Mediendogmen damals wie heute

Gabor Munier
Geschrieben von:

Gabor Munièr

Autor, freier Kolumnist, Essayist

Über die Mainstream-Presse Manier

Mediendogmen damals wie heute

Ein Blick auf das Thema

Preview Abbildung von Deutschlandsuche 99 von Schlingensief

"Deutschlandsuche 99". Christoph Schlingensief startet an der Volksbühne in Berlin sein Projekt "Deutschlandsuche 99". In der Jury: Sachiko Hara, Christoph Schlingensief, Bernhard Schütz, Irm Herrmann, Klaus Beyer, Kerstin Grassmann. | photo by Schreibkraft | provided by Wikimedia Commons | © CC BY-SA 3.0

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Lesedauer: 7 mins

Am Beispiel: Dramaturg Wiebel erklärt politisches Theater im Magazin "Der Spiegel" 1968 für gescheitert und wir können lesen, wie Dramaturg Wiebel seine Zuschauer einst für dumm erklärte, und damit Vorreiter einer Mediengestalter-Generation wurde.

Unter dem Link http://spiegel.de kann man ein Interview aus dem Spiegelarchiv von 1968 lesen, ein Artikel mit dem bewusst dogmatischen Titel "Das politische Theater ist gescheitert". In diesem Interview reitet sich der damalige Dramaturg der Freien Volksbühne Berlin Martin Wiebel von einem Aussage-Eklat in den nächsten. Bewusst wird einem dies mehr aus heutiger denn aus damaliger Sicht. Das diese dogmatische Berichterstattung heute noch funktioniert vergessen wir im Glauben an unsere gesellschaftliche Entwicklung.

Erst einmal hat der Spiegel in üblicher Mainstream-Presse Manier einen völlig Sinn verfälschenden Titel gewählt (denn so hat Herr Wiebel das nicht gesagt) und sich - bescheiden ausgedrückt - damit nicht gerade mit Ruhm bekleckert oder großer journalistischer Sorgfaltspflicht bemüht. Denn jeder der sich damit auseinander setzt weiß, dass politisches Theater keinen Krieg führt und somit auch keine "Siege" braucht, also keine Erfolge im tradiertem Sinne sucht und somit auch nicht scheitern kann. Aber zumindest war es mal wieder ein beachtenswerter, aber dadurch aufgeflogener Versuch, weiter am Stuhl der freien Meinungsbildung zu sägen, was nur zeigt, wie viel Angst bestehende Systeme vor meinungsbildenden Künsten hatten und wie ich manchmal glaube heute noch zu haben scheinen.

Aber ich möchte es mir 40 Jahre später nicht nehmen lassen und zu Herrn Wiebel und dem besagten Interview im #Spiegel ein paar eigene Gedanken äußern: Zitat: "Politische Arbeit ist zweifellos gerade in unserer Gesellschaft nötig, nur ist das Theater als Medium ungeeignet, weil es immer nur als Kultur-Überbau die Tendenzen an der Gesellschafts-Basis reflektieren kann. Und eine Konsumentengesellschaft verlangt als Entsprechung ein Konsumententheater ..." Ein weiteres Zitat : "Ich meine nicht, dass das Theater einen Ersatz für mangelhafte Information durch die publizistischen Medien bieten soll und kann. Das Publikum hat ja weitgehend weder Informationsbedürfnis noch die Fähigkeit, Informationen aufzunehmen." - SPIEGEL: "Und die Versuche der Studenten, Straßentheater zu machen?" - WIEBEL: "Ich habe diese Versuche gesehen und halte sie nicht für gut, weil sie kritiklos die Mittel des Agitations-Theaters aus den zwanziger Jahren übernommen haben."

