
Die Sinnlosigkeit von Klassentreffen : Ein ewig klebriges Leben im Gestern
Ehemaligen-Kult ohne tieferen Sinn
Da war sie wieder. Die obligatorische Einladung. Ich hatte die Hoffnung sie hätten mich endlich aufgegeben. Aber alle paar Jahre muss man wohl mit dem erneuten Versuch rechnen. Den Sinn habe ich allerdings bis heute nicht verstanden. Noch nie verstanden. Bei niemandem: #Klassentreffen.
Liebe Veranstalter und Organisatoren von Klassentreffen: Erklärt mir bitte den allgemein-gültigen Sinn eurer alljährlichen Euphorie? Warum ist das so populär und so penetrant. Und Teil eines Lebens, so dass man entweder dahin gehen muss oder die Einladungen dazu permanent ausschlagen muss. Ich dachte nicht dass ich einzigartig bin aber bei solch regelmäßiger Einladung ist die Verlockung groß, aufklärende Worte zu dem eigenen offensichtlich derer Situation abweichenden Stand der Dinge zu machen: Ich habe Freunde. Ich habe ein Leben. Ich habe Familie. Ich habe einen ganze Haufen Freunde und Familie. Und ich habe einen Sinn in meinem Leben. Und Ziele. Und habe viel zu tun um diese Ziele zu erreichen und für all die Menschen, die mir wichtig sind, ein bisschen Zeit zu haben. Solang es enge Freunde von mir gibt, die mir wichtig sind und die ich auf Grund meines aufregenden und sehr arbeitsamen Lebens seit über einem Jahr nicht geschafft habe zu treffen oder wiederzusehen, solang nennt mir bitte einen plausiblen Grund, warum ich anstelle dessen Menschen treffen soll, die zufällig und versehentlich neben oder vor oder hinter mir die Schulbank gedrückt haben und die ich damals soviel kannte wie heute?

Ja, es ist Teil des Lebens. Stimmt. Es waren Kinder, die zusammen die Schulbank drückten. Und wenn man Glück (oder Pech je nach Auslegung) hatte, für mehr als nur ein paar Jahre die selben. Aber das heißt noch lange nicht, dass man sich kannte. Und schon lang nicht dass man sich gut genug kannte um die alten Gurken jährlich wieder zu sehen. Oder ihnen gar vertraut. Oder überhaupt in der Nähe haben möchte. Es gibt Menschen die ich täglich beim Bäcker treffe mit den habe ich mehr zu besprechen und gemeinsam in meinem jetzigen Leben als Kinder aus einer über 30 Jahre alten Vergangenheit.
Wir sind hier nicht bei der Feuerzangenbowle! Wacht auf! Das Leben findet da draußen statt und nicht in der #Schule! Das haben manche Schüler schon zu Schulzeiten nicht wirklich begriffen und offensichtlich zieht sich das bis in ihr späteres Leben hinein, dass sie es nicht begreifen wollen. Die Schule ist (war) eines von vielen „Events“ im Leben. Ein „Von-Bis“-Marker im Kalender der Jahre. Punkt. Weiter nichts. Mach ich Wiedersehen-Treffen mit Leuten, mit denen ich mal im Wartesaal einer Arztpraxis gesessen habe? Oder mit der Kassiererin im Supermarkt, die mir ein Jahr lang den Kaffee und die Zigaretten eingepackt hat? Obwohl das wahrscheinlicher wäre. Nein.

Vielleicht liegt es daran, dass sie zu Schulzeiten das Gefühl hatten ein großer Fisch im Becken zu sein und im Leben das Gegenteil davon sind, wenn sie überhaupt eines haben. Ich weiß es nicht. Vielleicht haben sie aber auch gar kein Leben und brauchen die Erinnerung an eine Zeit, in der sie sich noch irgendwie wie in „Alten Zeiten“ festgehalten fühlen, wie alte Menschen, nur halt noch nicht so alt. Denn wer das Kind in sich noch bewahrt hat und in seinem Leben immer noch auf Entdeckungsreise ist auf hoher See im Sturm, der kennt dieses Bedürfnis von „Häppchen“ und „Ach Mensch hast du Dich gut gehalten“ Parties nicht. Oder sie fühlen sich durch das Treffen von fremden Menschen, die irgendwelchen Kindern aus ihrer Schulerinnerung ähnlich sehen, bereichert? Oder (was ich noch am meisten verstehen würde) sie fühlen sich bei dessen Anblick amüsiert. Das würde vielleicht noch Sinn machen. „Guck mal, der hat 'ne Glatze!“ - „Boah ist der fett geworden!“ - „Was? Das war mal meine Jugendliebe? - Oh mein Gott!“
Auf jeden Fall wäre keines der sich mir halbwegs erschließenden Argumente ausreichend überzeugend genug, um ein Klassentreffen dem viel zu seltenen Treffen mit einem guten Freund oder Familienmitglied vorzuziehen, welches schon seit Längerem immer wieder verschoben werden musste. Und sollte es den seltenen Fall geben, dass einer meiner guten Freunde aus meiner Schulzeit stammen würde (dem nicht so ist) und der glückliche Umstand es so wollen würde ,dass wir beide dann auch noch zufällig in der gleichen Klasse waren (was noch unwahrscheinlicher ist), sähe ich denjenigen aber immer noch oft genug außerhalb der Klasse, als dass ich deswegen zu einem sogenannten „Klassentreffen“ gehen müsste.

Ich werde es nicht mehr in diesem Leben begreifen. Wenn es euch um Geselligkeit geht und ihr keine Freunde habt, dann ladet eure Nachbarn ein. Die seht ihr danach auch noch wieder und könnt euch öfter treffen. Oder schließt neue Freundschaften in eurem Lebensumfeld. Da habt ihr was von. Oder pflegt Brieffreundschaften ins Ausland wenn es euch um die Distanz oder Anonymität geht. Da lernt man gleich noch eine andere Kultur kennen und eine andere Sprache.
Und es sind ja nicht nur die Klassentreffen. Es sind all diese für mich nicht nachvollziehbaren völlig hohlen „Revival“- oder „Remember“-Gruppen-Parties, die einer gemeinsamen Vergangenheit auf sehr merkwürdige und subtile Weise ähnlich einem Leichenschmaus oder Kirchensonntags-Kuchenessen frönen, mit sich gegenseitig übertreffend bescheuerten Namen wie „Ehemaligen-Treffen“ oder „Abi-1980-Club“ oder „Dipl-1990-Treffen“ oder „Veteranen-Meeting“ und was weiß ich noch für bescheuerte Betitlungen.
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Jetzt könnt ihr auch noch Gedanken lesen?? Gerade wieder schlechten Gewissens exakt solch eine Einladung ausgeschlagen. Gutes Timing. Herrlich! Danke, jetzt fühl ich mich nicht mehr ganz so schlecht und bin wohl nicht allein damit. :)
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