Betty Anne Waters ist ein großartig erzählter weit unterschätzter Nischenfilm basierend auf einer unfassbaren, aber wahren Geschichte und einem sehr verhaltenen und präzise arbeitendem Cast. Die Besetzung scheint es, so fühlt es sich an, überhaupt nur für diesen Film zu geben. Da wurde Bild, Ton und Geschichte unzertrennlich miteinander verschmolzen. Und obwohl ruhig erzählt, gibt mir der ganze Film nicht einen Moment Ruhe im Kopf. Und das völlig ohne Überladung oder das Gefühl, da hätte noch ein bisschen Speck weg gekonnt. Auch wenn das Thema "Kampf der Gerechtigkeit vs. Rechtsprechung und Gerichtsbarkeit" vor Gericht an Filme wie "Erin Brokovich" etc. erinnern mag, darf man dem Film hier nicht unrecht tun. Hier geht es nicht um Gut und Böse. Hier wurde nichts kopiert und hier ist nichts was im Ansatz an #Hollywood-Schema Filme erinnert. Es gibt auch keine eindeutigen Helden. Nur Menschen. Und eine wahre ergreifende Geschichte zweier verbundener Schicksale, einer Frau, die vor Gericht um die Unschuld ihres Bruders kämpft.
Und das ist der Bodenständigkeit und Sensibilität zu verdanken, mit der hier #Schauspieler sowie #Regie und Kamera solide Arbeit leisten. Ohne große Hollywood-Egos, ohne große Spezialeffekte, ohne dickes Getöse kommt der Film voll und ganz mit der Leistung der Schauspieler, der Regie, der Kamera und dem hervorragenden Drehbuch aus, um mich dazu zu bringen, jedem diesen Film empfehlen zu wollen.
Im Übrigen hier meiner Ansicht nach bis dato in der überzeugendsten Charakterrolle von Sam Rockwell, und das obwohl ich viele seiner Filme bereits mochte und mag. Überzeugend weil es nicht leicht ist zuzuspielen, nicht im Mittelpunkt stehend und als Hauptnebenrolle gutes Zuspiel leisten zu müssen in einer Art, wie es sonst eher DeNiros Aufgabe ist. Und Rockwell macht es in der dem Film abverlangten Zurückgehaltenheit aber dem nötigen Esprit zur Unterstützung der Rolle mit Bravur und hat in jedem Moment wo er erscheint meine volle Aufmerksamkeit. Und jene großartige Schauspielerin, die er in diesem Film supported, hält sich in ihrer Hauptrolle wiederum so gekonnt also nicht versehentlich sondern präzise(!) zurück, dass das komplizierte Verhältnis und die schwierig umzusetzende Betonung der jeweiligen Figuren durch ihr ungleichgewichtiges Erscheinen, was nötig war um den Plot stricken zu können, wieder ins Gleichgewicht kommt. Hilary Swank gehört für mich schon lang zu den unterschätzten Charakterschauspielerin von „drüben“ mit einer Messerscharfen Präzision und gekonntem Gespür für gute Rollen, was aber wohl nur hierzulande diesen Eindruck zu machen scheint, soviel ich mitbekommen habe. Denn anderorts ist die Anerkennung für ihre Arbeit durchaus verbreitet.
Die zu dem Zeitpunkt 4. Regiearbeit des im Übrigen auch als Schauspieler bekannten Tony Goldwyn beruht auf einer traurigen aber wahren Begebenheit in den 1980er Jahren in den #USA. Und was selten für Filme ist: die Eckdaten der Geschichte sind ausnahmsweise mal authentisch: 1980 der tragische Fund der verstümmelten Leiche am Rand von Ayer/Massachusetts, die schnellen Anschuldigungen gegenüber Kenny Waters, einem vor Ort bekannten leicht aufbrausenden „Unglücksraben“ und jungem „Rauhbein“ und dessen Verurteilung zwei Jahre später. Dann das Doppelleben seiner Schwester als Ehefrau, zweifache Mutter, Kellnerin und Studentin sowie während der 1990er Jahre ihr hartnäckiger Einsatz als dann fertige Anwältin für die Rechte ihres Bruders, den keiner so gut kannte wie sie. Auch das daraus entstehende Projekt (Das echte Innocence Project) zur Unterstützung unrechtmäßig Verurteilter wurde tatsächlich gegründet und hat bis 2011 wohl schätzungsweise 312 zu Unrecht Verurteilten geholfen, ihre Unschuld zu beweisen. Eine wahre Tragödie die im Film unerwähnt bleibt: Kenny Waters starb sechs Monate nach seiner Freilassung bei einem Unfall.
