Stadtkollaps durch Gentrifizierung

Gabor Munier
Geschrieben von:

Gabor Munièr

Autor, freier Kolumnist, Essayist

Heuschreckenplage

Stadtkollaps durch Gentrifizierung

Grillparties, Genobst, Gated Communit

Preview Abbilung einer kaputten Schaufensterpuppe auf der Strasse

"Mannequin lying down the Street". | photo by Unsplash | provided by pixabay | © Public Domain CC0

Preview Abbildung eines Graffity des bekannten Streetartist Blue in Berlin

"Graffity in der Cuvrystraße in Berlin Kreuzberg (Artist: Blu)". Blu (geb. Anfang der 1980er Jahre in Senigallia) ist der Künstlername eines italienischen Graffiti-, Streetart- und Videokünstlers, der seine ware Identität verbirgt und die bis heute unbekannt geblieben ist. Bekannt ist, dass er in Bologna lebt. Das Goethe-Institut Madrid bezeichnet Blu als einen der international bedeutendsten und kritischsten Street-Artisten des Muralismus. Im Jahr 2010 provozierte Blu in Los Angeles mit einer deutlichen antimilitaristischen Aussage einen Kunsteklat. Im Dezember 2010 war er eingeladen, im Vorfeld der Ausstellung Art in the Streets im Museum of Contemporary Art, Los Angeles (MOCA) die Wand eines Museumsgebäudes zu bemalen. Sein Wandbild mit Särgen gefallener US-Soldaten, die mit Dollarscheinen statt mit US-Flaggen drapiert waren, wurde noch vor der Fertigstellung auf Veranlassung des Museumsdirektors Jeffrey Deitch übertüncht. Die angebotene Schaffung eines Ersatzbildes lehnte Blu ab. Aufgrund der Zensur und des Eingriffs in die Kunstfreiheit produzierten Künstlerkollegen Blus Poster, die den Direktor Deitch als Ayatollah mit einem Farbroller in der Hand darstellten. | artist Blu Homepage | photo by OTFW | provided by Wikimedia Commons | © CC BY-SA 3.0

Preview Abbildung von Mainzer Straße 4 Juni 1990

"Mainzer Straße 4 Juni 1990". | photo by Renate Hildebrandt | provided by Wikimedia Commons | © CC BY 3.0

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Lesedauer: 4 mins

Was haben schrumpfende unberührte Natur und innerstädtisches Leben gemeinsam? Sie wurden von Menschenhand weg organisiert. Wenige kennen den dazugehörigen Begriff. Einige rollen dabei die Augen. Viele kennen das, was es macht. Gentrifizierung - Ein Phänomen, das man auch mit kultureller oder zivilisatorischer Entwicklung verwechseln kann. Ein Fortschreiten von gewissen sterilen Prozessen, die mehr zerstören als sie aufbauen. Sozialforscher haben bei der Erforschung von Megastädten wie Tokyo, Lagos und Buenos Aires Gott sei Dank inzwischen Erkenntnisse erlangt, die einen anderen Trend ankündigen. Aber bis dahin ist es noch ein langer Weg.

Ein klassisches und doch hochmodernes Szenario. Subkulturelle Städteentwicklung in Form von Gentrifizierung, oder anders gesagt: Stadtkernverunglimpfung. Auch wenn es vielleicht nicht ihr erklärtes Ziel ist (oder doch?), so ist es aber eine Folge davon: nämlich das immer stärkere Auseinanderdriften in arm und reich sowie schlussendlich das Verdrängen von ärmeren Bevölkerungsschichten aus subkulturellen Hochburgen, womit jedoch gleichzeitig oft auch die ethnisch und kulturell größere Vielfalt verdrängt wird.

Der fatale Irrtum und die Ursache für das Heuschrecken-artige Umsichgreifen von wohlhabenden Bevölkerungsschichten hinüber zu traditionellen oder kulturell interessanteren Stadtgebieten mit der Folge der Vertreibung derjenigen, die jenes Gebiet zu dem gemacht haben, wovon es seine Attraktivität gewann, ist, dass sie jene Orte als schön empfinden, welche sie nicht erschaffen haben. Und sie laufen vor sich selbst weg, der ihnen täglich ins Gesicht springenden Mentalität einer sicherheitsbewussten oder oft auch wohlhabenden oder behüteten Klasse von Menschen, die es aus ihrer Sicherheit heraus  in das Abenteuer zieht, welches aber in dem Moment kein Abenteuer mehr ist, wenn man es "buchen" kann. Die Folge ist: Die Mieten steigen, die ursprünglichen Bewohner ziehen in ärmere Randgebiete und der Ort ist entweiht. Bald merken besagte Heuschrecken den Verlust der örtlichen Seele und suchen weiter nach dem gewissen Zauber, den sie nicht erzeugen können, sondern nur zu bewundern und zu zerstören in der Lage sind. Sie ziehen zwar weiter, aber der Mietspiegel bleibt. So sterben ganze Städte und ihre subkulturelle Vielfalt buchstäblich an Über"reich"erung.

