Eigentlich hätte der Titel dieser Rezension heißen müssen: „Warum ich bis heute keine Rezension über den wundervollen „The Talented Mr. Ripley“ schrieb“. - Erschienen ist der Film 1999! Und geprägt hat mich dieser Film und vor allem das großartige Buch bis heute. Und war nicht selten Messlatte für andere #Bücher und Filme. Bis heute! Und wahrscheinlich morgen. Und warum der englische Titel in einer deutschen Rezension? Weil talented nicht gleich talentiert ist! Und schon gar nicht in einer so wundervoll zweideutigen Geschichte. Dass ein Autor, der selbst genug großartige Dramen schreibt, eine Buchadaption verfilmen möchte, sagt schon viel über die Geschichte und den Respekt des Filmemachers vor dieser aus. Und genau das spürt man auch im Film.
Die Antwort auf die Eingangs-Frage ist: Der Film braucht eigentlich keine. Sie würde die Dinge zu stark vereinfachen. Und wie erklärt man all diese Elemente in der Erzählstruktur zwischen den Zeilen und Bildern? Und sollte man auf sie eingehen? Wie soll man beschreiben, dass dieser Film, dieses Buch buchstäblich einen Geruch hat. Ja! Die Geschichte eine von diesen alle Sinne aktivierenden Geschichten die man „live“ miterlebt.
Na ja, seien wir mal ehrlich, die meisten Filme brauchen so gesehen eigentlich keine Filmkritik. Und meistens schreibe ich nur deshalb eine, weil ich das Bedürfnis habe einen Film zu verreißen, der meiner Ansicht nach grundlos hochgelobt wird und Kasse macht und das Filmverständnis der Zuschauer nach unten drückt. Aber wer bin ich, dass ich mir das anmaße? Nun ich bin mit Sicherheit kein Maßstab aber ein (kleiner) Filmkenner, das ist gewiss. Aber ich bin auch ein uneiteler Verfechter meiner Wünsche, wie es mit dem Film per sé weitergehen soll. Und ich stehe für meine Träume ein. Und wer mich dafür kritisiert, soll hiermit von mir Zuspruch bekommen. Das gestehe ich offen zu. Weil es ein Gegengewicht gegen all die Lobhudelei von Mega-Blockbustern geben muss.
Zugegeben, Ripley ist längst kein Nischenfilm mehr Was?. Er gehört seit Jahren zum Jahresprogramm von ARTE. Aber er ist inspirierend und zu schade um nur von „Filmverstehern“ und „Erzählfilmfans“ gesehen zu werden. Es ist ein inspirierendes Stück Literatur und eine besondere Form von bewegten Bildern und deswegen möchte ich eine kleine Lobhudelei dieses entzückenden und zeitlosen Films loswerden. Dabei ist es völlig egal, ob Sie den Film schon gesehen haben oder nicht. Sie können die kommenden Zeilen getrost lesen und werden den Film danach immer noch mögen oder immer noch nicht mögen, oder immer noch sehen wollen oder immer noch nicht sehen wollen. Ich werde ihre Einstellung nicht ändern. Will ich gar nicht.
Doch will ich. Ach, ich will nur, dass Sie verstehen warum ich diesen Film zu den wenigen zähle, die innerhalb der Filmära zeitlos sind. Ähnlich wie "Der große Diktator“, "Metropolis“, "Nosferatu“ , "Cloud Atlas" (ja er ist gefloppt, na und? trotzdem ein monumentaler Film)… fügen sie die Wikipedia-Liste der größten Filme aller Zeiten hier gern in ihrem Kopf hinzu ...
Gedreht wurden große Teile des Films an vielen wundervollen Orten Italiens, die ich selbst schon bereist habe und kann sagen, dass das Filmauge hier nichts beschönigt oder mit Hollywood-Klischees übersät hat. Ja, die Busfahrer singen wirklich! Und wenn sie Glück haben, hält er sogar an einem Berghangpass und pflügt von seinem hohen Fahrerstuhl aus Orangen von den über die Straße den Hang herab hängenden Ästen, die er dann nach hinten zu den Gästen wirft. Und ja, es gibt wirklich unglaublich interessante Jazzclubs in Italien. Das würde man nicht vermuten, wenn man deutschen Klischees von Italien folgt, wo es nur Caruso, Pavarotti und Eros Ramazotti gibt. Ist aber so. Und ja, es gibt eine bestimmte Kaste von Familien des großen industriellen Aufschwungs in den USA, die eine große Liebe für die alten historischen Regionen Europas, wie bestimmte Landstriche in Italien und Frankreich haben und es ist keine Fiktion, dass die Geschichte sich um Kinder neureicher amerikanischer Eltern dreht, die mit einem Bein im schönen alten Europa wohnen. Genau hier beginnt schon die komplexe Genialität der Geschichte und des Films. Er ist gnadenlos ehrlich in der Weise wie die Geschichte Europas und die der anderen Kontinente sich bereits in den 1940er/1950er Jahren geändert hat. Gerade für uns Mittel-Europäer, die es gewohnt sind, diejenigen zu sein, die sich ihre Klischees vom romantischen Ausland schaffen und diese Regionen dann gern zu ihren Ferienkolonien erklären, ist es schwer zu ertragen wie genau dieses Verhalten von amerikanischen Kindern okkupiert wird, wenn sie Europa bereisen. Aber auch die Amerikaner werden nicht verschont, denn der amerikanische kosmopolite Schöngeist einer Küstenstadt sieht es auch nicht gern wie sein zum Teil etwas elfenbeinturmartiges Weltbild in dem Film gnadenlos karikiert wird.
