Debatten im sonst so unberührten Tatort Format

Britta Leuchner
Geschrieben von:

Britta Leuchner

Filmkritikerin, freie Publizistin

Was darf, soll, kann und muss

Debatten im sonst so unberührten Tatort Format

Der berühmte Sack Reis in China

Preview Abbildung einer Wachsfigur eines Polizisten vor einer Tatortabsperrung

"Police Crime Scene." | photo by Alexas_Fotos | provided by Pixabay | ©  Public Domain

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Lesedauer: 10 mins

Babbeldasch. Als wenn es keine anderen Themen bezüglich bewegter Bilder gäbe, debattiert die empörte Tatort-Posse mitsamt allen Darstellern und Zuschauern inklusive hochrangiger deutscher Zeitungen über ein missglücktes Experiment im heiligen deutschen Mörder-Leiche-Kommissar-TV-Marken-Urgestein "Tatort". Genauer gesagt: über den Einsatz von Laiendarstellern an der Seite der beherzten Schauspielerin Ulrike Folkerts, Tatort-Sektion Pfalz, Ludwigshafen, versteht sich. Als wenn die Verwirrung für Außenstehende, die nicht wissen, dass der Deutsche und sein in der Regel eher mittelmäßiger Tatort eins sind und die Marke zum Deutschen Fernsehen gehört wie die Mainzelmännchen, nicht schon genug wäre, muss nun die Verwirrung des Beobachters wohl grenzenlos sein, da man nun auch noch allerorts plötzlich empört über die Qualität eines einzelnen Tatort-Krimis spricht, so als hätte es nie schlechte und vorrangig nur gute Tatort-Krimis jemals gegeben. Mal davon abgesehen dass Mut im deutschen Fernsehen leider selten belohnt wird, ist jedes Experiment statistisch gesehen aussichtsreicher als der unterirdische Durchschnitt deutschen Fernsehens. Wer mit den seltsamen Widersprüchen und Sinnlosigkeiten des Deutschen Fernehens nicht vertraut ist, wird nicht verstehen worum es hier eigentlich geht. Ein Babbeldasch Eklat? Ich kann mir aus kuriosen Anlass nicht verkneifen zum Thema Tatort einen Kommentar zu schreiben. Dabei gehe ich auch auf die Gründe ein warum ich das Experiment begrüße. Und das obwohl jegliche Debatte um den nach Verwesung riechenden Rentner-Frenchise Tatort für mich unlängst der berühmte Sack Reis in China ist.

Beginnen wir mit einer kurzen Einleitung zum Thema Tatort für jene Außenstehende, die nicht begreifen können, warum überhaupt um solch unterdurchschnittliche TV-Filme so ein Trubel gemacht wird. Nebst meinem persönlichen Standpunkt dazu:

Dem Deutschen sind seine 1800 Leichen im TV pro Jahr (mitgezählt!) sowie die stereotypisch abgearbeiteten zweidimensionalen Figuren von Tätern, Kommissaren und denen die welche werden wollen, ihr heiliges Abendprogramm. Das mag man seltsam finden, aber es ist im Grunde genommen ein überlebtes Relikt aus einer anderen Zeit. Und dabei war der Tatort zwischendurch schon einmal unlängst tief im Tal der Mörder angekommen und wurde erst von jungen Szene-Hippies wieder, die das Uncoole cool machen wollten und wieder Tatort guckten, durch wachsende Quoten neu zum Leben erweckt. Leider. Nicht falsch verstehen: der Tatort war nie weg und hatte immer eine enge Fangemeinde. Aber seine darüber hinaus wichtigen Einschaltquoten waren über die Jahrzehnte hinweg sehr wechselhaft und zwischendurch ja bis hinzu beinahe tödlich gesunken. Heute davon keine Spur mehr. Jedes Kacknest in Deutschland, was mehr als 3 Einwohner hat, hat ein Tatort mit akzeptablen Quoten, so kommt es einem vor. Und wenn man da kein Nest mehr findet oder das nötige Kleingeld nicht hat, um sich in die Marke Tatort einzukaufen, dann muss man halt ein anderen Namen für den sonst aber sehr Tatort-arttypischen und daran angelehnten Krimi-Mehrteiler, wie "Lupin", "Tatortreiniger", etc., und andere finden. Meist dem Tatort noch in Schwäche übertreffende "Kommissar mit Kaffeebecher meets Leiche"-Schmonzetten unterirdischer Qualität.

