Bitte nicht mehr, doch wie bisher

Gabor Munier
Geschrieben von:

Gabor Munièr

Autor, freier Kolumnist, Essayist

Das Rad des Lebens

Bitte nicht mehr, doch wie bisher

Die Ironie des Geistreichen

Preview Abbildung von Der Denker - Statute von Rodin

"The Thinker Sculpture Rodin". | Artist Auguste Rodin | photo by jstarj | provided by pixabay | © Public Domain CC0

Preview Fotomontage Strum im Wasserglas

"Strum im Wasserglas". | photo montage by unknown artist

Themen Bereich
Lesedauer: 4 mins

Der ewige Abschied, die nie stattfindende Reise, der Sturm im Wasserglas - Der ewige Rebell wird zum Spiegelbild seiner Aversionen und sein Kind kann ihn nur als das begreifen, was er nach seinem Vater nie sein wollte. Das Rad dreht sich weiter, auch wenn der Hamster nicht mehr rennt. Bittersüß ist die Erkenntnis, dass permanente Veränderung die ironischste Form der Stagnation ist.

Immer raus aus der Spur! Welche Spur. Eine Gesellschaft voller gleichförmiger Individualisten. Eine Generation säkularer #Arroganz. Eine Rotte Sinn entleerter kreativer Köpfe, ohne das Heer, welches die doch so unfassbar genialen kreativen Ergüsse umsetzen könne. Ein Beispiel, Ein Schlagwort dieser Orts und dieser Jahre: #Agentur. Wir machen eine "Agentur" auf. Und wir machen "Projekte". Haben große Ideen. "Creative 1.0." Dann, die Hand vor dem Gesicht, mit den Fingern auf der Stirnfalte, der verdrießliche Denkerblick, die (nicht?) gespielte Enttäuschung darüber, missverstanden zu sein, seiner Zeit wohl wieder voraus. "Creative 2.0." Selbst das Arbeitsamt ist jetzt eine Agentur. Der Lehrer ist ein Erziehungswissenschaftler, die Tippse eine Bürokauffrau, und der Callcenter Mitarbeiter ein Agent oder Kommunikationswissenschaftler? Nur wer bringt den Müll runter? WER STOPFT DIE SOCKEN? ... Na wer wohl, Mama.

Die ewig jung gebliebenen Geistreichen, die sich so vortrefflich selbst belügen können, die die Welt verändern wollen, mit ihrer nicht aufhören wollenden Parole des Guten und kreativer Schöpfung des Stuss. Nein, sie stopfen sie nicht. Sie nicht. Sie lassen stopfen. Ich möchte zu ihnen sprechen, möchte ihnen sagen: "Den Wenigen, die darin wahrlich kämpften, sich an den Kanten der Gesellschaft tatsächlich immer und immer wieder wund stießen um uns die Weisheit des Hofnarren zu ermöglichen, denen seid ihr nicht gewachsen, zu eitel, um solche Narben immer wieder aufzureißen, unter denen der vermeintliche Gral der Erleuchtung liegt." Und wahrscheinlich würden sie antworten:  "Die Welt sei nur noch nicht so weit, um des Schöpfers Gabe zu empfangen. Sonst wären sie längst als jener erkannt." Der Flucht vor sich selbst entgegnet jedoch letztlich nur eine einzige Antwort, auf all ihre Fragen: Schmutz an die Hände! Sinn und Nutzen in die Gedanken, in die Tat! Ich will ihnen zurufen: "Du hast wieder eine dieser Ideen? Toll, dann fang an sie SELBST! umzusetzen, und du wirst merken, wie schwachsinnig sie ist. Wenn du Gott zum lachen bringen willst, erzähl' ihm von deinen Plänen. Du willst die Trophäe, doch ohne den Preis dafür zu zahlen. Diene der Gesellschaft und du dienst dir und deinem #Individualismus. Rein in die Spur. Wer draußen ist, ja, der ist ... draußen."

Wohlstandsärzte verdienen kein Geld mehr. Woran liegt das? Mehr Psychologen als Patienten, oder sind sie die Patienten? Mehr Politiker als Politik? Mehr Soziologen als Soziologie? Mehr Ideen als Arbeitswillige. Mehr Philosophen als offene Fragen. Der ewige Fortschritt schreitet nicht fort. Ist nie geschritten. Mit dem Glauben an Fortschritt begann die Starre. Eine von unten (oben?) ausgehöhlte Gesellschaft von Kreativen, Suizidgefährdeten, Beobachtern, Welterklärern und Missionaren. Es erinnert an das Bild des gegrauten Ehemanns der alten Schule. Der Mann, der verlernte sich die Schuhe zu binden, das Hemd rauszulegen, sich eine Suppe zu kochen. Jener Mann erkennt nach der Scheidung beim Anblick seiner grauen Schläfen alsdann, welch fatale Unfähigkeit er sich angezüchtet hat. Und wer stopft jetzt die Socken? Mama. Mama ist nicht suizidgefährdet. Nein, Mama muss leben um weiter die Socken zu stopfen. Liebe Eltern dieser schwachsinnigen Nachkriegsgenerationen: Ihr habt es vielleicht gut gemeint. Wolltet dass sie es besser haben. Aber was zur Hölle habt ihr nur angerichtet!

Verwundert hätte es mich nicht, wenn herausgekommen wäre, dass es der mittelständische junge Ehemann aus Duisburg war, der das Flugzeug 9/11 steuerte. Oder der gescheiterte Medienberater aus dem "coolen" Szenebezirk Berlin Kreuzberg, der sein Apple-Laptop verkaufen musste, ... nach unzähligen "Ideen".

Wir sind es selbst, die wahren Verräter unserer Welt, und diese Erkenntnis tut weh. Ja sie ist schlimm, die Stagnation. In dieser wünschen sich Menschen Kriege herbei. Doch nichts ist schlimmer, als die Stagnation in der Permanenz immer wollüstiger Veränderung. Sie schlägt ein Loch in die Arche Noah der Kreativen und vermeintlich "Andersdenkenden". Sie denunziert den Gutmenschen in seinem Hass. Entblößt die Zivilisation in ihrer geistigen Dekadenz. Entlarvt unser Wertesystem als Etikettenschwindel. Karikiert uns als Kinder unserer Eltern. Als Eltern unserer Kinder.

Ich lege mein Kopf ins Waschbecken und lasse kaltes Wasser über ihn laufen. Lange! Ich tauche auf. Schaue wieder in den Spiegel, den ich zuvor anschrie, und beende dieses Gespräch mit mir selbst in dem ich tropfend nass versuche meine zitternd gedrehte Zigarette anzuzünden.

Add new comment

The content of this field is kept private and will not be shown publicly.

Plain text

  • No HTML tags allowed.
  • Lines and paragraphs break automatically.
  • Web page addresses and email addresses turn into links automatically.