Warum der Tod ein guter Ratgeber ist

Rainer Leisering
Geschrieben von:

Rainer Leisering

Gast-Kolumnist, Reiseautor, Auslandskorrespondent

Ein Geburtstag wie jeder andere

Warum der Tod ein guter Ratgeber ist

weiß Heiner Müller, der heute 87 wird

Preview Foto von Heiner Mueller im Jahr 1989

"Heiner Müller 1989 Kundgebung". | photo by Hubert Link | provided by Deutsches Bundesarchiv | ©  CC BY-SA 3.0

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Lesedauer: 7 mins

Das hätte ihm gefallen: Die Überschrift ist eine Frage. Und auf die wusste der sich selbst überlebte tote #Dichter, der heute 87 geworden wäre, “der Dichter von morgen”, wie man ihn würdevoll nannte, eine Antwort. Und diese bestünde aus seinem, wie ich finde unterschätztem Werk, welches oft im Schatten von Brecht stand, und das nur weil er nie zu eitel war um zu erzählen, wie er bei Brecht vorsprach als dieser schon eine Größe seiner Zeit war. Und was würde er dazu sagen, wenn er wüsste, dass man zu seinem Gedenken an seinem Geburtstag über ihn schriebe? Wahrscheinlich: "Ein Geburtstag wie jeder andere."

Wir gratulieren und übersenden unsere Glückwünsche an einen quicklebendigen #Autor, Theatermann, Dramatiker, Jahrhundert-Mann, denn dem Tod ist er entflohen, in dem er einfach keine Angst vor ihm hatte und ihn zu Lebzeiten zu seinem Thema machte. Keine Angst vor dem Antlitz, noch dem Besuch. Und heute sicher noch viel weniger, denn auf den Schmerz zu gehen war seine Devise. Nicht der Versuch, vor ihm zu fliehen.

Dabei vermochte er stets zu erkennen, dass solch wichtige und eindringliche Botschaft wie der Tod am besten mit wenig Trommelwirbel überbracht werden muss, ohne Schrecken, ohne großes Aufsehen, wie Tschechow einst vor seinem Tod zu seiner Frau sagte ohne eine Regung im Gesicht: „Ich sterbe“. Müller schaffte es auf diese groteske Weise einem nicht nur Mut zu machen auf alles was einem #Angst macht, einfach zu zugehen, sondern man glaubte auch plötzlich tatsächlich weniger Angst davor zu haben. Dabei war man sich aber nie sicher, wie viel davon sein Werk war, oder seine Prophezeiung, dass es dann einfach weniger wehtut, die Ursache dafür war.

Er hatte eine ganz eigene Art gefunden „der Zeit, die Frist ist“, Trost zu spenden und versuchte gar nicht erst zu behaupten, dass alles „gut“ würde. Dazu wusste er nur zu genau um das Gleichgewicht der Dinge, dass eine Verbesserung auf der einen immer eine Verschlechterung auf der anderen Seite verursache. Und so blieb ihm nur der Versuch dem Menschen Bescheidenheit gegenüber dem Leben zu zeigen und dabei aber die Ehrfurcht vor dem Tod zu nehmen.

Wenige Autoren haben sein Vermächtnis ins Heute übernommen, seine Idee der Herangehensweise ins Jetzt übertragen oder weitergeführt, ausgebaut. Dabei wäre es aktuell mehr als nötig, diese Sichtweise auf das Leben und sein Pendant, dem Gegenüber, zu zu lassen.

Aber das Autorentheater, das schwer mundende Drama, sei es politisch oder nicht, musste dem grotesken Humor weichen. Man will es heut leicht verdaulich aufbereitet. Die Tragikkomödie ist immer noch besser als der direkte Weg ins Herz. Die direkte Anspielung, der Finger auf der Wunde ist „out“. Und was der Autor will, schon lang. Denn heute ist der Kunde König. Und somit werden wir nicht mehr bereichert und inspiriert, sondern nur noch bedient und befriedigt.

Wie sie fehlen, die Dichter und Denker, die nicht sagten was man hören will. „Kommt Zeit, kommt Tod“, nicht Rat, das wäre ihm zu profan gewesen. Liest man Heiner Müller oder schaut nur mal die diversen Dokus über ihn oder seine Texte, fällt es einem schwer, einen zeitgenössischen Autor seines Faches noch ernst zu nehmen. Aber das liegt nicht an der Überhöhung Müllers, sondern an dem Unwillen der Nachfolger dem Klamauk der neuen Weimarer Republik den Rücken zu kehren. Denn wir sind wieder in den 1930ern angekommen, wo der Witz die Ängste übertönen soll. Das Gegenteil von Müller. Ohne dass er es ahnte, ohne dass es seine Zeitgenossen hätten wissen können, selbst jene, die ihm wohlgesonnen waren, hat er nicht nur seine Zeit, sein Leben, überlebt. Nein, er hat auch eine Messlatte angelegt, die durch seinen Abschied und die fehlende Nachfolge nie angegriffen wurde. Die man hätte, wenn man es gewollt hätte, durchaus als Herausforderung annehmen können, von dort hätte weitergehen können. Und das hätte uns allen gut getan. Auch wenn er in Interviews oft sehr behäbig wirkte, wie er da zurückgelehnt da saß und an seinem Zigarrenstummel kaute wie Egon Olsen, und lange Pausen machte bevor er sprach, während man meinte, ein leichtes Schmunzeln in den hinter dickem Glas versteckten kleinen Augen auszumachen. Aber Sportsgeist hatte er allemal. Da bin ich mir sicher. Und nachkommende Autoren, die in seine Richtung schlagen und es vielleicht sogar noch gekonnt ausgebaut hätten, wären ihm kein Dorn im Auge sondern Sinnesgenossen gewesen.