Wie unschwer aus dem Vorwort zu erkennen: Der Film ist eine Buchadaption. Und nicht die erste. Bereits 1960 wurde der Roman als Vorlage für den Film „Nur die Sonne war Zeuge“ (franz./ital. Koproduktion von 1960, Originaltitel: „Plein soleil“) mit Alain Delon und Maurice Ronet genutzt. Die Autorin des Romans Patricia Highsmith selbst lebte die größte Zeit ihres Lebens übrigens selbst in Europa und hat viele Blickwinkel zu diesem Aspekt. Geboren war sie in der Hauptstadt der American Airlines, in Fort Worth, im amerikanischsten Bundesstaat der USA, in Texas. Ihr Weg zu einer der größten Autorinnen der USA ihrer Zeit war steinig und voller profaner Lebensabschnitte. Sehr sympathisch. Und sie schwankte immer zwischen Bildern und Worten; womit möchte sie sich mehr beschäftigen. Und darüber hinaus: kein Wunder dass ihre Geschichten bei mir gut ankommen. Ihre literarischen Vorbilder waren u.a. Dostojewski, Friedrich Nietzsche, Edgar Allan Poe, Joseph Conrad, Franz Kafka, Julien Green, Jean-Paul Sartre und Albert Camus. Volltreffer! Seelenverwandt!
In den meisten Fällen neige ich dazu, die Erstverfilmung einer Geschichte vorzuziehen und die Nachfolger leidenschaftlich zu verschmähen. „Sollen sie sich doch selbst eine gute Idee für eine Romanverfilmung suchen!“ Ich mag es nicht, wenn erfolgsorientierte Menschen im Kielwasser der Ideen Anderer schwimmen. Auch nicht wenn das Drehbuch eine Buchadaption ist. Aber hier ist das anders. Die Fassetten der Neuverfilmung, die Art wie die Kamera die Geschichte erzählt, der Schnittstil und die Regie sind einfach großartig! Wirklich einer Buchadaption würdig. Und so als würde man ein gutes Buch abends im Bett verschlingen. Sehr feinfühlig und sehr kunstvoll, ohne sich aufzudrängen in der Kunstfertigkeit, wird hier wahre Filmakrobatik dargeboten. Und fast alle Darsteller sind in sich und mit ihren Rollen wie verschmolzen und bilden einen kunstvollen Farbtupfer im Geschichtenteppich. Bis hin zu Kurzauftritten, wie dem vom italienischen Kriminal-Inspektor und seinem Nachfolger. Sie sind alle einzigartig und wundervolle Figuren für sich.
Schon die Einleitung des Filmes ist wie eine feine Partie gespielt, wie mit einer Fingerspitze, die auf einem Unterarm entlang spaziert. Aus heutiger Sicht natürlich mit Abstand und Rückblick zu betrachten, denn es sind inzwischen viele Filmminuten und Jahre vergangen in denen sich viele großartige Filmstile etablieren konnten und manche Unarten der 1990er rückblickend vielleicht etwas irritieren mögen. So möge man sich diese Wegdenken, wie z.B. die „Off“-Dialoge, welche damals üblicher Weise nicht ausgebaut wurden, da sie außerhalb des Fokus passierten. Mit heutigen Sehgewohnheiten irritiert das ein wenig weil man das heute nicht mehr macht (Gott sei Dank) und auch Dialoge im Hintergrund inzwischen Sinn ergeben oder auch inzwischen gut synchronisiert werden.
Es fällt nicht schwer als Filmkenner und leidenschaftlicher Beobachter von Kamerabewegung und Erzählstruktur diesen Film zu verschlingen, denn schon wenige Minuten nach der Eingangsszene kommt eine weitere großartig aufgebaute Szene, im Bahnhof, wo unser Protagonist das erste Mal auf eine wichtige Figur der kommenden Geschichte trifft. Die Art, wie hier mit Licht gearbeitet wird, und wie die Statisten hier choreografiert sind, ist atemberaubend. Wenn man ein Auge dafür hat ...
