Charlotte Roches Schoßgebete

Britta Leuchner
Geschrieben von:

Britta Leuchner

Filmkritikerin, freie Publizistin

Eine Kritik zum Buch und Kino-Film

Charlotte Roches Schoßgebete

Koketerrie oder aufbrechende Keuschheit

Preview Abbildung des BluRay DVD Covers zum Kinofilm - Schossgebete - 2014

BluRay/DVD Cover zum Kinofilm "Schoßgebete" aus dem Jahr 2014. Nach dem (unverständlicherweise) großen Erfolg des Buches Schoßgebete, sofortige Positionierung auf Platz 1 der Bestsellerlisten, hielt sich die Begeisterung der Massen zum Film (verständlicherweise) eher in Grenzen.

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Lesedauer: 7 mins

Schoßgebete (DE) | 2014

Regie: Sönke Wortmann
Drehbuch: Oliver Berben
Originalsprache: Deutsch
Produzenten: Oliver Berben, Tom Spiess
Musik: Martin Todsharow
Kamera: Maher Maleh
Schnitt: Ueli Christen

Schauspieler (Cast):

Lavinia Wilson: Elizabeth Kiehl
Jürgen Vogel: Georg Kiehl
Juliane Köhler: Dr. Drescher
Anna Stieblich: Elizabeths Mutter

Produktion: Constantin Film Produktion, Constantin Film
Produktionsland: Deutschland
Länge: 89 Min. | Freigabe: FSK 16

Ein masturbierendes Pseudo-Schockwerk auf dem Niveau post-amerikanischer Aufklärung nach sexueller Prohibition im Stile einer Altweiber-Bahnhofslektüre, erst auf die Hugendubel-Eingangs-Pyramiden und dann an die Cinemaxx Leinwände geklatscht und mit ein paar Namen verziert.

Ja und das kann nur noch schlimmer werden wenn man sich mal anguckt, wer sich im Stande fühlt 24 Frames pro Sekunde dafür zu verschwenden, 1 1/2 Stunden lang: die Macher von "Männersache", "Blutzbrüdaz", "Der bewegte Mann", "Die Päpstin". Das reicht eigentlich bei mir schon aus, um zu wissen, dass ich den Film nicht bewerten kann, da ich ihn nicht sehen möchte. Alles Filme, deren Bewertung ich mir und euch aus Berufs-ethischen Gründen verkniffen hatte. Aber ich wollte es nicht dabei belassen, denn es muss mal ein Ende haben. Ich wollte diesmal nicht wortlos bleiben und Frau Roches Interesse an Schlingensief hatte mich milde gestimmt. Also nahm ich das Buch zur Hand und war von vorn bis hinten gelangweilt.

Beim Notizen machen ertappte ich mich bei Etwas, was mir ein Licht aufgehen lies: Ich hatte ein schlechtes Gewissen gegenüber Roche harte Worte der Kritik zu wählen weil sie permanent den persönlichen Bezug zur Geschichte betonte. Schnell erkannte ich - vor allem im Zuge einiger anderer Äußerungen und ihrem Kamerawesen - dass das eine geschickt eingebaute Hemmschwelle für die Kritik war, und das machte mich nur noch wütender. Ich wusste aus eigener Erfahrung, wer sich benutzt der weiß was er tut. Also keine Gnade!

Gnade wäre auch wirklich meiner Ansicht nach nicht angebracht: So langsam werde ich echt zynisch gegenüber der perfiden Streuung von banaler Popkultur im Deckmantel vermeintlich relevanter Themen. Es gab nicht ein einziges Beispiel für mich, wo ich heute dankbar dafür gewesen wäre, dass ein(e) junge(r) Musikmoderator(In), gescheiterter Popkünstler oder Ähnliches in Deutschland versucht haben ins ernste Fach zu wechseln. Und sei es mit noch so verzweifelt versucht aufgesetztem Intellekt oder Hippie-Humor, der sich oft schnell als reine Imagehülse entpuppte oder Schlimmeres. Dagegen finde ich Dolly Buster noch angenehm und wenigstens auf ihre Art ehrlich.

Nun kann man schlecht einen ungesehen Film rezensieren und so hatte ich mich also an einem Nachmittag dazu überwunden die Teeny-Kommödie durchlaufen zu lassen. Und was soll ich sagen ... Ich kam von einem Facepalm zu nächsten. Alles war vorhersehbar. Fremdschämen. Jeder Witz war lauwarm. Die etwas schmutzigen unter ihnen setzten auf die Spießerkarte und hofften verkrampft beim Publikum so was wie die entsetzte Hand vor dem Mund oder so einen schockierten Blick zu provozieren. Dabei war das alles nur katholisch verkrampfter Schlüsselloch-Humor mit Kichern über böse Worte. Über diese Art "Aufklärungsfilme" habe ich mich schon aus dem prüden Amerika lustig gemacht. Ich hätte nicht gedacht, dass mir das hierzulande auch passiert. Aber eigentlich nur logisch: Berlin ist halt nicht Reutlingen. Der Deutsche ist jetzt nicht fortschrittlich oder aufgeklärt per se. Da braucht es schon ein bisschen Dr. Sommer für Erwachsene.