Gunther Witte war es, der im Auftrag von Günter Rohrbach für den WDR eine neue Krimiserie als Nachfolgerin der Stahlnetz-Krimis der ARD und als Antwort auf die Konkurrenz im Unterhaltungsbereich durch die ZDF-Krimiserie "Der Kommissar" entwickeln sollte, und von dem die Idee zu der Krimi Reihe "Tatort" stammte. Eine ältere Rundfunkserie des RIAS mit dem Titel "Es geschah in Berlin", die dokumentarisch und spannend echte, mit dem Ort Berlin verknüpfte Kriminalfälle behandelte, soll ihm dabei als Inspirationsquelle gedient haben. Witte wählte den Titel "Tatort" mit dem Hintergedanken den Namen des jeweiligen Handlungsortes zum Titel hinzuzufügen, was später umgedeutet wurde zu dem heutigen Prinzip der verschiedenen Ermittlerteams in verschiedenen Städten und ihren Milieus, was wiederum geklaut war von den Crime Series aus den USA. Nur mit dem Unterschied dass in den USA die Bundesstaaten zum Teil größer sind als ganze Länder in Europa und unsere Städte für Amerikaner eher wie Nachbardörfer anmuten dürften. Um die finanzielle Last einer großen Krimiserie zu verteilen, wollte Witte dabei die anderen regionalen ARD-Anstalten beteiligen, die jeweils ihre im eigenen Sendegebiet spielenden Folgen produzieren sollten. Wittes Konzept stieß bei einer der vierteljährlichen Sitzungen der ARD-Fernsehspielchefs zunächst auf wenig Interesse. Im zweiten Anlauf wurde es aber 1970 bei der nächsten Sitzung genehmigt und es sollte so kurzfristig umgesetzt werden, dass keine Zeit mehr blieb, eigene Filme für die Reihe zu produzieren. So kam es, dass die erste Folge "Taxi nach Leipzig", am 29. November 1970 mit Walter Richter als Kommissar Trimmel im Deutschen Fernsehen ausgestrahlt und vom NDR produziert, zum Zeitpunkt der Entscheidung für den Tatort-Start bereits fertiggestellt war und erst nachträglich als Auftaktfilm in die Reihe integriert wurde. Ebenfalls bereits 1969 produziert und ausgestrahlt war der Fernsehfilm "Exklusiv!" mit Kommissar Trimmel dann 1971 als Tatort Folge 9 intergriert worden und ist somit offiziell als Produktion der älteste Tatort. Auch andere Sender zeigten in der Reihe zunächst Filme, die ursprünglich nicht als Tatort geplant waren. Da legte Tatort bereits seinen Grundstein als zusammenhanglose Frenchise-Marke, was sie bis heute geblieben ist. Man hätte es auch einfach "Krimi-Abend" nennen können.

