Die heimliche Kunst im Film (über)lebt. Aber wie man mal wieder sieht, nicht bei den jungen Usern einschlägiger Filmportale und Filmrezensionsblätter. Vermutlich zu viel Gewolltes und zu wenig Gekonntes. Zu wenig Empfundenes und zu viel zur Schau gestelltes. Sonst würde man sich ja nicht fragen müssen: Wie kann man solch einen Film „übersehen“? Vielleicht weil es eine Hommage an einen anderen Filmemacher ist? Oder weil es den Stil einer Doku und eines Spielfilms mischt? Oder weil es keine Selbstbeweihräucherung des Regisseurs selbst repräsentiert? Weil es grotesk ist? Zu dumm, dass dabei verkannt wird, dass es ein Meisterwerk ist...
Wenigstens Wenders ist in der Lage große Filmemacher, die ihn inspiriert haben gebührend und vor allem auf höchst innovative Weise zu ehren und dabei keine Kontroverse zu scheuen, die aber emotional zwingend und nicht hineingedichtet wirkt. Dieser Film ist eine Hommage an einen solchen. Und das auf eine Art, die so nur von einem ebenbürtigen Kollegen stammen kann. Es ist der Handschlag zwischen zwei Zeitreisenden, die sich im Vorbeigehen zunicken und dabei beide um ihr Ende wissen. Der eine früher, der andere später. Es ist eine kunstvolle und lebenswerte Grundaufassung zum Leben, zum Film, zum Leben im Film, und zum Tod. Es ist Heiner Müllers Auffassung von Leben und Tod. Und meine...
Leider geht dieser Film samt seinem Macher bei zu vielen jungen Möchtegern-Filmkennern, die Jarmusch ironischer Weise hingegen völlig überloben und wahrscheinlich schon wegen seines "Öko-Papa" Waldorfschulen-Namens und aktuellen Überhypes zum gemeinsamen Kiffen einladen möchten, unter. Dabei hat der gute Jim seinen größten Durchbruch eigentlich mit einem Film gemacht, der nicht zufällig parallel eben genau in der Zeit zu diesem hier entstand, als er sich nämlich als Regie-Assistent bei Herr Wenders verdingend Inspiration bei gesagtem Herrn und eben den Dreharbeiten zu genau diesem Film hier holte, an dem er mitlaufen durfte. Das Ergebnis wurde völlig übertrieben gefeiert und überschätzt, wie ich finde, da man bei seinem Erstlingswerk (Stranger than Paradise) eigentlich nur von einer gelungenen "Fingerübung" oder Etüde sprechen kann. Unvergleichbar mit diesem Meisterwerk hier, welches, wie locker aus der Hand geschüttelt herüberkommend, zur selben Zeit entstanden, dabei aber nicht nur filmtechnisch eine Menge Herausforderungen des Stoffes und der Grundidee sondern auch der damaligen Zeit auf unglaubliche Weise gelöst hat.
Wenders betritt das beinahe leerstehende Loft in New York welches kaum eingerichtet ist. Nur Arbeit ist zu sehen. Ein verkniffen dreinblickender hagerer junger Mann mit bereits schütteren langem Haar, einem Glasauge und einem funktionierenden Auge mustert das Negativ einer Filmrolle im Gegenlicht an einem einfachen Holztisch und hat sichtlich Mühe mit seinem einem Auge etwas auf dem Streifen zu erkennen. Wenders nach seinem Freund suchend: „Sag mal, Nick!?“ - Nick: „Ja?“ (Hust!) Nicky Ray richtet sich aus seinem Bett im anderen Zimmer auf und macht sich hustend eine Zigarette an. Er wirkt alt und gebrechlich, und die Haare stehen ihm vom Kopfkissen noch zu Berge. - Wenders: „Nick?! Ist das eine gute Idee wenn ein Halbblinder und ein sterbenskranker kette-rauchender Lungenkrebspatient planen einen neuen Film zu machen?“ - Nicky Ray muss lachen und fängt dabei an zu husten. Er lacht und hustet gleichzeitig den Rauch der Zigarette aus seiner Lunge. Nick: „Ja!“ (Begrüßungsszene Ende)
In den folgenden Sequenzen lernen wir dann den Mann kennen, ohne den es wohl keinen James Dean Mythos gegeben hätte … den Regisseur Nicky Ray und seine Liebe zum Film als Kunstform.
Chapeau, Mr. Wenders! Film-Geschichte ohne Zuhilfenahme von Attraktionen und Popkultur! Einfach nur unvergesslich und wahrlich einzigartig. Und das hat bei mir schon seit der ersten Sichtung des Filmes nach seinem Erscheinen bis heute angehalten. Also kein spontaner Eindruck. Berechtigt Ihre immer noch oder immer aktueller werdende Frage, die Sie einem jungen Filmemacher in New York einst stellten:
"Wieso wollen Sie heute Filmemacher werden?"
Comments
Als "Meisterwerk" werden die meisten Werke erst im Rückblick angesehen. Meist sind sie ihrer Zeit einfach voraus und es braucht die zukünftige Generation um dies zu erkennen. Bei Filmen vielleicht nicht so häufig wie bei Werken aus der bildenden Kunst, aber Filme wie Metropolis (Fritz Lang), Das Fenster zum Hof (Alfred Hitchcock) und andere zeigen das ganz gut. Und ich finde dieser unterschätze Film gehört auch dazu.
Eine der wahren und seltenen Filmperlen, die Frau Leuchner hier rezensiert, und das in ihrer typischen, seltenen Art. Und nicht nur deshalb selten, sondern auch weil es leider überwiegend schlechte bis furchtbare Filme gibt und man in diesem Dschungel an bewegten Bildern wirklich aufmerksam sein muss um die handvoll guter Filme nicht zu übersehen.
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