Artikel der Gast-Autorin Miriam Reinhardt
Dem Tanz eine Schrift zu geben führt in Aporien - Der Tanz, dessen zentrales Moment die Flüchtigkeit ist, scheint nicht einzufangen zu sein, in das, was wir unter Schrift verstehen und schon ein Bild eines Tanzes ist problematisch. Denn es hält diesen an und zerstört so das, was ihm als konstituierendes Element innewohnt. Der angehaltene, eingefangene Tanz scheint kein Tanz mehr zu sein. Er ist Momentaufnahme eines Körperstatus´, der im Bild sich nicht mehr bewegt. Dennoch vermag das Bild den Fortlauf der Bewegung zu evozieren. Das Bild eines Tanzes kann als solches erkannt werden, weil es in die Bewegung kontextualisiert wird. Mehr noch als jedes andere Bild, spricht das Bild eines Tanzes davon, dass es nicht das ist, was es darstellt, sondern die Spur einer unausweichlichen Abwesenheit in sich trägt.
Dennoch hat das Bild in seiner Materialität viel mehr Bestand als der Tanz selbst, der immerzu von diesem Abwesenden spricht, dem eine Melancholie des Vergänglichen somit innewohnt. Wenn schon das Bild den Tanz als Tanz zerstört, so scheint die Schrift diesen Konflikt zu verschärfen. Es ist nicht zufällig, dass die Idee der Choreographie im Umfeld eines Klosters entstanden ist. Denn die Schrift ist seit jeher mit Ewigkeit assoziiert. Nicht nur, weil der Schriftsteller selbst sich erhofft der Vergänglichkeit mit Hilfe der Schrift zu entfliehen. In der Kabbala ist die Schrift eine Choreographie Gottes, in der der eine Gott selbst sich offenbart. Allerdings bleibt die Schrift hier Spur des Geheimnisses, das niemals ganz ergründet werden kann. Es ist Teil der Geschichte Israels diese Schrift zu lesen und zu kommentieren. Der bis ins Unendliche mögliche Kommentar, selbst wieder Schrift, ermöglicht Geschichte, das Fortbestehen des Bundes. Die Thora zu lesen, zu kommentieren ist somit Teil des Lebendigen selbst. Diese Schrift ist Teil eines Geheimnisses, weil ihr das Hören des Wortes vorangeht. Sie ist damit dem griechischen Logos entgegengesetzt, der sich als beschreibend und erklärend versteht. Die Schrift der Theorie ist Teil eines Entmythologisierungsprozesses und verpflichtet sich der Aufklärung. Was schriftlich fixiert ist, hat nicht nur Bestand sondern auch eine besondere Relevanz.
Das schriftliche Zeugnis bleibt Zeugnis auch dann, wenn es historisches Moment geworden ist und dem konkreten Zeugenstand, für das es eintrat, enthoben worden ist. Wir sehen die Schrift in einer Ambivalenz stehen: Zugleich dem Geheimnis und der Aufklärung verpflichtet, behält sie aber immer einen Bezug zur Ewigkeit. Auch wenn wir davon ausgehen wollen, dass die Sprache der Schrift vorangeht, die Schrift immer auch bezeugt, dass zuvor sprachlich etwas nach Ausdruck bestrebt ist. Wollen wir verstehen, wie wir dem Tanz eine Schrift geben können - und dabei ist es irrelevant, ob diese Schrift einen Tanz beschreiben und nach dieser Beschreibung bewirken soll oder ob sie als Effekt des Tanzes diesen kommentiert - so müssen wir eingestehen, dass Tanz, Sprache und Schrift auf dem Gebiet der Choreographie miteinander verknüpft bleiben.
Es scheint, als sei die Frage nach einer Schrift des Tanzes nur der zweite Schritt in einem Übersetzungsprozess, der zwischen Sprache und Körper entsteht. Wenn wir verstehen, wie dieser Übersetzungsprozess verläuft, so ist es auf die Ebene der Schrift nur noch ein Schritt.
Ein Schritt?
Die Sprache über den Körper formt ihn zu dem, als der er erscheint. Der Körper ist Diskurseffekt, damit auch Effekt einer Macht, die diesem Diskurs innewohnt. Weniger denn als Text, würden wir den Körper als zu beschriftende Fläche denken, der sich von der Ontologie des Leibes damit unterscheidet. Bevor der Körper als der tanzende Körper erscheint, bevor er in einer Choreographie wahrgenommen werden kann, ist er zuvor schon Körper geworden. Das bedeutet, dass bereits ein Prozess der Sprache, der Schrift diesem Körper konstitutiv voranging, bevor dann mit Hilfe einer Metaschrift, der zu choreographierende Körper erscheint. Wir können diese Differenz hier vornehmen, indem wir zwischen Performativität und Choreographie unterscheiden, um die Choreographie noch als zu Entstehendes beschreiben zu können. Ob diese Trennung auf der Ebene der Diskurse, der Ebene der sozialen Formen- nicht unbedingt der Kunst- aufrechterhalten werden muss, ist eine weitere Frage. An dieser Stelle ist jedoch zu erkennen, dass ein altes Motiv der Schrift wiederkehrt- nicht nur im Moment der Ewigkeit des Zeugnisses, sondern auch auf der Ebene der Schöpfung.
Wir sprachen oben von einem Übersetzungsprozess und allein in ihm, scheint uns das kritische Potential zu liegen, dass die Choreographie haben kann, wenn sie sich nicht allein dem Diskurs der Macht verpflichten will. Denn wenn der Körper eine beschriftete Fläche des Diskurses ist, gleichwohl eine, der das Subjekt sich unvergleichlich nahe zu sein fühlt, so ist es die Übersetzung selbst, die die Möglichkeit der Re-Übersetzung (die nicht unbedingt eine Re-Inszenierung ist, sondern auf der Ebene der Dekonstruktion sich befindet) einschließt und uns erkennen lässt, dass es auch in der Diskursivität des Begrifflichen ein Moment gibt, das sich entzieht. Denn die Übersetzung wird niemals mit einer Re-Übersetzung übereinstimmen, der Körper wird niemals vollständig normiert, er wird niemals derselbe sein, den Tanz gibt es kein zweites Mal.
Man kann hier eine Ontologie des Leibes anstimmen, gleichwohl sich das Problem nur fortschreiben würde. Feststellen müssten wir, auch wieder nur festgestellt zu haben, wenn wir diese "Ontologie" in die Sprache des Logos überführen, die unüberwindbar in ihr zu schlummern scheint. Was also passiert, wenn der Tanz erscheint? Wir sehen einen Körper, doppelt choreographiert und diese beiden Choreographien kaum noch entwirrbar miteinander verknüpft.
Doch sichtbar wird auch, dass sobald diese Choreographie als Zeugnis des Tanzes existiert, der Tanz nicht mehr tanzt und somit längst entkommen ist, als habe er geahnt, dass jede Choreographie Anfang und Ende beschließt.
Denkbar ist eine Choreographie im Sinne des unendlichen Kommentars eines Ichs, das sich selbst bezeugt und wieder die schmerzliche Frage aufwirft, wo es ist, dieses Momentum des Nichtbegrifflichen, das noch bezeugt werden kann.
Wer. Ich. Wer? Diese Choreographie wendet sich gegen die Ewigkeit, in der man nicht sterben und damit auch weder leben noch tanzen darf.
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