Trotz meinem Selbstversuch einer, wie soll ich es nennen, demokratischen Grundeinstellung gegenüber den - nennen wir es im Besten Falle - verschiedenen Geschmäckern in Kunst und Entertainment (in dem Falle und im besten Falle letzteres) und meiner Freude darüber, dass das Filme -und Bücher Produzieren zugänglicher geworden ist, wünschte ich mir manchmal die elitären Zeiten mächtiger harter Kritiker zurück, die solch ... "Geschriebens" gnadenlos in den Boden stampften. Und da wären diese "Werke" dann auch gelandet.

Roche begreift sich vielleicht als moderner Rimbaud. Oder andere tun es und sie hasst sich für das, was sie schreibt, so wie ich (also mein Geschriebenes). Aber ich kann nicht anders als es zu bekämpfen für die in mir unaufhörlich lodernde Flamme der Hoffnung, dass wir in diesem Jahrhundert literarisch nicht untergehen!

Interview Roche: "Das wollen manche Frauen vielleicht nicht hören aber: Nerv deinen Partner nicht mit Deiner Macke. Geh mit deinem Problem zu einem Therapeuten, nicht zu Deinem Mann." Glückwunsch! Empfehlungen generell und insbesondere solcher "fachlichen" Art a là "Brigitte" Magazin mag ich besonders. Filmausschnitt: "Ich weiß nicht warum, immer wenn ich Sex habe, muss ich an Alice Schwarzer denken." - Wow. Alice ich zieh den Hut vor Dir. Und nebenbei noch 20 Jahre Emanzipation ins Klo für einen Stammtisch-Kracher, einen billigen Schenkelklopfer, wie wir sie schon von Schnösel Schweighöfer kennen. Alles unerträgliches Zielgruppen-Geheische, mal die Frauen, mal die Männer. Das gesamte Roche-Projekt, ein einziges durch gestyletes Marketing-Konzept für die moderne Hipster-Braut. Ich empfehle als nächstes "Roche & Schweighöfer" in "Frettchen im Bettchen, Alles lose in der Hose", dem neuen Aufklärungsfilm mit privaten und ganz persönlichen Bezügen aus dem Leben von Roche und dem Brandenburger Tor Schlüpferstürmer Schweighöfer.

Mir tut es im Nachhinein wirklich immer ein bisschen weh so etwas zu schreiben, aber die Wut ist ehrlich, auch wenn sie vielleicht in Teilen ungerecht ist oder einen Menschen kränkt. Das soll kein(!) unprofessioneller Rückzug vom Gesagten sein, weil ich es wirklich so empfinde und auch glaube, dass der dadurch entstehende Schaden in der literarischen Epoche in der wir leben groß ist!

Timothy Bradshaw kommentierte den Leitartikel zu Roches Kinopremiere im Focus so:

Die Inhaltsangabe des Films / Buches las sich in etwa so: Klischee Klischee Klischee, Klischee. Klischee, Klischee Klischee. Klischee Klischee; Klischee. Klischee Klischee Klischee. Aber hey, es kommen Sex und Dreier und Puff-Besuche vor und es wurde von einer Frau geschrieben, also nichts ab auf die Bestsellerliste mit dem Buch!

Ja lieber Leser, das ist nun mal so in der Popkultur. Da muss man arbeiten mit dem was da ist, und kann nicht hoffen, dass man etwas erschafft, womit etwas entsteht was vorher nicht da war. Dafür ist die brotlose Kunst zuständig. Und das wäre ein zu hohes Risiko. Denn Popkultur, so wissen wir, ist nicht dazu da unseren Geist zu erweitern, sondern die Portemonnaies der Macher um die Industrie zu unterstützen, damit sie uns weiter verblöden kann.

Zum Abschluss ein Gedicht von Rimbaud, dass er schrieb, als diese Art von Aufklärung noch von Nöten war und vor allem war er bei Weitem jünger zu dem Zeitpunkt als Roche:

Närrisches Spiel in drei Küssen

Sie hatte kaum noch Wäsche an,
Und durch das Fenster warf ein Baum
Aus halber Höhe rosa Schaum
Und Duft herein. Der Mond begann.

Sie saß im Sessel wie der Mond so blank,
Verschämt die Arme auf der jungen Brust.
Die kleinen Füße wippten unbewußt
Den Takt der Lust, mein Herz schlug fieberkrank.

Ein blauer Schatten schoß vom Laubgewirr
Herunter, traf des Leibes Elfenbein
Und stand erschrocken irr
Wie ein Insekt auf spiegelweißem Stein.

Ich küsste meiner Dame heiß
Der feinen Knöchel Muskelspiel
Und war noch weit von meinem Ziel;
Sie lachte: "Du, um keinen Preis."

Die schmalen Fesseln zogen sich,
Husch, in den roten Plüsch zurück,
Ich fühlte ihre Fingerspitzen im Genick
Wie Nesselgift, Insektenstich.

Sie schloß die Augen schreckhaft zu
Beim nächsten Kusse auf das Knie,
Ihr schmales Schlangenzünglein schrie:
"Wagt sich dein Mund noch weiter, du,

Dann beiß ich dich!?" Mein Mund, im Zug
War schneller und entdeckte in dem Tal
Der Brüste das blutrote Muttermal
Und das war ihr zuletzt noch nicht genug.

Sie hatte nichts als nur die Haut noch an,
Und durch das Fenster warf ein Baum,
Als freue es auch ihn, aus rosa Schaum
Ein Seidenpfühl herein. Und Gott begann.

Jean-Nicolas Arthur Rimbaud (1854 - 1891)

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