Abbildung von Airbus A319 Cockpit
"Airbus 319 Cockpit". Die Germanwings/Eurowings Flotte besteht aus Fliegern des Typs Airbus A319 - dessen Cockpit hier zu sehen ist, Airbus A320, Airbus A330 und Bombardier CRJ900 NextGen. Der moderne Bestand wird kontinuierlich auf dem neuesten technischen Stand gehalten. Für die regelmäßige Wartung unserer Flotte nutzen wir dabei die weitreichende Kompetenz unseres eigenen Technikbetriebes sowie der Lufthansa Technik. (Zitat zur Flotte von Germanwings) | photo by Ralf Roletschek | provided by Wikimedia Commons | ©  CC BY-SA 2.5

Abgestürzter Journalismus Inklusive : Sinkflug der medialen Ohnmacht

Jede Antwort ergibt mehr Fragen

Der Flug Germanwings 4U9525 von Barcelona nach Düsseldorf. Eine Tragödie, die für viele immer noch nicht zu greifen ist, unwirklich, erstickend, lähmend. Sprecher zuständiger Unternehmen verschlägt es selbst nach 48 Stunden vor laufenden Kameras die Sprache, ringen mit ihrer Fassung, sagen es würde mit den Stunden auch nicht besser. Die Neuigkeiten überschlagen sich. Fast jede Zeitschrift hat einen sich stündlich aktualisierenden Newsticker eingerichtet, den Gewissens-Kommentator, der die Pietätlosigkeit der anderen Zeitungen anprangert rechts in der Kolumne inklusive. Die sozialen Netzwerke quellen über mit immer neuen falschen Informationen und wirren Spekulationen, versuchen das Unfassbare irgendwie fassbar zu machen. Aber da steht Ihnen die Presse in nichts nach.

Interscenario verzichtete in den ersten 48 Stunden auf Kommentare dazu, sendete per Twitter und #Facebook nur kurze und aufrichtige Beileidsbekundungen an die armen Zurückgebliebenen, jene die noch am Leben sind und damit leben müssen, dass ihre Angehörigen, Freunde, Kinder, Eltern, Geliebte, Partner und vielleicht sogar der einzige Mensch, zu dem man wirklich eine tiefe Verbindung hatte, auf so schrecklich Weise aus dem Leben gerissen wurden. Dann wurde es erst einmal still bei uns. Wir können es uns leisten, brauchen keine Quote. Wir leisteten uns den Luxus des Respekts gegenüber den Opfern. Und wir ertrugen die Vorstellung nicht, was die Angehörigen gerade durchmachten. ... Und in meinem Kopf brodelte es ...

Abbildung von Kunstwerk Daniel Defoe in the pillory
"Daniel Defoe in the pillory", 1862, line engraving by James Charles Armytage after Eyre Crowe. Symbol für das Gesellschaftsphänomen und Ursprung der Redewendung: "An den Pranger stellen". Der Sinkflug der Moral. Das schnelle benennen eines "Schuldigen" hat Tradition in der Menschheitsgeschichte, doch nie zuvor ging das so schnell wie heute im Presse-, Medien- und Internet-Jungle. Schon kurze Zeit nach dem Absturz, und vor dem Auswerten der Flugschreiber, sang die breite Masse - auch die der Presse - im Tenor. Das Flugabstürze oft viele Jahre brauchen um richtig ausgewertet zu werden, interessiert keinen mehr. | artist James Charles Armytage | provided by Wikimedia Commons and National Portrait Gallery: NPG D2258 | Weiterführende Info zu den Nutzungsrechten (engl.) | © CC BY-NC-ND 2.0

Auch rief es natürlich gleich wieder die naserümpfende Zyniker auf den Plan, die die Menge der sich betroffen ausdrückenden Menschen ja fast schon belächelten und lamentierten, dass es albern sei, sich in dieses sicherlich tragische Ereignis hineinzusteigern, während in der Welt tagtäglich schreckliche Unglücke passierten. Aber letzten Endes ist das auch nur eine Form ihrer Verarbeitung, weil sie selbst nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen, weil sie es nicht ertragen es an sich heran zu lassen und wie man sieht, ja auch nicht unkommentiert lassen konnten.

Mir schnürt es den Hals zu. Immer noch. Stündlich. Jedes mal wenn ich wieder etwas darüber lese. Und natürlich frage auch ich mich als Publizist, warum ist das so? Kenne ich doch die Relativität des Leids in Presse und Nachrichten, kenne die globalen Ungewichtigkeiten der Empathie durch die Verschiebung von Fokus und menschlichem Affekt. Will mich nicht vor mir selbst lächerlich machen. Aber es ist nun mal unbestritten eine der schlimmsten Flugzeugkatastrophen Deutschlands. Das wurde mir bereits nach wenigen Minuten der ersten Meldung klar. Die Umstände daran waren dabei entscheidend. Die Ohnmacht und Machtlosigkeit ist hier nicht zu unterschätzen. Ein Flugzeugunglück diesen Ausmaßes und ohne dass jemand etwas dagegen tun konnte, ist einfach beispiellos in den zweifelsohne ebenso schrecklichen Ereignissen, die wir in dem Moment nicht mitbekommen aus aller Welt. Und das aller schlimmste ist das was wir nicht mitbekommen werden: Wenn die Angehörigen still und im Verborgenen den Verlust nicht bewältigt bekommen, nach Monaten, Jahren, aufwachen und den Namen rufen, weil der Körper es immer noch nicht begriffen hat.

