
Eine Kritik zu Braffs Regie Debüt : Garden State
Motivation rettet Fehlbesetzung
Es gab sie schon einmal in der Filmgeschichte: die Zeit der Orte. Seit jüngster Vergangenheit (10 Jahre sind nicht viel für die Filmbranche wenn man bedenkt dass ein Projekt Jahre braucht) scheint wieder einmal eine Ära für Filme zurück zu kommen, die nach den Orten an denen sie spielen benannt sind: Garden State (2004, USA) ist einer dieser Fälle, ein Spielfilm, der in Deutschland und Österreich am 26. Mai 2005 in den Kinos anlief und das Regie- und Drehbuchdebüt des Scrubs-Darstellers Zach Braff, der im Film auch die Hauptrolle spielt, darstellt. Der Titel „Garden State“ (zu deutsch „Gartenstaat“) ist der Spitzname des US-Bundesstaates New Jersey, der Dreh- und Handlungsort des Films ist, in dem ein lethargischer junger Schauspieler die Hauptrolle spielt, der zu Besuch in seiner alten „Heimat“ ist, ein Wort was im Laufe des Filmes noch eine Rolle spielen wird. Leider begründet der Verlauf des Films nicht ausreichend die Namensgebung. Aber gut. So viel zum Speiseplan und das war es auch schon mit dem Spoiler. Nun zum Eindruck.
Viele bezeichnen diesen Film meiner Ansicht nach fälschlicher Weise als eine Indie-Perle. Das ist er zwar bei Weitem nicht, aber: während ich - was schwer so zu sagen ist da er sich ja quasi selbst besetzte (und da kommen wir vielleicht auch schon zum eigentlichen Problem) - Zach Braff teilweise für eine Fehlbesetzung für diese Figur halte, möchte ich diese Kritik mit einem gut gemeinten Anliegen zum Film beginnen. Ein Anliegen, welches ich, so erscheint es mir zumindest – und so ist das meistens mit Filminterpretationen: man sucht eine mögliche Verbindung – mit diesem Film und seiner Intension teile: Die soziale also gesellschaftliche Programmierung von Verhaltensmustern und wie wir diesen wenn wir "gut" programmiert wurden entsprechen, oder eben nicht, und wie viel oder wenig dieses Kriterium unsere zwischenmenschlichen Entscheidungen beeinflussen sollte. Idealer Weise. In der Theorie. In der Lyrik. In diesem Film. Was ihn adelt.
Und während wir auf der Reise unseres Lebens vielen Menschen begegnen und Enttäuschungen versuchen mit mehr oder weniger „Humor“ zu nehmen – ebenfalls ein Stichwort aus einem schönen Dialog des Filmes -, führen uns unsere Verletzungen im Besten Falle immer weiter zu der Frage, ob die zu erwartenden Verhaltensmuster im Zwischenmenschlichen eine Garantie für ein zwischenmenschliches Verhalten sind, welches wir aus unserer Sicht für den Moment für das passendste oder je nach Wichtigkeit des Moments, das Tollste bezeichnen würden. Oder eben nicht. Kurz gesagt: Wir sind von Menschen verletzt worden. Und die Poesie kann es sich erlauben von einer Fiktion zu träumen, in der Menschen, die wir im wahren Leben vielleicht als „weird“ einschätzen würden, als die Menschen zu erkennen, die sie dahinter wirklich sind. Die zwar anders sind als andere, aber im positivsten Sinne, aus der Ich-Perspektive vielleicht jene, die mich eben nicht verletzen. Ein Film-Muster? Ja. Neu? Nein. Dennoch Wichtig? Ja.
Das klingt soweit erst einmal nach seichtem #Hollywood. Ist es aber nur, wenn man bis zur Kuss-Szene denkt. Würde man das Ganze mehr in den realen Kontext stellen, der wenig mit Romantik sondern eher mit einer Lebensherausforderung für den jeweiligen Menschen zu tun hat, so wie für die Figur im Film, also wie zum Beispiel für einen Menschen, der wirklich völlig anders mit Gefühlen umgeht, aus welchem Grund auch immer, dann merkt man in dessen Konflikten aber auch positiven Überraschungen schnell, dass es Möglichkeiten im Leben gibt, wo genau diese Fiktion eintreten könnte. Mit allen Schattenseiten. Und dann meinetwegen Kuss-Szene inklusive. Muss man ja nicht hinsehen.