Ich bitte um Verzeihung und bei allem Respekt, Herr Wiebel: Aber Ihre satt klingenden Aussagen, ihre Standpunkte, sind atemberaubend unverschämt und machen mich unglaublich wütend. Nicht nur, dass Sie ihr Publikum für dumm erklären und eine ganze Generation des Theaters einfach einmal mit einem höhnischen Grinsen im Klo herunterspülen, nein Sie wollen allen Ernstes auch noch zum Literaturkritiker für Straßentheater ernannt werden, welches ja nun ganz offenkundig schon durch seine Form erklärt, dass es nicht als Kunstform kritisierbar ist, weil es ausprobiert!

Es erinnert mich ein wenig an einige amüsante Straßenredner oder angetrunkene Kaufhausredner, die durch die Kaufhäuser und Gassen schwanken und laute Reden halten, als wüssten sie etwas zu verkünden, was aber oft inhaltlich keinen Sinn (oder mehr Sinn als bei Ihnen) ergibt. Bei aller Sympathie und Toleranz meinerseits gegenüber den häufig friedlichen Passanten, kann ich das bei ihrer Aussage nicht gleichermaßen abtun: Bei allem Respekt, ich durfte selten so eine Anbiederung an das bürgerliche Kostümtheater lesen, wie in diesem Interview. Selbst die Wurzeln des Theaters behaupten Sie offenkundig zu kennen, obwohl bis heute vieles daran laut renommierter Theaterwissenschaftler noch immer umstritten ist. Ich gebe Ihnen Recht: Die Zukunft des deutschen Theaters (das Gebäude) liegt nicht im politischen Theater, denn dazu müsste man weniger in der Kantine als in den Proben sitzen und sich etwas einfallen lassen! Und deswegen haben Polittheater- Akteure längst die Gebäude verlassen und  sind aber - wie ich finde - auf anderen Bühnen recht erfolgreich! Die Wahrheit ist, Herr Wiebel, politisches Theater hatte Feuer, und es brachte neue politisch aktivere und stärker interessierte Zuschauer hervor. Vielleicht nicht als Massenphänomen, wie Sie sich es für die Kasse wünschen, aber kulturell bildend wesentlich genug. Ich weiß nicht, in welchen Zahlen Sie denken, wahrscheinlich in solchen, die Sie brauchen, um ein Theater finanziell zu erhalten.

Aber politisches Theater als wirkungslos zu erklären, ist nicht nur eine Geschichtsverfälschung, sondern ignoriert viele große Theatererfolge und zerstört den letzten Charme, den ein altes Theaterhaus noch versprühen kann, und reduziert Theater auf ein Wirtschaftsunternehmen, das es nicht sein sollte. Wenn das ein Versuch ist, sein Zielpublikum mehr auf die Schönen und Reichen auszurichten, die - weil es sich, so wie das Klavier im Lounge Zimmer wohl für die Bildungselite ziemt  - mehr für eine Karte zahlen und öfter ins Theater gehen als Studenten und politische Aktivisten, dann haben Sie ihr Targetmarketing weit verfehlt und nicht genug Zielgruppenrecherche betrieben. (Das meistgespielte Stück auf diesem Klavier ist im Übrigen "Für Elise".) Denn dann stehen Sie in Konkurrenz mit großen Opernhäusern, dem Musical, Modemessen, Kreuzfahrtschiffen und noch so einigen anderen Bühnen, die weit mehr für eine Eintrittskarte verlangen können, als ein kleines Kostüm-Theater.

Sie haben es geschafft 40 Jahre später meine Aufmerksamkeit zu erregen, Herr Wiebel, denn - im Gegensatz zu Ihnen - mag ich Umstrittenes. Nachträglich viel Spaß beim Sekt ausschenken, Herr Wiebel. Mich würde interessieren was sie heute in der politisch stagnativen Gesellschaft - und unter Beobachtung der heutigen Medienlandschaft - zu ihrem eigenen Interview sagen.