Zur Zeit stark zu beobachten in Berlin. Einer Stadt, die auf Grund ihrer Teilung und späteren politischen Brisanz sehr spät erst begann, kulturell zu "zerfallen". Was in Paris oder London unlängst passierte, ist nun auch in Berlin stark zu beobachten. Bezirke wie #Kreuzberg, oder zuvor auch wie Mitte und Prenzlauer Berg, und bald sicher auch Bezirke wie Neukölln. Sie alle lebten von ihrem "gewissen" unerklärlichen Charme, der von denen erzeugt wurde, die vorher dort nichts an dem wie es war änderten oder ändern wollten. Orte, die von Randgruppen, Eigensinnigen, Künstlern, Immigranten und alternativer Jugendkultur bis hin zu kultureller und sozialer Intelligenz geprägt waren. Die starke Zuwanderung von Leuten aus wohlhabenderen Gebieten Deutschlands oder auch von Leuten aus ruhigeren Stadtbezirken innerhalb Berlins, die glaub(t)en, dass jene Bezirke Berlins kulturell spannender und vielfältiger seien und man dort Tag und Nacht was zu gucken und zu feiern hat, mit einhergehendem gleichbleibendem Bedürfnis nach ihrer ihnen altbekannten Sicherheit und Gepflegtheit, hat(te) zur Folge, dass der Mietspiegel steigt, die Vielfalt sinkt, und die ursprüngliche urbane Mischung an Bewohnern vertrieben wird. Resultat ist eine reiche und "kindersichere" Kleinstadt inmitten einer Großstadt. Berlin ist auf Grund dessen längst nicht mehr das, wofür Leute immer noch herziehen. Viele erkennen das bereits und Berlin ist nun auch eine Stadt, aus der viele bereits wieder wegziehen. Wie viele andere Städte auch.

Wenn man sich bestimmte Stadtgebiete in London oder Paris, N.Y. Brooklyn oder San Francisco anschaut, sucht man vergebens die Kulisse aus Berichten von Besuchern, die von diesen Stadtteilen schwärmten, von Fotos oder noch nicht allzu lang zurückliegender Beschreibungen von Filmemachern und Buchautoren. Wie ausgestorben, mit leeren überteuerten Cafés oder Cafés mit leeren überteuerten Menschen, sowie mit Touristenhinweis-Täfelchen übersät, erscheinen die ehemals attraktiven Stadtteile allerhöchstens noch wie ein Relikt ihrer ehemaligen Präsenz und kulturellen Sogkraft. Multikulti-Zyniker und Neoliberale, die im tiefsten Inneren alles Unerklärliche verachten, was sich nicht richtig analysieren lässt, tun ihr Übriges, indem sie alle alternativen Kräfte über einen Kamm scheren und der konservativen Intelligenz das Alleinrecht zur Beurteilung der Lage erteilen.

Unaufhaltsam ist der Prozess der Gentrifizierung in der ganzen Welt zu beobachten und bald wird es keine alten Stadtkerne oder charmanten Stadtbezirke in irgendeiner Metropole der Welt mehr geben, die einfach für sich und ihre Bewohner und Subkulturen steht. Wie ein Weihnachtsgeschenk verpackt, werden uns dann nur noch die Überbleibsel dieser Zeit als #Touristen oder reiche Neuankömmlinge teuer verkauft.

"Kreuzberg hat sich immer schon verändert", sagte eine Friseurin zu mir, die offensichtlich nicht traurig über die besser betuchte Kundschaft war. Ich antwortete: "Manchmal sollte man Dinge auch einfach mal unangetastet lassen können. Aber das war ja noch nie unsere Stärke." - Ich entschloss mich die Haare dran zu lassen und verließ den Salon.

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