Abbildung von Turkish Airlines Airbus A321 Cockpit Karakas
"Turkish Airlines Airbus A321 Cockpit". Cockpit eines Airbus A321 dem Nachfolgemodell des Airbus A320, welcher für den Germanwings Flug 4U9525 eingesetzt wurde. | photo by Ercan Karakas | provided by Wikimedia Commons | ©  GFDL 1.2

Ich saß bei uns im Büro und die ersten Informationen waren gerade erst ein paar Minuten alt und ich versuchte meine glasigen Augen vor den anderen zu unterdrücken, da merkte ich wie sich meine Augen beim Überfliegen der ersten Fakten zusammenkniffen wie bei einem alten Jäger in der Prärie und mein Kopf eine Schräghaltung einnahm wie ein Hund der etwas seltsam findet. Ich fixierte die Infos vor mir und ohne meinen Blick davon abzuwenden bat ich meine Kollegen mir bitte schnell beim Sammeln einiger Fakten zu helfen, die in der Schrecksekunde in den Medien wohl erst einmal untergegangen waren. Mich aber rissen sie aus der Betroffenheit und Bestürzung und ich war hellwach. Auch war mir plötzlich klar worauf es ankommt: Ich wollte die Gunst des Schrecks nutzen und schnell wissen, wer die Passagiere waren, in welchem Verhältnis sie zu aktuellen Geschehnissen in der Welt stehen, wollte wissen ob und wie das Ausland berichtete. Ob es Ungereimtheiten im zeitlichen Ablauf der News gab oder wie schnell Wikipedia mit Todesmeldungen war. Und zwar noch bevor die Aufräum-Arbeiten im Netz begannen.

Wir sind keine Tageszeitschrift. Wir informieren nicht, sonder reflektieren, recherchieren, analysieren, rezensieren nur. Also hätten wir es auch dabei belassen können nichts dazu zu schreiben. „Aus Rücksicht vor den Angehörigen.“ Aber ist das wirklich rücksichtsvoll? Vor allem wenn man bereits vor allen anderen das Gefühl hatte, da stimmt etwas nicht? Wollte ich auch erst. Aber genau bei dem Analysieren und Rezensieren gab es jetzt eine wachsende Überschneidung zum Informieren. Fragen hörten nicht auf in mir anzuklopfen. Es musste raus. "Aber mehr als einen Artikel werden wir dazu nicht schreiben, da muss alles rein und Schluss!", - beschloss ich.

Abbildung von Andreas Lubitz Hetzjagd auf Facebook
"Andreas Lubitz Hetzjagd auf Facebook". Eine Hetzseite gegen Andreas Lubitz auf Facebook, die kurz nach dem Absturz von Flug 4U9525 von Unbekannten veröffentlicht wurde, noch bevor alle Fakten die zum Unglück der Maschine führten bekannt waren.

Von der ersten Minute an waren - abgesehen vom Erklärungsbedürfnis des Unfassbaren - Dinge unschlüssig, kamen mir seltsam, oder um es nicht zu reißerisch zu formulieren zumindest dringend "recherchierungsbedürftig" vor. Ich wollte mir Abstand zu übereiltem Misstrauen bewahren, auch nicht mitmachen in dem bestimmt bald aufkommenden Medien-Wahnsinn, aber rein investigativ ging bei mir schon im ersten Anflug eingehender Informationen und der Umstände die rote Lampe an, stellten sich mir Fragen, sah ich Lücken, die im Laufe der hereinkommenden Neuigkeiten nicht weniger, eher mehr wurden.

"Was ist mit dem Datenschutz?" - fragte ich vorahnend noch bevor überhaupt klar war was passiert ist meine irritierten Kollegen. "Das wird kommen!", hallte es zynisch zurück aus dem Büro. "Ja." , sagte ich. Die Passagierliste wird als erstes verschwinden, dachte ich sofort. „Zum Schutz der Familien“. So war meine Sorge. Zum Einen richtig, aber zum Recherchieren schlecht. Und siehe da, erste Daten, die im Netz aufpoppten, verschwanden schnell wieder. Und eigentlich wehrte sich alles in mir weiterzudenken. Die Vernunft will einen zwar immer wieder davon abbringen und sagen: "Das ist alles Quatsch! Lass es. Das macht das Medienspektakel nicht besser." - aber es gab immer wieder diese kleinen Ungereimtheiten, wo ich merkte, wie es in mir zuckte. Und das waren noch nicht einmal die offensichtlichsten, sondern eher die winzigen Widersprüchlichkeiten. Winzige Kleinigkeiten, die im Nebensatz erwähnt oder weggelassen wurden. Und es sah nicht so aus als würde jetzt gerade jemand von den Medien gern die Kleinigkeiten nachprüfen, durchschauen wollen. Anstatt am Schreibtisch zu arbeiten, gründlich zu recherchieren, was eventuell im Verborgenen liegt, zogen es die Reporter vor, den Leuten vor Ort im Weg zu stehen, Ü-Wagen Kolonnen vor den Bergen und den Häusern der Angehörigen zu bilden, Verwandte zu belästigen, Passanten Geld für Interviews zu bieten und den Äther mit ihrem halbgaren Senf zu füllen. Und wie ich vom ersten Moment an ahnte, zu 80% schlecht oder falsch recherchierter oder kopierter Info-Müll. Die Entschuldigungen zu Falschmeldungen werden nicht lang auf sich warten lassen. Aber wir müssen ja die ersten sein. Fazit: Mit dem #Flugzeug stürzte auch gleich noch der Journalismus ab ...

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