Ein Land voller Universitäts-Absolventen

Gabor Munier
Geschrieben von:

Gabor Munièr

Autor, freier Kolumnist, Essayist

Ein Mangel an wahren Talenten

Ein Land voller Universitäts-Absolventen

Das deutsche Titel-Syndrom

Preview Abbildung von einem Mann im Liegestuhl

"Relax" | photo by Thomas Kohler | provided by flickr | ©  CC BY 2.0

Themen Bereich
Lesedauer: 5 mins

Man sieht sie überall, auf Visitenkarten, Autotüren, Postern, Einblendungen unter Kommentatoren und Experten im TV, auch im Netz, hinter Kommentaren, neben den Artikeln, auf Firmenseiten in Lebensläufen und About-Texten, auf Türschildern und Absender-Adressen. Deutschland ist das Land der (sinnlosen) Titel. Nirgendwo anders in der Welt ist man so stolz auf seine errungenen „Badges“ oder „Spieler-Level“ als im Bildungsdschungel Deutschland. Egal wie unwichtig sie sind. Egal ob man gecheatet hat oder Level „ausgesessen“ hat. Egal ob Diplomwirt oder Fachangestellte, ob IT-Experte oder Doktor, Professor oder Rechtsanwalt, Kaufmännische Hilfskraft oder Assistent vom Assistenten, von allen Seiten wird man von Abkürzungen wie RA, FA, Ass., Dipl., Dr., Prof., oder Dr. Prof. oder Dr. Prof. med. oder wenn es keine standardisierten Abkürzungen gibt, halt mit langen eindrucksvollen selbstbeschreibenden Kompetenzbereichen wie Fachjournalist, Medienwissenschaftler, Terror-Experte, Diplom-Politologe, Sozialforscher, Chefredakteur, oder einer Kombination aus alledem von allen Seiten überhäuft und zugebombt.

Da wird ein ganz normaler Grünschnabel, der gerade mal seine Berufsausbildung fertig gemacht hat, nur durch seine frisch aus dem Drucker gekommene Visitenkarte, auf der es heißt: Diplom-Medienwirt (FH), schon gleich mal 5 cm größer, und zu einem Experten hochstilisiert, während er eigentlich noch nicht einmal weiß, wie man eine Waschmaschine bedient, geschweige denn wirklich ernst zunehmende und vor allem nützliche Erfahrungen auf seinem Gebiet (welches das auch immer sein soll) einzubringen hat. Und nirgendwo anders in der Welt als hier ist solch Bezeichnung so bedeutungsschwanger und darüber hinaus schon fast einer Ordensverleihung gleichende Auszeichnung, wie hier. Apropos Auszeichnung: Es grenzt schon an Lächerlichkeit eine Auszeichnung, einen Preis oder Titel zu erwähnen in einem Land, in dem diese gerade jetzt am wenigsten wirklich Bedeutung haben, da zur Erreichung dieser in unseren System die Aufgaben dermaßen aufgeweicht wurden, dass keiner mehr solche Zuschreibungen wirklich noch ernst nehmen kann. Am allerwenigsten sie selbst. Sie wissen ja wie sie dazu gekommen sind.

Was wir brauchen, sind Leute die anpacken können, die "Eins und Eins“ zusammen zählen können, wie man so schön sagt. Also Leute mit "Sinn und Verstand“ und keine durch einen Bildungsweg gejagte Titelträger und Kleiderständer. Und vor allem die wirklich "arbeiten“ können, und nicht nur so tun als ob oder Pseudo-Arbeiten verrichten oder noch besser: beraten! Wir haben in manchen Abteilungen gefühlt mehr Berater und Manager als Leute, die wirklich etwas erschaffen. Das Land ist voller Absolventen, dabei mangelt es uns mehr und mehr an wahren Talenten. Was wir erschaffen haben, ist eine Nation von Drückebergern und Prüfungsabsolventen, die wissen wie man durch die Gänge und Maschen des Systems navigiert, schlüpfrige gehorsame Abzeichenträger, die sich ihren Titel durch 6 Jahre WG-Parties und ein paar Aufsätzen ergaunert haben und nun auf dem Arbeitsmarkt eine simple Einführung in praktische Dinge bekommen, wie zum Beispiel: eine Betriebs-spezifische EDV zu bedienen, die Stimmung im Team nicht zu gefährden, die Gesten einer Führungspersönlichkeit zu verinnerlichen, mit ihrem Titel ein gewisses berufliches Balzverhalten an den Tag zu legen und ein Wochenplan. Und die Erfahrungen, die sie ab jetzt sammeln, sind mindestens ebenso viel wert wir die, die sie während ihres Bildungsweges bekommen haben.

