Über Kunst & Kultur wird nur der ästhetische, aber schon lange nicht mehr der politische Diskurs geführt. Der Zeitpunkt für Resignation & Kuratoriums-Prostitution ist denkbar ungünstig. Die weltpolitische Lage und die Frage um die Dichter & Denker stehen in einem ironischen Zusammenhang, den wir erst historisch bitter begreifen werden. Kunst und Kultur ist immer politisch. Ob es will oder nicht.
Zum Beispiel das Theater: Das Regietheater der letzten 30 Jahre ist stark vom #Straßentheater beeinflusst, in den USA noch viel mehr als im deutschsprachigen Raum. Dennoch verleumden aktive Intendanten die Zusammenhänge und stellen sich heute mehr als denn je mehr Städteplanungs-technisch und Kulturministeriums-konform dar als nötig. Kulturelle Brisanz wird von Finanziers bestimmt und nicht von der aktuellen Lage. Man nehme Schlingensief: Ein Opernhaus in Afrika? Lassen wir doch mal bitte die Kirche im Dorf. Wer wird dieses Opernhaus besuchen? Die Diplomatenkinder der wenigen aber umso reicheren korrupten Familienclans in dieser bittersüssen afrikanischen Geschichte des ewig politischen Verrats? Wie ironisch. Hat doch das Theater auch an sich Verrat geübt. Ich reize um zu fragen. Worum geht es hier? Straßentheater? Um einen historischen Nachlass Schlingensiefs oder um die Unterstützung afrikanischer Operetten? Schade. Wie wär es mit einem Font für politisches Theater in Berlin? Zumal es da eine größere kulturelle Verwahrlosung zu beobachten gibt, als in Afrika. Nicht attraktiv, wie das Kauen auf altem Brot.
So agieren sie ahistorisch in ihrem eigenen Bereich, werden zu "Attraktionen", werden im dichten Nebel der Medientrommelwirbel zu Handlangern der heimlichen Entfremdung des gerade bestehenden Ideals/Codex (z.B. Entdemokratisierung oder das Scheitern des Kommunismus), denn diese erfolgt historisch nachweisbar immer zuerst in Kunst und Wissenschaft, und ist längst ein unumstrittener voranschreitender Prozess in der verkrusteten unbeweglichen säkularen Welt, so meinen nicht nur die Soziologen.
Entgegen der Aussagen der Herren des Faches, die sich seit geraumer Zeit - vor allem, wenn man ihnen das Vermissen politischer oder zumindest brisanter oder relevanter Inhalte darlegt - damit zu rechtfertigen wussten, hat Kunst und Kultur ihre #Vorbildfunktion längst nicht verloren. "Es gäbe keine nachweisbare Wirkung". Dies wird behauptet, um sich der Verantwortung bei der Mitgestaltung der politischen Landschaft zu entziehen. Fehlende Kassenerfolge, die eh im Widerspruch zu unpopulären Themen stehen, werden als Argumente herangezogen. "Nachweisbar" ist ein hier nicht anwendbarer Terminus, da die Beweiskette in Kunst und Kultur ähnlich wie in der Politik sich in vielen Richtungen der Weltöffentlichkeit verliert. Erfolg kann hier nicht an evaluierbaren Skalen gemessen werden.
Nachweisbar hingegen ist durchaus, dass das Geschichtsbild neuer Generationen erschreckend stark z.B. durch schlampig recherchierte Historienfilme und TV-Dokus "verfärbt" wird. Somit entsteht ein gefährliches Ungleichgewicht zwischen der abgelehnten Mitverantwortung und der tatsächlichen Wirkung.
Der Begriff des "politischen Theaters" geht auf die gleichnamige Schrift Erwin Piscators von 1929 zurück. Jener war ein deutscher Theaterintendant, Regisseur und Schauspiellehrer. Piscator war ein historisch namenhafter Theatererneuerer und Avantgardist der Weimarer Republik, der das Theater revolutionierte und die Bühne zum epischen Panorama erweiterte. Die publikumswirksamen Inszenierungen der Piscator-Bühne der Weimarer Republik veranlassten angesichts der Abgrenzung des Regisseurs von einer Bühnenästhetik des reinen Kunstschönen zu starker Kritik, gleichwohl zu starker Bewunderung und dramaturgischer Wirkung. Piscators Inszenierungen wirkten auch auf die Theatertheorie Bertolt Brechts ein, dessen episches Theater Anleihen bei Piscator machte, als Gegenentwurf zu Stanislawskys Schauspiellehre, die später in Hollywood mehr Anklang fand.