Highsmith erlebt diese Neuverfilmung ihres Romans leider nicht mehr. Sie verstarb 1995 in Locarno in der Schweiz. Aber ich bin mir sicher, sie hätte diese Adaption gemocht. Anthony Minghella, der Regisseur dieses großartigen Streifens ist selbst ein großartiger Geschichtenerzähler und preisgekrönter Autor von Theaterstücken, Fernseh- und Filmdrehbüchern und wird schon seine Gründe dafür gehabt haben, sich für eine nicht eigene Geschichte, und vor allem eine, die bereits schon einmal verfilmt wurde, zu entscheiden. Der Brite war ein guter Freund Sydney Pollacks, für mich schon Grund genug ihn zu mögen, und gründete mit ihm zusammen Mirage Enterprises. Der Grundstein für Filme die Geschichte schrieben unter seiner Regie, wie zum Beispiel „Der englische Patient“ und „The Talented Mr Ripley“, war gelegt. Wie ich zum letzteren bereits bezüglich der Schauspieler anmerkte, hat die Regie bezüglich derer Arbeit mit ihren Rollen großes geleistet. Er galt als hervorragender Schauspielerregisseur. Unter seiner Regie brachten es viele zu Oscar-Nominierungen, zwei Schauspielerinnen erhielten die Auszeichnung als „Beste Nebendarstellerin“: Juliette Binoche (Der englische Patient) und Renée Zellweger (Unterwegs nach Cold Mountain). Der 2001 vom Königshaus zum Ritter geschlagene CBE und gebürtige Brite italienisch-schottischer Eltern verstarb unerwartet mit 54 Jahren durch eine sich verkomplizierende Operation und inneren Blutungen im Jahr 2008. Wie gern hätte ich ihm meine Hochachtung für diesen Film übermittelt.
Natürlich ist es, wie in den 1990ern üblich, ein Dialogfilm jener Art, wo wenig auf die Umgebung (für heutige Verhältnisse) eingegangen wurde. Aber genau hier liegt wieder eine der Raffinessen des Films. Wenn auch nicht im Fokus der Dialoge - Matt Damon spielt einfach großartig und lässt wenig Zeit um „um die Ecke zuschauen“ - so ist die Kulisse dennoch sehr eindrucksvoll und dringlich, ohne minutenlange Establisher, und bleibt für Jahre(!) im Gedächtnis. Da wurde einfach großartig ineinander geflochten und wurden großartige Hintergrundbilder für den Vordergrund geschaffen. Da kommen große Bildaufteilungskunst, Kameraarbeit und Licht ins Spiel. Anders wäre das nicht möglich ohne dass das eine das andere überschreibt. So soll hier auch nicht der hochgeschätzte Zeichner der Bilder, Kameragröße „John Seale“ unerwähnt bleiben („Der einzige Zeuge“, „Rain Man“, „Der Club der toten Dichter“).
Ich könnte noch ewig so weiter machen und jede einzelne Szene und ihre Genialität im Einzelen erläutern, aber ich fürchte das sprengt den Rahmen und vor allem die Idee einer Filmrezension Die da wäre?. Und die Geschichte, auf die dieser großartige Film basiert, ist eine für sich so derartig filigrane mit so viel guten Beobachtungen und Andeutungen bespickte Menschenstudie und feinfühlige nicht zaghafte aber zarte und gewollte Provokation für jeden Menschen in seiner Ethik und selbstverschätzenden Weltfremdheit gepaart mit wundervollen Pointen als kleine Ohrfeigen, dass ich fürchte nur selbstkritische Menschen und Menschen die über sich lachen können werden diesen Streifen wirklich genießen können.
Für heutige Verhältnisse ein wahrscheinlich für viele eher als leicht dahinplätschernder Film wahrgenommener, aber für sensible Beobachter als großartiger Fundus vieler großartiger kleiner Momente aufgefasster zweifellos als Film-Klassiker zu bezeichnender Arthaus-Streifen mit einer wundervoll dezent platzierten aber großartig wirkenden Filmmusik von Gabriel Yared, die „Das Leben der Anderen“-Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck dazu inspirierte, ihn leidenschaftlich darum zu bitten, für seinen Erst-Film, dessen Erfolg damals noch nicht abzusehen war, die Musik zu schreiben.
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Wow, wieviel Leidenschaft Frau Leuchner in eine positive Rezension stecken kann, ich dachte sie könnte das nur bei Filmen die sie verreißt :). Danke für die Erinnerung, ich setz ihn auf die "mal-wieder-ansehen-Liste".
Er war schon fast aus meinem Gedächtnis verschwunden und nun stolpere ich über diese Rezension, von einer scheinbar bekannten "Film-Vereisserin", die ich bis dato noch nicht kannte. Jetzt fielen mir wieder all die schönen Bilder und Gedanken ein und auch die unglaublich traurigen Momente. Gänsehaut. Also mein heutiger Filmabend scheint mit diesem Film perfekt.
Aus meiner SIcht die beste und mutigste Arbeit von Minghella. Weder der englische Patient noch Cold Mountain waren so kompatibel zu verschiedenen Ebenen des filmischen Anspruchs. Cold Mountain war zu schnulzig und die Wagnisse waren mir zu platt und "Der englische Patient" auch, vor allem war dieser ein "BItte nehmt mich liebe Oscars" Film ala Blockbuster Strickmuster. Alles gute Filme, keine Frage! Er ist ein unfassbar guter Geschichtenerzähler und Actors-Longeur. Aber RIpley war meiner Ansicht nach sein wahres Vermächtnis. ... R.I.P. Minghella! Ich hätte gern gesehen was als nächstes kommt. Ein großer Verlust!
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