Wie wenig das, was man ganz offenkundig und für jeden relativ schnell ersichtlich „drauf hat“ mit dem zu tun hat, was auf dessen Visitenkarte steht, sieht man ja oft schnell wenn man mal genau darauf achtet oder nachhakt, was derjenige momentan eigentlich tagtäglich wirklich tut, oder wenn man mal in seinem „Kompetenzbereich“ ein paar kritische Fragen stellt. Schnell platzt die Blase und es kommt nichts als heiße Luft. Ich musste einer fast mit dem Studium fertig abgeschlossenen Bachelor of Arts Absolventin, welche sich in einigen der Fachbereiche während des Studiums auch mit Web Technologien, wie zum Beispiel Flash Animationen auseinandersetzen musste, erklären, wie man auf der „Bühne“ der Flash-Animation einen simplen Ball hüpfen lässt...*Kopfschüttel* und habe nichts, aber auch rein gar nichts mit diesem Bereich beruflich zu tun. Und einer studierten Person einer Filmhochschule im Bereich Editing musste ich erklären, was FFmpeg ist. Was machen all die Leute eigentlich während ihres Studiums? Philosophie-Absolventen die keines des Werke von Camus kennen, Diplom-Politologen, die noch nie im Ausland waren, noch nicht einmal mit dem Finger auf der Landkarte, Medienwissenschaftler die Plattitüden im Netz weiter verbreiten ohne sie zu hinterfragen, sogenannte IT-Profies, die antiquierte Technologien anpreisen und damit überfordert sind, auf einem Rechner ein Betriebssystem zu installieren.

Nichts gegen Titel per sé, meinetwegen wenn es demjenigen wichtig ist, respektiere ich gern die Anrede, ich bin eh ein überzeugt höflicher Mensch. Aber ich finde es eigentlich irgendwie „schnöselig“, diese berufliche „Etikette“, diese permanente Nennung von Rang und Namen. Es erweckt den Eindruck es soll mangelnde Kompetenzen verschleiern. Es erinnert immer ein wenig an Szenen in alten Märchen, wo sich die Söhne der benachbarten Burgherren aufmachten um sich der zu verheiratenden Prinzessin vorzustellen und ihr den Hof zu machen und mit albernen Titeln, Namen, Rängen und Gesten sich zum Gespött der Kamera und der Zuschauer machten.

Vor allem wenn nichts dahinter ist als heiße Luft.

 

Comments

Hape-R

Der Artikel hat mich stark an eine Begegnung mit einer Cutterin vor einigen Jahren erinnert und ich kann das teilweise bestätigen, dass in der so genannten Medien- und Filmwelt so manch einer doch nochmal ein paar Nachhilfestunden bräuchte. Ich sollte neben meiner primären Tätigkeit als DIT bei einem Dreh der Cutterin noch etwas technischen Support liefern. So weit so gut erstmal. Jedoch kam die gute Frau dann mit den grundsätzlichsten Fragen zu mir, wie z.B. das Schnittprogramm installiert werden soll, auf welche Festplatten welche Daten geschrieben werden sollten usw... das ganze gipfelte dann sogar in der Frage, weshalb ihr Schnittrechner eigentlich nicht online ist, damit sie Facobook und Co. checken kann. Da stellte ich mir die gleiche Frage: Was lernen die heutzutage eigentlich in ihrem Studium???

Raijko Loerke

@Hape-R: wobei ich mir hier nicht verkneifen kann hier mal anzumerken, dass das Schließen von etwaigen Sicherheitslücken von "Schnittrechnern" zu sozialen Netzwerken im Internet für mich ehrlich gesagt nicht Teil einer Ausbildung zur Filmmontage wäre.

Hape-R

@Raijko Loerke: Das ist wohl war, das hat dann wohl nur was mit geundem Menschenverstand zu tun ;)

Anonymous

Der Autor dieses Artikels hat vielleicht ein etwas verzerrtes Bild der Arbeitswelt. Es mag ja bestimmt so sein, dass in einigen Branchen viele Tiefflieger unterwegs sind, ich kann das aber jedenfalls nicht so bestätigen. Ich habe zu Beginn meiner "Karriere" als Augenoptiker gearbeitet, danach "was mit Medien gemacht" ;) und bin jetzt im sozialen Bereich tätig. Natürlich sind mir im Laufe der Zeit auch immer wieder etwas, sagen wir, weniger qualifizierte Kollegen untergekommen, ich kann aber nicht sagen dass das in so großem Maße passiert ist.

Malfunction

Meiner Ansicht nach hat das sehr viel mit der damaligen Umstellung der Studienfächer von den früheren Dipl. Studiengängen auf die heutigen Bachelor Abschlüsse zu tun. Ich bin froh, dass ich meinen Studienabschluss noch Ende der 90er gemacht habe und somit eine, meiner Ansicht nach, qualitativ höherwertige Ausbildung genossen habe. Die Einstampfung auf die heutigen i.d.R. 6 Semester war ein großer Fehler und die frischen Absolventen die von der Uni kommen sind erst nach viel längerer Einarbeitungszeit, im Vergleich zu früher, fit für den Job den sie ja eigentlich gelernt haben. Die Grundidee der Anpassung auf internationale Standards mag ja ganz gut gewesen sein, sie wurde jedoch alles andere als gut umgesetzt.

Add new comment

The content of this field is kept private and will not be shown publicly.

Plain text

  • No HTML tags allowed.
  • Lines and paragraphs break automatically.
  • Web page addresses and email addresses turn into links automatically.