Man könnte bei einem Blick aus dem Fenster eines Zugwaggons auch fragen: Fährt der Zug oder der Bahnhof? Die #Relativitätstheorie scheint in dieser Frage schlichten zu wollen, über objektive Akzeptanz von subjektiver #Perspektive. Sie erweckt den Eindruck, einen universellen Konsens gefunden zu haben. Sie kann also dahingehend so interpretiert werden, dass bei der Frage was wahr ist und was nicht, es allein auf den Blickpunkt also die Blickrichtung vom jeweiligen Standpunkt aus ankommt.
Die Relativitätstheorie ist genau deshalb und nicht ohne Grund so populär, denn sie ist sehr versöhnlich. In der Realität am Boden haben wir aber Millionen und Milliarden von Blickpunkten, von denen aus es zwar somit durchaus eine individuelle Wahrheit geben mag, nur ist sie in der Masse noch relevant? Und kann man wirklich herbeidiskutieren, dass der Bahnhof fährt? Kann man. Aber hilft das in der jeweiligen Situation? Man könnte sich bei der Relativitätstheorie darauf einigen ein anzustrebendes Ideal zu sein. Wie weit entfernen wir uns dabei aber vom real existierenden Menschen hin zu einer #Utopie? Und von wo fangen wir an uns dahinzuarbeiten? Am besten von einer soziologischen Annahme aus: den Bandagen unserer Gesellschaft, die verschiedenen Formen auftretender Legitimation durch Mehrheitsbeschluss. Sie ist zu hinterfragen, lehrreich, und kommt Assoziationen innerhalb unserer Zivilisation sehr nahe. Von hier aus kann man realistischer umrahmt argumentieren.
Nehmen wir uns doch gleich einmal einen schönen Vaux pas unserer Zeit als Beispiel: Wie heißt es bei den strammen Karrieristen doch so schön: "Der Erfolg gibt ihm Recht." - Das ist, bezüglich dessen was eine gewisse konditionierte Mehrheit denkt, eine - wie ich es gern nenne - herbeigeredete Realität, und lässt man sie so im Raum zur allgemeinen Verwendung stehen, mehr noch: fatal. Spätestens dann fühlt man sich wie in diesem Geisterfahrer-Witz, in dem es heißt: Radiodurchsage im Autoradio - "Wir bitten um Vorsicht, Auf der A3 Richtung Regensburg befindet sich ein Geisterfahrer!" - der Fahrer dreht das Autoradio lauter, schaut entsetzt auf die Straße und schreit: "Was nur Einer? Von wegen! Hunderte ... Tausende ... !!!" -
Warum ist das ein Pendant? Nun weil "Der Erfolg gibt ihm Recht!" so als universell genutzter Satz nicht wahr sein kann, aber in gewissen Branchen schon fast eine Binsenweisheit geworden ist. Und, denkt man ohne Einfluss von Drogen auch nur einen kleinen Schritt über den Satz hinaus , muss man zwangsläufig zu dem Schluss kommen, dass das wohl der dümmste Satz der Neuzeit ist, den man jemals gehört hat. Stichpunkt "homogene Erfolgskurve", "Drosselung zur Vermeidung von Swap-backs", "Verpuffung", berühmt aber pleite, und so weiter, und so weiter. Aber der Satz ist hochinteressant im Bezug auf seine Legitimation durch Mehrheitsbeschluss und die Perspektive. Sie erzeugt eine herbeigeredete Realität. Selbst dann noch, wenn der Erfolg nachweislich nur 1 Sekunde dauerte oder wenn es das Gegenteil von dem ist, was Diejenigen oder Derjenige bezweckte, also gar kein subjektiver Erfolg ist. Ihr vom Subjekt entfernter Standpunkt und ihre Perspektive und somit der Wert den sie dem beimessen, lässt den vermeintlichen Erfolg als Erfolg aussehen und macht ihn vermeintlich erstrebenswert. Das ist was ich meinte mit "fatal". Lässt man das im Kopf mit der Relativitätstheorie kollidieren, wäre es also eine jeweils zu akzeptierende Wahrheit, auch vom Standpunkt jener Mehrheit gegenüber dem Subjekt aus. Das ist die Theorie. Aber in der Realität, in der der Standpunkt des Subjekts, also des vermeintlich "Erfolgreichen" mehr zählen sollte, als der der mehrheitlichen Beobachter, ist es ebenso wenig wahr wie es wahr ist, dass der Bahnhof fährt. Denn bei der Frage ob der Bahnhof fährt, geht es nicht universell darum ob sich die Erde entgegengesetzt der Zugfahrtrichtung dreht, sondern um die Frage ob derjenige auf der Erde, der im Zug sitzt, an sein Fahrtziel gelangt. Somit ist besagter Standpunkt, der die Relativitätstheorie als Angel nimmt, gleichzeitig auch Achillesferse in der Frage nach praktischer sowie subjektiver Relevanz.
