekommen vorlauter Bemühung ihre Coolness zu präsentieren überhaupt gar nicht mehr mit, was in ihrem Umfeld, im physischen aber auch im sozialen, geschieht. Bei oberflächlicher Betrachtung könnte man zwar annehmen, dass Cool-sein heute gar nicht mehr so angesagt sei, wie noch in den 1990-er, doch Kommunikations-WissenschaftlerInnen wie z.B. Anette Geiger sagen, ganz verschwunden sei die Coolness als jugendliche Distanzierung nicht. Sie habe sich einfach nur verjüngt. Heute sind es die 8 bis 12-Jährige, die schon cool sein wollen, wie man es damals von 14-18 Jährigen kannte. Trotz dieser Verjüngung trifft man das Problem mit der Coolness heute wie damals im Übrigen auch in der vermeidlichen Erwachsenenwelt, ergänzt Geiger.
Der Konsens der Generationen ist: dass sich Cool-sein über die Generationen verändert hat, merkt jede Generation schnell, wenn sie älter werden, wenn man sich zum Beispiel alte Musikvideos oder Filme anschaut, oder auch wenn man ältere Geschwister und Eltern befragt. Diese empfinden natürlich ganz andere Dinge als cool als die Kids heute, benennen Dinge, die sie noch aus ihrer coolen Zeit kennen. Aber wie weit muss man zurück gehen, um der Coolness auf den Grund zu gehen? Wo hat das angefangen?
Der Begriff des Cool-seins oder Cool-bleibens stammt nämlich nicht - wie man annehmen würde - aus städtischen Jugendbewegungen wie die so oft zitierten aus den 1950er, 1970er oder 1980er Jahren, sondern geht ursprünglich auf die Sklaverei in den USA zurück, als die damals so bezeichneten Schwarzen von den Weißen auf den durch die Sonne aufgeheizten Feldern arbeiten mussten, unterdrückt wurden, und keine Möglichkeit hatten sich zu erwehren und daher "cool bleiben" mussten, nicht ins Schwitzen geraten wollten, im Sinne von "einen kühlen Kopf bewahren" mussten, um keine Gefühle zu zeigen, sich zusammenzureißen. Hält man sich das bildlich vor Augen, merkt man schnell, dass die Neuinterpretation des Gefühls heute sehr dekadent ist, sehr unsozial. Dass der Hang hin zu einer Art Antihaltung, dem Verbergen von Gefühlen, Überspielen von Unsicherheiten, "Nicht angepasst sein" in einer Welt mit sehr vielen Mitmenschen, in der Missverständnisse schon bei besten Bemühungen nicht zu vermeiden sind, eher sperrig und nervig wirken.
Ein gebildeter Mensch, der von seinen 100% Aufnahmefähigkeit und der Fähigkeit das Aufgenommene zu verarbeiten und in sinnvolle Gedanken und Taten umzusetzen, verbraucht bei der Anstrengung bei dem was er tut besonders cool zu wirken 5% seiner Fähigkeiten und kann trotzdem noch zu 95% am Leben teil haben. Nur leider ist dieser Fall sehr selten und die traurige Wahrheit ist, dass Menschen, die sich stets bemühen, cool zu sein, oft die Menschen sind, die das soziale Miteinander überfordert und die daher leider nur 5 -10 % ihrer Fähigkeiten nutzen können und verschwenden mit der selben Anstrengung auch 5% davon um cool zu sein. Was dazu führt, dass sich die vermeidlichen Coolen meist peinlich uncool verhalten.
Auch die Umkehr kann sich diesem Prinzip unterwerfen: Es gibt bemühte Demonstranten einer Antihaltung gegen eine Antihaltung, die beschwören, dass sie uncool sein wollen. Dabei haben sie nur die Vorsilbe angehangen, denn die großen Bemühungen die diese Menschen - oft als Hipster betitelt - darin stecken angeblich uncool zu sein, ist letztlich auch nur das Bestreben cool zu sein. Nur in eine neue Zeit transferiert. Oft wird auch Arroganz, die vielleicht sogar aus Unsicherheit entsteht (was ja wohl nach befragen einschlägiger Experten in Alter von 12 total uncool ist) als cool empfunden. Und das Gegenteil ist, dass viele Unsicherheiten mit Coolness überspielt werden wollen, und dabei peinlich uncool wirken.
Wie kommt es, dass was heute als ober cool gilt, morgen das uncoolste der Welt ist? Vielleicht versteckt sich ja dahinter wieder das menschliche Bedürfnis etwas von innen heraus steuern zu können. #Cool ist etwas, was wir anstreben müssen, etwas ganz besonders schwer erreichbares, was wenn erreicht, novelliert. Haben wir es erreicht, spüren wir schnell dass es an Reiz verliert, und wird es dann noch von Vielen oder der Mehrheit als cool angesehen, oder noch schlimmer: merken wir dass es Viele erreicht haben, lassen wir es fallen. Nun ist es das uncoolste überhaupt.
Um es mit dem symbolischen Betrachten der jugendlichen Coolness abzuschließen: Es will etwas Unnahbares sein, etwas weit Entferntes, vielleicht sogar Übermenschliches, weshalb Dinge, Menschen oder Taten sofort als uncool gelten, sobald sie Realität geworden sind. Es ist wahrscheinlich eine jugendliche Form von selbst erhaltener Selbstwahrnehmung und Teil eines Identitätsstiftungsprozesses, vor dem letztendlich niemand geschützt ist. Auch Nicht-Jugendliche nicht.
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