Ironischer Weise, ausgerechnet in den späten 1960ern und 1970ern, kehrten deutsche Intendanten in dem Glauben, dass Publikum nicht mehr zu erreichen, dem politischen Theater den Rücken zu. Und das, obwohl Größen wie Piscator und Brecht auch in der Nachkriegszeit und insbesondere bezüglich der Aufarbeitung der Nazizeit große Erfolge feierten. Vermutet werden kann hier jedoch getrost eine staatliche Beeinflussung solcher Intendantenstandpunkte, da - wie auch die Auseinandersetzung mit der RAF zeigte - junge demokratische Staaten wie die damalige BRD offenkundig noch nicht geübt waren darin, Staatskritik mit Würde zu tragen. Kunst & Kultur war schon immer ein Sündenpfuhl, ein Dorn im Auge der Herrschenden. Darin stand der westliche Teil des damals geteilten Landes dem östlichen Teil in Nichts nach.
Aus diesem historischen Kontext heraus sind wir fataler Weise in einer denkbar ungünstigen Zeit zu Erben dieser Entwicklung geworden. In einer Zeit, in der Politik von der Wirtschaft und nicht von Politikern gemacht wird (Zitat, Johann Kresnik sowie Helmut Schmidt), sind kritische Auseinandersetzungen mit politischen Inhalten in Kunst und Kultur wichtiger denn je. Ein Bewusstsein für die Mitverantwortung bei der politischen Bildung neuer Generationen durch ein Einfluss-nehmendes "Kultur"-Gedächtnis kann und darf von entsprechenden Stellen nicht mehr von sich gewiesen werden. Politisch-polemische Bundestags-Debatten sind für eine aktive Demokratie nicht mehr relevant, nicht mehr entscheidend. Eine Opposition ist aber wichtiger Indikator für Demokratie. Und diese kann und darf überall ausgeübt werden. Wo sonst ist der Freiraum so groß Fragen zu stellen wie in Kunst und Kultur?
Onetti - eines der von Kollegen seines Faches meist geschätztesten Genies - erhielt nie eine Auszeichnung und beging niemals Verrat an den Fantasiewelten und Figuren die seine Geschichten ausmachten. Er lebte Kind auf mit ihnen.
Ich warne noch einmal ausdrücklich (wie bereits in einem älteren Artikel über die Aussagen des ehemaligen Chefdramaturgen der freien Volksbühne, Martin Wiebel) vor einer weiteren Ausweitung und Förderung des genehmen und bequemen "Event"-Theaters, da dieses sich mit Kreuzfahrtschiffen, Musical - sowie Revue-Bühnen und Late-Night-Shows zu messen beginnt, und mit ihnen in eine Reihe stellt. Auch wenn all dies seinen Ursprung im Theater hat, haben die Entwicklungen jener Subkategorien und Bühnen-Genres das heutige Theater in einen Sonderstatus "hinein"-extrahiert, der ihm eigentlich eine besondere und sehr auserlesene Aufgabe zuteil werden lies. Somit gibt es heute für reißerische Event-Inszenierungsformen gesondert zu betrachtende Begrifflichkeiten, zu denen Theater nicht mehr zurückfinden kann ohne sein übrig gebliebenes Publikum gänzlich an jene neuen Begrifflichkeiten zu verlieren, die sich in diesen Formen der Inszenierung im Übrigen mit mehr Selbstverständnis und einem gewissen Vorsprung bewegen können. Wenn es ein Theater aus dem ganzen "Theater" heraus weiterhin geben soll, dann muss es sich in seiner extrahierten Position, der neuen "alten" Kunstform des Theaters fern ab von Revue und Kostümfest emanzipieren. Und dies kann auf viele andere kulturelle Bereiche übertragen werden.
Es bleibt abzuwarten, ob und wann es ein Piscator-"2000" geben wird, der dies zu vermitteln weiß.
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