Ja - Wir leben in einer Mehrheitsgesellschaft, und jeder darin ist ein Individuum, welches im schlimmsten Falle das Gefühl hat, ein Individuum allein gegen den Rest der Mehrheitsgesellschaft zu sein ... Aber man könnte auch einfach sagen: wir leben in einer Gesellschaft. Es läuft auf das Gleiche hinaus. Und wenn die Mehrheit beschließt, mit einem Hühnerbein in der Nase, einem Pfannkuchen auf dem Kopf und einem toten Hasen um die Hüfte den Eiffelturm herunter zu rutschen, ist die neue Art sich morgens zu begrüßen, dann ist halt Derjenige, der morgens zur Begrüßung die Hand geben möchte, oder einen Kuss auf die Wange oder eine Umarmung, plötzlich der "Geisterfahrer" aus unserem obigen Witz ... - Ich denke das Geheimnis wie man trotzdem gesellschaftlich funktionieren kann, liegt in einer gesunden und ausgewogenen Akzeptanz seiner selbst, also ohne Überziehung. Man sollte sich nicht verrückt machen, nur weil man unpassender Weise zur Begrüßung die Hand geben wollte, und nicht gleich panisch losrennen Hühnerbeine kaufen. Aber man sollte auch niemanden seine Hand aufzwingen. Manchmal ist es am gesündesten - trotz einem Gefühl der permanenten gesellschaftlichen Gleichschaltung - einfach zu akzeptieren, dass es wohl doch noch so etwas wie Individualismus gibt. Und im Übrigen: Es ist in der Tat in manch anderen Kulturen keine gute Idee die Hand zur Begrüßung auszustrecken. Was eine gelungene Überleitung zu einem anderen Unterthema ist. Nämlich Kulturen und innerliche Mehrheit und äußerliche Minderheit gegenüber anderen Kulturen, also Mehrheiten die in größeren Mehrheiten zu Minderheiten werden.
Eine Mehrheitsgesellschaft setzt gefühlt eine totale "Schere" an und wird vom Individuum manifestieren wie folgt empfunden: Wer die Mehrheit nicht akzeptiert, ist automatisch anormal, oder wer die Mehrheit offen kritisiert ist intolerant, ergo wer also mit ihr nicht klar kommt, ist gesellschaftsunfähig und gehört auf die Couch. Und in manchen Fällen ist das gar keine schlechte Idee, aber in anderen Fällen wiederum wurde vielleicht tatsächlich eine Minderheit mit einer beachtlichen Relevanz ignoriert. Aber wer ist die Mehrheit? Das Denkmuster der Relativität lässt hier zu, dass jeder Raum sich in einem größeren Raum befindet. Am extremsten spürbar ist das, wenn man in der Kultur fremd ist in der man sich bewegt und die Spielregeln, gegen die man verstößt, gar nicht kennt.