Und nur durch den "neuen" (inzwischen nicht mehr ganz so neuen) zweiten Tatort-Kult konnte sich etwas bis heute halten und sogar wachsen, was schon in seiner Entstehungszeit mit genialen Figuren wie Inspektor Columbo, Monk, Die Zwei, Kojak, Drei Engel für Charlie oder französischen und italienischen Pendants in der westlichen Medienhemisphäre bezüglich der Qualität der Bilder hätte konkurrieren müssen und eigentlich nicht hätte mithalten können. Aber zu dieser Zeit gab es "Gott-sei-Dank" für sie noch kein Privatfernsehen, wie es hierzulande heißt und manch Besucher aus anderen Ländern sicherlich zu irritieren vermag, und somit war die Konkurrenz vorerst einmal ausgeschaltet. Dabei war nur der simple und klare Vorteil für vorgenannte, dass sie keinen Hehl daraus gemacht haben Unterhaltung zu sein und ihre Charaktere von amüsanten Überspitzungen lebten und profitierten und den Schauspielern viele Möglichkeiten gaben diese auszuspielen. Einziges Plus des Tatorts und die ihm schon durchaus anzurechnende Idee im Ursprung war der dem sich dem entgegenstellende Versuch, die für damalige Verhältnisse neorealistische Darstellung eines Verbrechens und der Ermittlungen zu kultivieren. Leider nicht originell denn auch SOKO, Polizeiruf und viele andere waren der Idee verfallen. Ganz im Geiste von Fassbinder und Co wollte man ein echtes Gefühl der Straße und der Reviere vermitteln, in denen der Mord passierte und eine gewisse Nähe zur Realität als Alternative zum sonstigen Unterhaltungsprogramm anbieten. Fernsehen bleibt aber aus Mangel an Zeit und gutem Personal und vor allem Mangels großer Flächendeckung bei einem kleinen Land wie Deutschland und dem Druck immer wieder Neues liefern zu müssen nun mal einfach meist zweidimensional und unterdurchschnittlich weit hinter Fernsehproduktionen aus Übersee und Nachbarländern zurück. Ein Widerspruch, der meiner Ansicht nach nur mit sehr großen Anstrengungen und viel Gespür für Dramaturgie und Können überwunden werden kann, was beides meines Erachtens nach jedoch nicht hinreichend vorhanden war und ist. Die Rechnung ging zumindest bei dem Versuch einer ernsthaften Rezension dieser Krimis deshalb nie wirklich auf. Mit Ausnahmen. Denn Fernsehen bleibt Fernsehen. Personal und Endergebnis mittelmäßig. Da helfen keine Pillen. Und auch kein Koks. Das hat sich nur noch nicht bei allen TV-Darstellern herum gesprochen.

Aber, und das ist entscheidend zu erwähnen(!), immer dann, wenn die Macher das erkannten und sich die Verkrampfung endlich einmal löste, der pseudo-realistische Versuch aufgegeben wurde und man sich eingestand, Fernseh-Unterhaltung zu sein, kam nicht selten etwas überraschend Gutes dabei heraus. Denn der Tatort, der im Durchschnitt schlechte mittelmäßige Krimis liefert, kann auch anders. Nämlich immer dann wenn das Motto war: Egal! Lasst uns ein Experiment wagen! - Hier brilliert der Tatort plötzlich und kann all die Talente entfalten, die in allen stecken. Großartige Schauspieler fahren zu Höchstleistungen auf, Kinoreife Kamera, grandiose Dialoge und komplexe anspruchsvolle Drehbücher treffen aufeinander und liefern einen Krimi, die selbst die skandinavischen Kinokrimis an Obskurität, Intellekt und Spannung in den Schatten stellen. Und so war es kein Wunder, dass das Experiment mit Laiendarstellern auch einmal versucht werden musste. Aber hier war wohl eine Grenze überschritten, die beim eingefleischten Tatort-Fan oder Mitwirkenden, der wohl die allgemeinen Qualitätsprobleme des Durchschnitts-Tatorts eh nicht verstand, so scheint es mir, eine Welle der Empörung auslöste. "Das könne man doch nicht machen!" so grölte es aus allen Ecken. "Auch nein?" - Dachte ich - "Und wo ist der Unterschied zu euren semiprofessionellen Darbietungen der letzten Jahre?" ...

"Babbeldasch" heißt der Tatort, der die Gemüter erhitzte und das Experiment mit Laiendarstellern zu einem "Enfant Terrible" gegen den meiner Ansicht zunehmend zweifelhaften Berufsstand Schauspiel machte. Ich habe ihn nicht gesehen, aber mir geht es auch nicht um die Rezension des TV-Frenchise sondern um die Rezension der Kritik an ihm. 20.000 Schauspieler werden von den Schulen pro Jahr auf den Markt gespült. Und das sind nur jene, die sich offiziell so nennen dürfen. Ein drittel davon findet dann Arbeit in der Dritten Reihe oder beim "Dinner-Krimi", ein weiteres Drittel gründet Schauspielagenturen oder geht in die Pädagogik oder Psychologie als nervige "Halbwissende die mit Kindern spielen wollen". Und das letzte Drittel gründet wiederum private Schauspielschulen, um noch mehr "begabte" Selbstdarsteller im nächsten Jahr auf den Markt zu werfen, die wiederum gleiches tun. Dabei hat der Beruf unlängst das exotisch-mystische der damaligen Zeit verloren, als Lämmle nach Hollywood ging und sich überlegte, die Darsteller der Filme in einen Textabspann zu nennen, damit die Zuschauer diese bei nächsten Filmen wiedererkennen können. Das war aber zu einer Zeit, als die Bilder noch laufen lernten und Schauspieler noch schwer wieder zu erkennen waren in ihren abwechslungsreichen Rollen.