Mir persönlich fällt nur ein Autor hierzulande ein, der meinem Wunsch, diese Linie des Schreibens und Denkens weiterzuverfolgen, ein wenig nahe kommt und bekennender Verehrer Müllers ist, auch wenn er zum Teil zu anderen Schlüssen kommt, und den ich einen mir bekannten und geschätzten Autor nennen darf: Sebastian Ugovsky. Aber dieser folgt in seiner wählerischen Art aufzutreten leider zu stark Müller und macht sich rar, will seine Texte lieber immer wieder überdenken anstatt sie tonnenweise „in den Äther zu schicken“. So auch Müller. Denn wenn man ihn nicht darum bat, hat er auch nichts gesagt. Sympathisch. So auch Ugovsky. Nur genau das ist das Problem heute. Wer soll ihn heute darum bitten? Es ist die Zeit der Selbstdarsteller, der sich aufdrängenden Sender. Jeder ist heute mehr ein Sender als ein Empfänger. Im Internet, auf Youtube, oder Facebook, oder Twitter, auf Kundgebungen, in Bars und Kneipen, oder einer Live-Umfrage im Fernsehen. Kein Raum für lange Pausen, wie sie Müller einst machte um seine Aussage zu unterstreichen oder dem Rezipienten Zeit zu geben, sich die Worte richtig munden zu lassen. Wie bei einem gutem Wein, brauchen die Worte Müllers Zeit sich im Raum auszubreiten, denn sie sind sehr wohl überlegt. Nur die Zeit nimmt sich heute keiner mehr. Der Twitterstream darf nicht abreißen.

Gestorben am 30.12.1995 in Berlin, typisch für ihn, eine Nacht vor Silvester. „Denn was gibt es schon zu feiern? Wo viele lachen, muss leider oft einer weinen.“ Ein Zitat des Autors Sebastian Ugovsky, nicht von Müller. Aber es hätte von Müller sein können, wäre er heute 87 geworden. Noch eines, was beide gemeinsam haben: diese Art von entmachtenden Aussagen, sowie die Liebe zum Detail für eine wirksame Inszenierung. Und der Liebe für die Erhebung ihrer Figuren. Kaum eine Hauptfigur Müllers ausfüllende Bühnen-Persönlichkeit hat danach nicht alle Türen offen gehabt, weil der Autor und das Stück ihr eine große Bühne gab. Seine letzte Inszenierung, Brechts Arturo Ui, die im Juni 1995 mit Martin Wuttke in der Hauptrolle Premiere im Theater am Schiffbauerdamm (Berliner Ensemble) hatte, läuft dort bis heute (über 385 Vorstellungen) und machte aus Wuttke einen international gefragten Schauspieler.

Für Müller ist Alles eine Aussage. Nicht nur das Gesagte. Wir entschieden uns zu seinem Geburtstag zu schreiben, und nicht zu seinem Todestag. Weil auch das ist eine Aussage. Wir würdigen den Tag an dem er geboren wurde um unsere Landschaft zu bereichern, und nicht den Tag an dem er die Reise antrat, auf die er sich Zeit seines Lebens vorbereitet hatte.

„3 Treppen und die Sphinx zeigt ihre Kralle / Gewitter im Gehirn / Blei in den Adern / Was du nicht wissen wolltest: Zeit ist Frist / Die Bäume auf der Heimfahrt schamlos grün...“ (Müller)

Ich hebe mein Glas auf Dich und werde heute in Gedenken an Dich eine Zigarre rauchen, auch wenn mir danach wahrscheinlich schlecht wird ...

Ich verabschiede mich mit dem Lemma aus der deutschen Wikipedia, die Heiner Müller wie folgt zusammen fasst: Heiner Müller (* 9. Januar 1929 in Eppendorf, Sachsen als Reimund Heiner Müller; † 30. Dezember 1995 in Berlin), Pseudonym Max Messer, gilt als einer der wichtigsten deutschsprachigen Dramatiker der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Bedeutung erlangte er außerdem als Lyriker, Prosa-Autor und Essayist, Interviewpartner sowie als Regisseur, Dramaturg, Intendant und Präsident der Akademie der Künste Berlin.

Comments

EmiliaR

Alle Großen sind weg :( ... Wir leben in einer denkwürdig kleinen Zeit :/

nutshell

Vielen Dank für diesen besonnenen Artikel zum Geburtstag Heiner Müllers. Ich gebe Herrn Leisering Recht, dass heutzutage die Denker im Format eines Müllers fehlen. Doch wie schon selbst im Artikel angemerkt wurde, würden solche heute vielleicht sogar einfach in der Social-Media-Mentalität untergehen. Tiefgründige Gedankengänge kommen eben nur schwer gegen das nächste lustige Katzenvideo an.

Frank Sonntag

Was würde ich dafür geben ein Heiner Müller Theaterstück von 2017 zu erleben. Ich bin mir sicher dies wäre seine Zeit, eine Zeit die Vor- und Andersdenker wie ihn braucht.

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