Damals die Inquisition, heute die Skandalpresse, man hat uns ja schon so einige merkwürdige Menschen zum Fraß vorgeworfen und die Meute hat sie gelyncht – aktuelles Beispiel: Der Copilot (Das Schlimme daran ist: man muss es noch nicht einmal erklären, denn jeder weiß wer gemeint ist. Traurig oder?) - und so empfinde ich es nur eine ausgleichende Gerechtigkeit, einige davon als wundervolle Menschen zu enthüllen, die halt nur nicht nach den gleichen Mustern ticken wie andere. Und vor allem - das ist wichtig! - nicht mehr oder weniger potentielle Beteiligte von Tragödien sind, wie alle anderen! Eine Frage, die mich neben vielen anderen umtrieb in der Debatte um die aktuelle Flugabsturztragödie: warum muss einem Menschen erst ärztlich attestiert werden, z.B. dass er Probleme hat, um daran die Tragödie oder ein Muster zu begreifen? Jeder hat welche. Mal davon abgesehen, dass ich nicht nur die Hetzjagd und voreiligen Schlüsse der Presse furchtbar fand und immer noch ganz andere Ursachen im Raum stehen. Aber das ist ein anderes Thema. Warum ich rhetorisch diese Gegenüberstellung bediene? Weil es im wahren Leben und in der Menge leider so ist: es wird eine stark verallgemeinernde Linie gezogen zwischen jenen die sich vermeintlich komisch verhalten, und jenen, die es vermeintlich nicht tun. Wechselt man die Perspektive, so wie es der Film hin und wieder auf köstliche Weise tut, merkt man schnell, dass das eine Frage des Betrachtungswinkels ist. Und das ist auch schon das Wertvolle an diesem Film.
Aber ich fürchte um das im Ganzen auskosten zu können, womit der sonst sehr teenager-love-lastige Film da spielt, muss man schon ein bisschen gereift sein im Kopf und auch schon viele Menschen im Leben getroffen haben, oder viele Situationen verarbeitet haben, mit sich selbst und mit anderen, die je nachdem so oder so verlaufen sind und heute eine große Summe vieler normaler bis merkwürdiger Erfahrungen in einem bilden. Dann macht es stellenweise wirklich Spaß diesen Film mit den eigenen Erfahrungen zu synchronisieren und je nach Bedarf sich auf den verschiedenen Seiten des Betrachtungswinkels aufzuhalten. Der Film macht dies auf sehr unprätentiöse Weise, was sehr angenehm ist, aber so kommen wir auch gleich zu ein paar Schattenseiten des Projektes:
Es ist genau dieser Versuch einen nicht reißerischen Film zu diesem Thema zu machen - was ich im Gegensatz zu vielen Kritikern des Filmes sehr schätze, weil es einfach auch dem Thema entspricht, in dem sich Menschen eben genau diesem Mitreißen von Gefühlen gemäß zu erwartender Programmierung entziehen - der sich hier aber in der „Selbst“-Besetzung von Zach Braff leider als etwas ausgedehnt und inkompatible anfühlt, was durch seine Mimik als auch seine Aura sich permanent wie das Gefühl, sich in einem seichten Teenager-Film zu befinden, anmutet. Das Finale unterstützt das Ganze leider. Und die so gelobte Filmmusik, die allein schön zu hören, aber in dem Film eher den Eindruck verstärkt, leider auch. Aber das zu abstrahieren und auszudifferenzieren, stellt für wohlwollende Cineasten keine Herausforderung dar und vielleicht ist das auch als etwas Gutes an diesem Film einzuschätzen: Um eben genau jene Zielgruppe zu erreichen, die am meisten mit zu erwartenden Verhaltensmustern und dessen Verklärung zu kämpfen hat: Teenager. Leider fürchte ich, dass ihnen der Perspektivenwechsel als Herausforderung den Film verleiden könnte. Da ist ihnen ihre Coolness im Weg. Gelingt ihnen das ja schon in der Auseinandersetzung mit ihren Eltern nicht...
Ich schreibe oft keine wirklichen Filmkritiken, sondern meist sehr subjektiv motivierte Erlebnisberichte, Verfechtungen, weil was mich am meisten an Filmen interessiert, ist ihre Wirkung auf den Menschen. Das führt mich dann oft zu sehr gnadenlosen und oft auch humoresken Verrissen, für die ich schon etwas verschrien bin, aber auch oft zu Inschutznahmen von Filmen, die aus vielerlei Hinsicht die Kritik verdienen, aber dessen Botschaft mich zu der Notwendigkeit ihrer Verteidigung führen. Denn leider ist eine Filmkritik nicht das für was es viele halten: Es ist weder ein ernst zunehmendes Punktesystem zur Überprüfung von Zutaten-Mengen, noch kann es eine olympische Jury sein, noch kann es alle gewollten und ungewollten Aspekte des Filmes kennen und am aller wenigsten eine Bedienungsanleitung oder Empfehlung zum Film. Wie kann man dem Film „Die Brücke“ vorwerfen dass die Explosionen nicht echt aussehen, wenn dieser Umstand genau das ist was aus ihm einen der wenigen aufrichtigen und nicht ambivalenten Antikriegsfilme macht?
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