Ein Lied für Kunst hinterm Vorhang

Gabor Munier
Geschrieben von:

Gabor Munièr

Autor, freier Kolumnist, Essayist

Leben wie in einem Roman

Ein Lied für Kunst hinterm Vorhang

Im Schatten des großen Dichters

Preview Abbildung von Eva Strittmatter mit Rengha Rodewill auf dem Sofa im Schulzenhof

"Eva Strittmatter Rengha Rodewill". (v.l.n.r.) Eva Strittmatter und Rengha Rodewill im Schulzenhof bei Dollgow, dem damaligen Wohnsitz der Strittmatters. | photo by Micaela Porcelli / Agentur Wort + Kunst | © CC BY-SA 3.0

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Lesedauer: 4 mins

Eva Strittmatter, geborene Braun (* 8. Februar 1930 in Neuruppin; † 3. Januar 2011 in Berlin), war eine deutsche Dichterin und Schriftstellerin.

Seit 1951, nach dem Abschluss ihres Studiums, arbeitete Eva Strittmatter freiberuflich beim Deutschen Schriftstellerverband der DDR als Lektorin. Ab 1952 veröffentlichte sie literaturkritische Arbeiten in der Literaturzeitschrift ndl. Von 1953 bis 1954 war sie Lektorin beim Kinderbuchverlag Berlin. Zudem wurde sie 1953 Mitglied des ndl-Redaktionsbeirates. Seit 1954 war sie freie Schriftstellerin. Sie veröffentlichte eher unpolitische Werke, darunter vor allem Gedichte, aber auch Prosa für Kinder und Erwachsene.

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Wohl eher eine der über die Landesgrenzen hinaus bekannteren Autorinnen der sogenannten „DDR“-Literatur - ein für mich bis heute schwer nachvollziehbar abgegrenztes Genre, es sei denn es geht um Innenpolitik - schrieb einst diese unpolitischen Zeilen (für mich: über den Lebensherbst und über den Tod) im Schatten ihres berühmten Mannes, Erwin Strittmatter. Ihr Name im Regal fast zum verwechseln ähnlich: Eva Strittmatter.

Unser gemeinsames Lied der Stille
Ich mach ein Lied aus Stille
und aus Septemberlicht.
Das Schweigen einer Grille
geht ein in mein Gedicht.

Der See und die Libelle.
Das Vogelbeerenrot.
Die Arbeit einer Quelle.
Der Herbstgeruch von Brot.

Der Bäume Tod und Träne.
Der schwarze Rabenschrei.
Der Orgelflug der Schwäne.
Was es auch immer sei,

Das über uns die Räume
Aufreißt und riesig macht
Und fällt in unsre Träume
in einer finstren Nacht.

Ich mach ein Lied aus Stille.
Ich mach ein Lied aus Licht.
So geh ich in den Winter.
Und so vergeh ich nicht.

Eine Biografie, die selbst genug Stoff für einen Roman liefern würde: 1950 heiratete die Lektorin merkwürdiger Weise einen Mann auf Grund dessen Morddrohung und Erpressungsversuches gegen sie und brachte 1951 darauf hin einen Sohn von ihm namens "Ilja" zur Welt. Die Ehe wurde jedoch bald – wie verwunderlich - annulliert. Noch vor der Scheidung lernte sie jedoch den wohl bekanntesten DDR-Literaten und heute nachhaltig sehr umstrittenen Schriftsteller Erwin Strittmatter kennen, den sie aber erst 1956 heiratete. Aber hier geht es um Eva nicht schon wieder um Erwin. Denn zu seiner Lebenszeit stand sie oft im Schatten ihres heute historisch wieder heftigst diskutierten Mannes, dessen Scheu vor Widerspruch gegen das System in dem er lebt wohl bereits schon vor der DDR-Zeit auffallend war, wie Historikern nun nachhaltig aufgefallen sein will und wieder für Diskussionen sorgt.

Was einen nicht umbringt macht einen stärker: 1993/1994 starben innerhalb von nur neun Monaten ihre Mutter, ihr Mann Erwin und ihr 2. Sohn Matti. In den 1970ern bereits begann ihr Weg aus dem Schatten ihres Mannes. Nach seinem Tod ist sie es, die seinen Nachlass verwaltet. Ihre Dichtung findet weiter Gehör und besticht durch eine schlichte Umschreibung von Liebe und Natur, die nach "Wind und Regen schmeckt", wie Schriftstellerfreund Hermann Kant es beschrieb.

Sie verstarb heute Nacht mit 80 Jahren in einem Altersheim. Dieses Gedicht aus dem Jahre 1973 - meinem Geburtsjahr - hat meine stark Natur- und schriftstellerisch Fantasie-geprägte Kindheit in meiner oft melancholischen geneigten Grundstimmung getroffen und war mein später Einstieg in ihr Schaffen. Aber dies hatte nichts mit Geographie zu tun. Als ich sie für mich entdeckte, gab es das Land längst nicht mehr und ich war erwachsen und hatte bereits unzählige #Gedichte geschrieben in denen sich meine Naturbezüge ihren ähnelten, während wir in anderen Dingen grundverschieden waren. Ich erklärte mir das so: Auf unseren gemeinsamen Fantasie-Wiesen durfte sie als Erwachsene wieder Kind sein und ich dichtete mich als Kind erwachsen. Getroffen haben wir uns nie. Nicht im Leben, nicht auf der Wiese. Nicht zur gleichen Zeit. Und doch scheinen mir die Bilder wie sie ihre Wahrnehmungen umschreibt sehr vertraut.

Zeitlose Dichtung braucht keinen Zeitgeist und keinen politischen Geist. Nur Geist. Ich verbeuge mich vor diesem schönen aber nicht unumstrittenen Geist, dennoch, da er mich heimsuchte ohne seinen Namen zu kennen und möchte hiermit mein Bedauern darüber zum Ausdruck bringen, dass es keine neue Lyrik von jenem diesem Teil des #Universums mehr geben wird.

Denn wenn sie eines in meinen Augen universell und reif erscheinen ließ dann war es eine für sie wahrscheinlich wesentliche Erkenntnis aus dem Leben die in ihrer Dichtung zu spüren war: „Politik interessiert mich nicht. Das hat nichts mit Menschen zu tun.“ Der "Berliner Zeitung" erzählte sie 1997: "Ich kriegte vor Jahren von Frau Ministerin Merkel einen Brief, die CDU brauche ein neues Programm, und sie bitte mich doch ganz herzlich, an diesem Programm mitzuarbeiten. Was habe ich mit der CDU zu tun. Ich habe nicht geantwortet, wie immer in solchen Fällen, wie auch schon zu DDR-Zeiten. Das kümmert mich alles überhaupt nicht."

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