Es gibt im Grunde genommen nur noch 2 Formen des Kults um sie und ihre Arbeit heute: entweder als schnöder gestriegelter Serienstar, der jeden Tag in den Wohnzimmern zu sehen ist und Seifenblasen blubbert, oder als hochstilisierte Überseekultfigur von großen internationalen Kinoproduktionen mit Typencasting. Alles andere ist doch heute meist nur noch mittelmäßige Sippenwirtschaft und sich an Budgets durchhangelnde Beschäftigungsmaßnahme im Fernsehen. Und in Deutschland noch mal ganz speziell: die komplizierte Beziehung zwischen Fernsehanstalten und den Kinofördertöpfen. Fluch und Segen zu gleich. Nur wenige schaffen es sich aus diesem Sumpf zu lösen und ihrem Beruf als Schauspieler alle Ehre zu machen mit nicht korrumpierbaren Versuchen, gute Theaterrollen oder Independentfilmfiguren zu erarbeiten oder im Deutschen Kino und Fernsehen nur dann aufzutauchen, wenn die Möglichkeit Qualität zu liefern wirklich gegeben ist.

Die Mehrheit der in diesem Beruf heute arbeiteten Menschen ist in ihrer Seele aber kein Künstler oder leidenschaftlicher Darsteller mehr wie früher, in Zeiten wo große Theatergruppen durch die Landen zogen und alles aufgegeben haben, um ein Leben im Zirkus zu leben, sondern sind heimliche kleine Spießer, die sich nach geregeltem Einkommen für ihr Heim und ihren Kindertraum sehnen und deshalb auch alles spielen, was ihnen unter die Nase gehalten wird. Und sich dabei ein wenig mit großen internationalen Schauspielern verwechseln, was ihre Gehaltsvorstellungen betrifft. Und so gibt es genug "Ware" im Angebot, die man für Tatorte und andere TV-Produktionen verbraten kann. Dass diese eher durchschnittlich bis unterdurchschnittlich ist, merkt da kaum jemand, denn in anderen Bereichen und Gewerken des TV-Films sieht es nicht viel besser aus. Wie man sich da plötzlich über den Einsatz von Laiendarstellern brüskieren kann, wirkt auf mich sehr ambivalent. Aber dazu müsste man den Widerspruch erst einmal erkennen.

Belustigender Weise meldeten sich jene Kollegen benachbarter Tatorte am lautesten zu Wort, die sich am wenigsten bei ihrer fraglichen professionellen Leistung in ihren Tatorten über mangelnde darstellerische Leistung brüskieren sollten. Die Angst vor Konkurrenz war halt schon immer meist bei denen am ehesten zu spüren, die am meisten von den Blendereien eines gewissen Standes profitierten. Jene, die wirklich etwas konnten, waren nie auf das Etikett ihres Standes angewiesen und brauchten somit auch nie Angst um die Aberkennung ihrer Leistung haben. Noch davor, dass man sie nicht mehr bräuchte.

Ein guter Schauspieler ist und bleibt unbezahlbar. Und dabei ist es völlig egal ob er sich so nennen darf oder nicht. Unbezahlbar? Ja. Warum? Weil der Mensch dafür alles im Leben aufgeben muss und unbestechlich ist. Viel Spaß beim casten.

Comments

Franka

Es wurden ja viele Stimmen unter Schauspielern laut die sich darüber aufregten, dass Laiendarsteller für einen Tatort gecasted wurden. Für mich ist das nicht ganz nachvollziehbar, Schauspielerei ist doch angeblich so ein kreativer Beruf, dann müssten doch viele diese unkonventionelle Idee eigentlich gut finden. Aber offenbar scheint doch bei den meisten die Angst zu überwiegen, von Laien auf ihrem eigenen Gebiet geschlagen zu werden. Ich vermute die meisten Menschen die andere Berufe ausüben, hätten davor keine allzu große Angst. Das kann ja dann eigentlich nur bedeuten, dass diejenigen die am meisten Radau gemacht haben entweder absolut schlechte Schauspieler sind, oder dass sie der Meinung sind, dass das eigentlich jeder kann, auch ohne Ausbildung.

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