Richtig kompliziert wird es wenn Werte und Ethik ins Spiel kommen. Muss ich, wenn 15 Jungs auf dem Schulhof auf einen anderen Jungen einprügeln, die Mehrheit akzeptieren? Sicherlich ist richtig abzuwägen, ob hier nicht eine überwiegende Intoleranz gegenüber der Mehrheitsgesellschaft mein Handeln bestimmt. Aber ich kann doch nach genauerer Überprüfung nur feststellen, dass mein Gerechtigkeitssinn mir sagt, ich muss die Prügelei verhindern. Aber bin ich dann nicht intolerant? Versetzen wir die Szene: Was, wenn ich mich in einer mir fremden Kultur befinde und plötzlich der Ansicht bin, die Frauen als Minderheit in ihrer Kultur als Mehrheit würden hier ungerecht behandelt? Was wenn ich feststelle, dass meine Empörung auf Zustimmung in einer Mehrheit trifft und daraus folgend eine fatale Kulturfeindlichkeit gegenüber einer Mehrheit erzeugt, die nun plötzlich eine Minderheit darstellt? Bin ich dann noch im Recht? Spielt die Frage ob ich von einer Minderheit aus argumentiere oder einer Mehrheit bei der Frage ob ich im Recht bin überhaupt eine Rolle? Die Relativitätstheorie möchte dieses Fallbeispiel natürlich gern wieder versöhnen, aber sie sollte uns nicht dazu verleiten vor diesen fatalen Gerechtigkeitsdogmen und ihrer ungerechten Auswirkungen die Augen zu verschließen.
Die Frage ist also eigentlich falsch gestellt, denn es spielt keine Rolle ob ich allein oder in einer Mehrheit stehe. Und eine Mehrheit ist im Übrigen oft auch weniger wirksam als eine kritische Masse. Und eine sich neu entwickelnde Mehrheit kann das Wertesystem in dem wir leben, stark ins Wanken bringen. Aber das kann ein Einzelner oder eine Minderheit auch. Langfristige soziologische Prozesse unterliegen weniger dem Gemüt einer Gesellschaft, als man denken möchte. Man kann sich das gut an einer Badewanne voller Wasser vorstellen. Vom Beckenrand aus muss es für eine Ameise aussehen als bewege sich das ganze Wasser in eine Richtung. Schaut man aber von oben auf die Wanne, sieht man kleine zurückschwappende Wellen, die sich vom Beckenrand abstoßen und die Fließrichtung durchbrechen. Letztenendes bewegt sich nach einer Sekunde der gesamte Strom genau in die andere Richtung. Somit ist eine Mehrheit nicht automatisch immer wahrheitsstiftend ("Der Erfolg gibt ihm Recht") und eine Minderheit nicht unbedingt immer automatisch ein Opfer einer Mehrheit. Da besteht durchaus die Gefahr von intoleranten Gegenbewegungen die mit kritischer Hinterfragung nichts mehr gemein haben. Feine Differenzierungen sind hier wichtig. Kritikfähigkeit darf aber auch auf der Anderen Seite nicht mit dem Argument von vermeintlicher Intoleranz erstickt werden.
Also Fazit: Kritik an Mehrheitstendenzen ja. Aber nicht kategorisch, und nicht totalitär und intolerant. Meinetwegen frustriert humorvoll. Aber ohne tiefsitzender Aggression. Das ist der kleine aber wichtige Unterschied. Kritische Hinterfragung? Ja. Auf alles eine Antwort? Nein. Aber auch immer mit der Fähigkeit der Selbstkritik und Fähigkeit zur Differenzierung und Fallunterscheidung. Das wiederum gibt der Relativitätstheorie Rückenwind, sie verleitet einen eher dazu die Ambivalenz auszuhalten, die Frage von Fall zu Fall offen zu lassen. ... In diesem Sinne. Gute Fahrt, liebe Geisterfahrer.
Add new comment