Sarah Bies, Autorin bei interscenar.io ergänzt:

Das politische Theater ist tot... Mal wieder muss der große Mann mit der Sense, der vermutlich das letzte ist, was unser Augenlicht erblickt, als Metapher herhalten. Metaphern sind schon eine schöne Sache. Die meisten dienen der Verdeutlichung. In diesem Falle habe ich mich aber zunächst gefragt: Wie kann politisches Theater eigentlich sterben? Und wie sieht das aus, wenn ein politisches Theater die Tür öffnet und es ist nicht der Nachbar, der nach Mehl fragt, sondern eben jener Mann mit dem silbernen Instrument in den Knochen, der es in eine andere Welt bringen wird. Wenn man sich dieses Bild vorstellen kann - und dabei auf keinen Widerstand stößt - kann ich dieser Aussage zustimmen. Geht man allerdings davon aus, dass es sich hierbei um ein unübersichtliches Konglomerat von Kunstschaffenden, Regisseuren, Drehbuchautoren und Schauspielern handelt, die vielleicht sogar noch subtil einem gesellschaftskritischen Anreiz bei ihrer Inszenierung folgten und wenige Zeugen für diese bestellten, zudem noch vergaßen, das Stück unter dem Fett-Druck "Achtung, politisches Theater!" anzukündigen, dann müsste man schon über übermenschliche Fähigkeiten verfügen, um ihre Nicht-Existenz beweisen zu können. Was sagt diese Aussage also aus? Spricht sie auf den Rückgang politisch motivierter oder gesellschaftskritischer Stücke an? Geht es um Verkaufszahlen? Um - weitesgehend - eine Quote? Also...Massentauglichkeit? Das politische Kabarett müsste demnach im Gegensatz dazu vor lauter Leben Freudentänze aufführen. Die Frage im Hinblick auf manche dieser Formate ist nur manchmal: Wo genau war das jetzt nochmal politisch? Oder: Wo genau eckt es an, wenn die hier parodierten Politiker im Publikum sitzen und sich unter die Stühle lachen? Das hat alles seine Berechtigung. Aber es beantwortet auch die Frage, warum die am politischen Theater Beteiligten nicht ins Vorabendprogramm passen und es vielleicht auch nicht wollen. Ich habe auch noch nie einen Ingmar Bergman-Film um 20:15h auf ProSieben gesehen.

Gàbor Muniér, Autor bei interscenar.io ergänzt:

Richtig. Und man könnte auch sagen, dass das Interview eine böse Vorahnung für eine Entwicklung, die nicht nur im Theater sondern auch im Fernsehen in den letzten 30 Jahren stark voran schritt, darstellte. Während das Theater - kämpfend um Subventionen und gegen Zuschauer Rückgang - mehr und mehr zu einem Kreuzfahrtschiff-Erlebnis retardiert, hat Fernsehen längst nicht mehr den Anspruch, bildungsfördernd oder wenigstens unterhaltend im Sinne von leicht (Aufmerksamkeit und geistig) fordernd zu sein. Und hier geht es nicht um "früher war alles besser", oder: "jeder Film der nur unterhalten will und keinen dramatischen Akzent hat" ist nur plumpes TV. Es geht mehr um eine bedenkliche Tendenz in der so genannten westlichen oder industrialisierten Hemisphäre, die durchaus hinterfragt werden darf. Unsere Medienlandschaft tendiert gleich wie unsere Diskussionslandschaft zu einer gefährlichen Vereinfachung. So wie ich bei dem Aufruf, etwas sachlich und mit dem Streben so weit wie möglich objektiv bleibend zu diskutieren, durch Slogans und Schlagzeilen übertönt werde, so wird auch ein stiller aber ergreifender Moment des Theaters oder des Films mit Talkshows und Kostümtheater überrollt oder erstickt. Wir laufen dabei vielleicht Gefahr, dass wir in unserem Denk - und Diskussions-Koordinatensystem nur noch die Logik des Pros und des Contras begreifen können, und sachliche Ursachenforschung, oder das Folgen von instinktivem rekonstruierenden Denken, welches vielleicht der eigenen Aussage teils widerspricht, völlig verlernen.

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