Dass dieser Film wieder einmal das Thema Rechtsprechung und ihre Folgen auf den Plan rufen will und solche Projekte wie das „Innocent Projekt“, was ich dort aus meiner zum Einen fernen, aber auch direkten Beobachtung vor Ort für sehr wichtig halte, oft über lange Phasen große und heiß diskutierte Themen in den USA sind, ist vielleicht nicht überall in der Welt nachzuvollziehen. Aber die Widersprüche die zwischen den verschiedenen Milieus und Menschengruppen in den USA herrschen und die daraus resultierenden Vorurteile und Unrechte, die im Alltag zum tragen kommen, sind beinahe unvergleichbar mit dem Rest der westlichen Welt. Es ist nun mal ein Land mit einer jungen und komplexen Entstehungsgeschichte und einer großen Vielfalt an Menschengruppen und Auffassungen. Und wenn wir mal bedenken, wie zerrüttet Europa und angrenzende Staaten derzeit sind, und das schon ohne dass sie „unter einem Dach“ wohnen müssen, dann kann man sich mal versuchen vorzustellen welche Herausforderung da der Bundesstaatenverbund der USA innenpolitisch zu leisten hat. Keine leichte Aufgabe. Und wahrscheinlich ist dort aktive Demokratie und der Einsatz für bestimmte Dinge „von unten“ schon unausweichlich erforderlich, wenn man nicht unter die Räder kommen will. Ich spreche von der Demokratie auf der „Straße“, in Verbänden, auf Demonstrationen, etc. Nicht von der parlamentarischen Demokratie, den verschiedenen Regierungsschichten und dem für uns schwer nachvollziehbaren 2-Parteien-System. Das liegt daran, dass in den USA viel mehr Politik auf der Straße gemacht wird, während wir uns gern zurück lehnen und zuschauen was die verschiedenen „Volksvertreter“ unsereins so bei uns im Parlament anstellen um ihnen dann die Schuld an der Misere zu geben.
Wie die verschiedenen Überzeugungen in diesem Fall aufeinander treffen ohne über zu dramatisieren ist in dem Film sehr authentisch skizziert und zum Beispiel hervorragend durch die wundervolle Melissa Leo als Teil des Antagonistenlagers schauspielerisch karikiert worden. Die Oscarpreisträgerin hatte mich schon in Frozen River davon überzeugt zu den großen un-eitlen NischenschauspielerInnen des Charakterfaches zu gehören und ist hier wieder unfassbar gekonnt mit der Kulisse verschmolzen. Gastauftritte wir in dem sinnfreien „The Equalizer“ verzeih ich ihr. Man muss ja schließlich ein breites Spektrum an Filmen ausprobiert haben.
Die Vielschichtigkeit des Films möchte ich diesmal nicht bis ins Detail weiter erörtern, denn das sollte jeder für sich selbst entdecken. Vielleicht schreibe ich darüber noch einmal, wenn der Film 20 Jahre alt ist. Oder auch nicht. Seine Halbwertzeit ist noch abzuwarten, also inwiefern der Film lang im Gedächtnis bleibt. Aber das kann bei einer wahren Begebenheit schon allein an der Vielzahl solcher Geschichten selbst liegen und muss nicht immer der Erzählart in die Schuhe geschoben werden. Wir sollten aber aufrichtig dankbar sein, dass es Menschen wie Betty Anne Waters gibt, sonst wäre unsere Demokratie-Blase nämlich unlängst geplatzt.
Eine Geschichte die wirklich wichtig war zu erzählen um das Innocent Project zu unterstützen. Und darauf „ruht“ der Film sich nicht „aus“ sondern liefert ein erstklassiges Milieudrama ab, und kann für sich stehen! Action-Liebhabern und Popcornkinofreunden, die immer nur dann wieder „hoch gucken“, wenn es knallt, ist der Film allerdings nicht zu empfehlen.
Für Interscenrio ist der Film eine klare 9 von 10 Punkten. Ein Punkt fehlt dem Film dann leider doch, da Teile von Dialogszenen Chancen auf eigenständige Umsetzung in der Dialog- und Schnittregie vertan haben und die Musik zum Film sehr allgemein-gehalten geblieben ist. Denn es kann nun mal nur wenige 10 Punkte Filme geben. Aber wie gesagt, das ändert für mich nichts an der Wichtigkeit dieses Themas und an der Großartigkeit dieses Films.
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