Schaut man sich die heutigen Listen veröffentlichter Filme oder die Wikipedia-Einträge großer (Film-)Legenden an, insbesondere den unteren Teil namens "Trivia" oder "Besonderheiten" und darunter wiederum den Punkt Verfilmung oder Buch-Biografie, so erscheint es einem, dass die heutige Filmbranche mehr Filme über (ihre damaligen) Legenden dreht als neue zu erschaffen.
Ist das ein Abgesang? Hat die Filmbranche sich ihr eigenes Todesurteil attestiert? Sieht sich selbst nur noch in einer filmischen Rückblende? Woran liegt es, dass heute mehr als denn je alte Film-Legenden oder auch sonst heraus ragende Persönlichkeiten der Vergangenheit als Vorlage für aktuelle Film-Plots oder gar deren Biografie-Verfilmungen die großen Oscar-Abräumer der jüngsten Jahre sind? Leben wir im Zeitalter der Rekonstruktion und Retrospektive?
Manche Retro-Trends, wie zum Beispiel gehäuft in der Mode oder Musik heutzutage anzutreffen, könnten einen das glauben lassen. Aber zumindest was die Filmbranche betrifft, gibt es dafür eine mögliche einfache Erklärung: So war die Filmbranche damals als sie ihre ersten großen legendären Persönlichkeiten schuf noch jung und konnte noch keine eigenen Legenden haben um sie im Rückblick zu betrachten. Auch gab es folglich noch kein Filmmaterial über andere große Persönlichkeiten aus Politik und Geschichte, an Hand dessen man hätte die Kulisse und die Originalgetreue nachbilden können, um deren Geschichten oder Biografien verfilmen zu können.
Heute verfügen wir über einen reichlichen Fundus an TV-News Footage, Foto-Material und Tonband-Aufzeichnungen zu den Personen des damaligen Zeitgeschehens, die eine gute Grundlage für die Reproduktion der Person und ihrer Zeit bilden, und somit eine originalgetreue Verfilmung überhaupt erst wirklich möglich machen. Kein Wunder also, dass dieses Genre des Films erst in den letzten Jahrzehnten richtig Furore machen konnte und zunehmend auch bei den Oscars gewürdigt wird.
Nachteilig ist allerdings dabei, was es mit der Zunft des Schauspiels macht. So merkte mein Filmkritiker-Kollege Rajko Burchardt (Mr Vincent Vega) auf moviepilot.de bereits treffend an: dass es für große Schauspielerinnen schon zu so etwas wie einem Wettlauf missraten ist, wer die nächste große autobiografische Rolle spielen darf, weil es heute zunehmend eine Garantie für eine Oscar-Nominierung darstellt. Ferner stimme ich seinem Ansatz zu, dass das Schauspiel in seiner künstlerischen Funktionsweise hier eine ganz andere - von vielen als geringwertiger einzuschätzende - Rolle einnimmt, als bei klassischen fiktiven Filmprojekten, weil hier nicht die Figur mit Intensionen des Regisseurs und den Lebenserfahrungen der Schauspieler gefüllt würde, sondern man versuche dem eher Original nahe zu kommen, ergo eine andere Person zu mimen, damit der Zuschauer die Original-Figur wiedererkennt.
Zu großen Teilen stimme ich dieser Theorie zu und begrüße dass dies in Zeiten in denen solch eine Rolle schon ein Oscar-Garant ist, auch mal angesprochen und hinterfragt wird, damit dieses Muster nicht immer mehr ins Absurde führt. Dennoch möchte ich einschränkend hinzufügen, dass es riesige Unterschiede in der Herangehensweise bei solchen Verfilmungen zu bekannten Persönlichkeiten aus dem öffentlichen Leben gibt, und bei einigen guten Schauspielern schon auch wieder ihr eigenes Credo und ihre Lebenserfahrungen und deren Verknüpfung mit denen der Figur eine Rolle spielten und die Verfilmung auf Grund dessen zu etwas besonderem machten, was mit der reinen Mime der Person nicht erreichbar gewesen wäre. Dass das in der Praxis wenig angewandt wird, und der erstere kritisierte Fall der wahrscheinlichere, führt natürlich wieder dazu zurück, dass es richtig ist den Oscar-Garant in Frage zu stellen. Überhaupt ist es wichtig Dinge nicht als gegeben zu nehmen und in Frage zu stellen und jene die das tun nicht dafür zu verfluchen, da solch Hinterfragungen natürlich nie ganz ohne Dekonstruktion von statten gehen. So werden möglicher Weise Anhänger bekannter Schauspieler gekränkt darauf reagieren, wenn dieser hinterfragt wird und so reagieren auch Personen aus ihrer Zeit mitunter gekränkt, wenn diese hinterfragt wird.
Ich denke das Hinterfragen und Aufarbeiten der Geschichte hat noch nie soviel Aufmerksamkeit und Interesse auf sich gezogen wie in der heutigen Zeit. Und das liegt sicher auch an den wachsenden Möglichkeiten um Zeitgeschehen zu dokumentieren. Das hat wiederum zur Folge, dass wir heute genau wissen, wie zum Beispiel die Mode in den 1970-er Jahren aussah, und nur so konnten wir daraus einen Retro-Trend ableiten. Das Interesse für Geschichte - und somit auch die wachsende Anzahl an Rückblenden in Form von Kunst und Kultur - sind vor allem als Etwas Positives der heutigen Zeit zu betrachten. Sie zeigen, dass der Mensch durchaus bereit ist zurück zu schauen und sich zunehmend zu fragen was damals geschah.
Jetzt bleiben mir daraus folgend eigentlich nur noch 2 Wünsche offen:
1.) Nicht jedes Leben ist geeignet für das Verfassen einer Biografie. Einzelschicksale sind immer interessant für Menschen wie mich. Eigentlich jedes einzelne. Aber im globalen oder zumindest größeren Kontext als der der Menschenstudie gesehen, gibt es wahrlich mehr oder weniger wichtige Biografien und da hätte man sich durchaus die eine oder andere Biografie anstelle manch anderer gewünscht. Ich würde mir wünschen, Verleger wären da wählerischer und das Regal der Autobiografien würde sich übersichtlicher gestalten.
Und 2.) Wann fangen wir an aus dieser unserer Vergangenheit, die uns zunehmend und rückblickend so interessant, so erzählenswert und verfilmenswert erscheint, endlich zu lernen?
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